Moers. .
Schriftsteller Daniel Kehlmann kommt zu Wort, dazu gibt’s Thesen des Philosophen Peter Sloterdijk. Ab und an hört man natürlich auch Molière: Das Schlosstheater Moers überrascht mit einer besonderen Interpretation von „Der Geizige“.
Es ist zumindest ungewöhnlich, was Regisseur Philipp Preuss dieser Tage am Schlosstheater Moers mit Molières Komödie „Der Geizige“ anstellt. Theaterblut zum Beispiel bringt man mit diesem Stück sonst weniger in Verbindung, schon gar nicht in den Mengen, mit denen hier gearbeitet wird. Und dass mitten in der Aufführung beim Italiener angerufen wird, um fünf Pizzen zu bestellen (die dann auch geliefert werden), steht ebenfalls nicht in den Regieanweisungen für diesen französischen Klassiker um Geiz und Habgier.
Puristen jedenfalls werden es schwer haben bei solchem Umgang mit einem derart vertrauten Autor. Schon wie der Abend anfängt: Nicht das Heim des geizigen Harpagon erblicken wir, sondern einen Theaterraum, in dem offenbar eine Leseprobe zu „Der Geizige“ ansteht. Vier Schauspieler (Matthias Hesse, Marieke Kregel, Patrick Dollas, Katja Stockhausen) versammeln sich friedlich, bevor ein Regisseur (Frank Wickermann) die Szene betritt, der mit dem Begriff „Berserker“ nur unzulänglich beschrieben wäre. Dass er gleichzeitig auch noch Titeldarsteller in seiner eigenen Inszenierung ist, versteht sich bei diesem grenzenlosen Egomanen von selbst.
Was wir also tatsächlich sehen, ist Molière nur noch in Bruchstücken, ansonsten erleben wir eine höchst komische Persiflage auf ein deutsches Regietheater, wie es uns bestimmte Medien immer wieder als Feindbild offerieren. „Der Geizige“, lässt uns der herum schnauzende Regisseur wissen, ist längst abgespielt, auserzählt, etwas Totes aus dem Repertoire. Kräftig durchgequirlt aber mit den Thesen eines Peter Sloterdijk, der in einem Aufsatz für die FAZ den Staat als das tatsächlich „geldsaugende Ungeheuer“ kenntlich gemacht habe, könne man eine Reanimation versuchen.
Bizarrer Größenwahn
Damit schlägt die Stunde der pausenlosen Regieeinfälle und eines bizarren Größenwahns, den Wickermann leider konsequent mit viel zu viel Dezibel formuliert. Seine Rolle als geiziger Harpagon und als die des Regisseurs verwachsen förmlich ineinander, Hab- und Eifersucht vermengen sich in gefährlichen Graden, nicht zuletzt auch zur Gaudi des Publikums. Am Ende sind die Worte abhanden gekommen: Vater und Sohn Harpagon stehen sich bei ihrer großen Auseinandersetzung nur noch als brüllende Godzilla-Bestien gegenüber, die blutend auf der Strecke bleiben.
Molières Happy-End wird nur noch pflichtgemäß abgehakt, für das wahre Happy-End sorgt der Autor Daniel Kehlmann. Dessen peinlicher Salzburger Rede wider das deutsche Regietheater von vor zwei Jahren, hier mit schöner Naivität aus Frauenmund vorgetragen, hat man in Moers aufs Feinste Gestalt verliehen: Im Hintergrund röcheln nur noch lädierte, verschmierte, erschöpfte Kreaturen. Mag auch der breite Sloterdijk-Bezug zu Beginn nicht immer Schlüssigkeit besitzen, ein intelligenter Spaß ist Philipp Preuss mit diesem Abend zweifellos gelungen. Das Premierenpublikum im Moerser Schloss zeigte sich erstaunlich aufgeschlossen und begeistert.