Venedig. . Der deutsche Christoph-Schlingensief-Pavillon hat den „Goldenen Löwen“ der Biennale zu Recht bekommen. Ansonsten gibt es einen bemerkenswerten Fall von Rüstungskonversion und ein Tau, an dem man ziehen soll, damit dann doch nix passiert. Italienischer Beitrag in der Kritik der Feuilletons.
Es gibt ja viele offene Fragen auf der Biennale. Was ist das eigentlich für ein Seil, das im russischen Pavillon aus der Wand quillt? Und warum passiert rein gar nix, wenn man dran zieht, obwohl ein Schild doch „Pull!“ fordert? Gehört die monströse Yacht, die vor den „Giardini“, dem Ausstellungsgelände in Venedig, ankert, wirklich Roman Abramowitsch? Und: Wenn Ayse Erkmen typisch venezianisches Brackwasser in einem Röhren-Labyrinth trinkfertig aufbereitet – ist das eigentlich Kunst oder eher was für den Klempner?
Was uns aber am meisten interessiert: Was hätte eigentlich Christoph Schlingensief dazu gesagt, dass nun alle mit größtem Respekt vor ihm dienern, ihn sogar – richtig lieb haben!?
Man kann nur spekulieren, wie dieser Umstrittenheits- Künstler, Regisseur, Provokateur mit der postumen Heiligsprechung umgegangen wäre. Hätte er seine „Kirche der Angst vor dem Fremden in mir“, die im deutschen Pavillon aufgebaut ist, vielleicht ein bisschen weniger gravitätisch möbliert? Die herzzerreißenden Schluchzer, die nun vom Band durch die Installation klingen, durch ein Augenzwinkern erträglicher gemacht? Zu vermuten ist aber: den Goldenen Löwen, mit dem seine „Kirche“ als bester Länderpavillon ausgezeichnet wurde, hätte er entweder eingeschmolzen — oder versucht, ihn Berlusconi vor die Füße zu schleudern.
Denn eins war er nie, dieser genialische Unruhestifter: artig. Und schon gar nicht: ein Mann fürs Museum. So gern hätte er diesen Biennale-Beitrag noch selbst inszeniert. Mitten in den Vorbereitungen starb Schlingensief, und so wurde aus einer Ausstellung von ihm eine Ausstellung über ihn, notgedrungen, aber deshalb nicht unbedingt eine billige Notlösung. Susanne Gaensheimer vom Frankfurter Museum für Moderne Kunst hat als Kuratorin versucht, die wichtigsten Facetten des Gesamtkunstwerks Schlingensief zu würdigen und ist keinesfalls gescheitert. In einem Seitenraum werden Filme gezeigt, darunter natürlich das „Kettensägen-Massaker“, die Schlingensiefsche Version der Wiedervereinigung, in einem anderen die Eindrücke seines letzten großen Projektes, dem Aufbau eines Operndorfs im afrikanischen Burkina Faso.
Den Hauptraum betritt man durch einen roten Vorhang, dahinter ein Gotteshaus, die Impression der Oberhausener Herz-Jesu-Kirche, in der Schlingensief einst Messdiener war. Auf dem Altar: ein ausgestopfter Hase. Daneben: das Krankenbett. An den Wänden: die Röntgenbilder. Auf dem Boden: zwei weiße Kindersärge. Auf einer Leinwand: Schmalfilme aus der Kindheit, der kleine Christoph an der Nordsee, das Fluxus-Oratorium eben, mit dem Schlingensief 2008 auf der Ruhr-Triennale den Krebs verarbeitete.
Amerikanischer
Panzer auf dem Rücken
Ist das „nur“ Schlingensiefs Tod, dem da die Messe gelesen wird – oder der Tod im Allgemeinen, die ultimative Erfahrung? Schwer zu sagen. Und dennoch scheinen alle: berührt.
Das kann man wahrlich nicht von vielen Beiträgen sagen, mit denen die 54. Esposizione Internationale d’Arte, die Biennale zu Venedig, bestückt worden ist, der deutsche Pavillon hat seinen Preis zu Recht bekommen. Es gibt Kritik an dieser Versammlung der Moderne, zu wenig Bewegung, sagen die einen, zu viel Belanglosigkeit, die anderen. Lichtblicke, die das diesjährige Motto „IllumiNazione“ von den Teilnehmern fordert, sind rar, Lärm allerorten. Vor dem amerikanischen Pavillon rasseln die Ketten eines auf dem Kopf liegenden Panzers, darauf trabt ein Athlet. Vor allem Italien bekommt sein Fett weg. Bilder vom Ramschtisch, schimpft das internationale Feuilleton, ein plakativ ans Kreuz geschlagenes Italien, darüber der Spruch „L’Arte non e cosa nostra“, was man jenseits der Mafia-Anspielung auch mit „Kunst ist nicht unser Ding“ übersetzen könnte. Man zuckt mit den Schultern und denkt: Da ist was dran.
Da ist Schlingensiefs „Kirche“ schon vom anderen Holz. Zu besichtigen ist hier Unruhe, Rebellion. Was hat er sich doch gestemmt gegen den Lungenkrebs, dieser Christoph Schlingensief, die Wut über das angebliche Unrecht („Seit zwanzig Jahren rauche ich doch nicht mehr!“) in die Frage entladen: Warum gerade ich? Und doch wieder nur die Antwort erhalten: Warum gerade du nicht?