Essen. . Selbstbespiegelung und Gesellschaftsfragen: Tanz NRW 2011, das Festival der freien Szene, ist in Essen angelaufen

Erst bricht der Stuhl unter ihr zusammen, dann kündigt sie – aus der Rolle getreten – den zweiten Teil ihrer Aufführung an. Naoko Tanaka ist „Die Scheinwerferin“ und beleuchtet mit ihrer Taschenlampe nicht nur bilderstark ihr Innenleben, sondern ihre Mittel zur fiktiven Weltenerschaffung gleich mit. Bei Samir Akikas intensiv-verspielter Performance „Me& myMom“ erzählen und betanzen Profis und Laien ihre eigenen Müttergeschichten. Und Silke Z. lässt mit „Jess and Angus“ zwei Männer um die 50 aufeinandertreffen, ihre Körper und Wünsche charmant zur Schau stellen.

Es ist der Eröffnungsabend von „Tanz NRW11“ bei PACT Zollverein, der Best-of-Plattform für die freie Tanzszene Nordrhein-Westfalens. Und so unterschiedlich die drei Performances in Technik und Stil auch sein mögen, allen dreien ist eins gemeinsam: Die Choreografen und Performer machen sich und ihre Kunst zum Thema.

Die drei Eröffnungsinszenierungen gehören zu insgesamt 20 Produktionen, die bis zum 15. Mai in acht Städten (Essen, Düsseldorf, Köln, Krefeld, Bonn, Münster, Viersen und Wuppertal) gezeigt werden. Sie wurden aus 50 gesichteten Künstlern und Kollektiven ausgewählt: Klassische Solo-Abende, aber auch Breakdance und Interventionen im öffentlichen Raum. Die Vielfalt der hiesigen freien Tanzszene ist riesig, vermittelt das Programm. Die finanzielle Förderung hingegen ist zu gering. So lässt sich das Festival, das nun zum dritten Mal stattfindet, auch als eine Art Spielförderung verstehen. Je­des Stück wird auf ein bis drei Bühnen gezeigt und bekommt ein größeres Publikum.

PACT-Leiter Stefan Hilterhaus hat zudem den Trend zu konkreten und gesellschaftlichen Fragestellungen ausgemacht. Samir Akika und sein Künstlerkollektiv „Un­usual Symptoms“ bringen etwa das Erwachsenwerden und Mutter-Kind-Beziehungen trashig, ironisch, manchmal auch traurig-rührend auf die Bühne. Vorn werden Duette getanzt und Klavier gespielt, hinten Sektenriten nachgespielt, da­zwischen springen kleine Kinder herum. Das zieht sich zwar manchmal mächtig in die Länge, erzeugt aber auch viele atmosphärisch beeindruckende Szenen. Vor allem aber wird der Abend zu einer persönlichen Angelegenheit, weil jeder Darsteller von sich und seinen Erinnerungen erzählt.

Gleiches gilt für „Jess trifft Angus“, der zweiten Episode von Silke Z.’ Generationenprojekt „Unter Uns!“. Die Choreografen Jess Curtis und Angus Balbernie faszinieren in ihrer Ehrlichkeit, in der sie ihre körperlichen Schwachstellen und Sehnsüchte choreografisch reduziert, aber punktgenau formulieren.