Düsseldorf. . Benjamin Brittens „Billy Budd“ an der Rheinoper: dreieinhalb Stunden Musiktheater, spannend bis zum letzten Takt.
Benjamin Brittens „Billy Budd“ feierte Samstag an der Rheinoper Premiere: dreieinhalb Stunden Musiktheater, spannend bis zum letzten Takt.
Regisseur Immo Karaman toppte damit seinen Erfolg mit Brittens „Peter Grimes“. Die „Indomitable“, die „Unbesiegbare“, ein Kriegsschiff in den Koalitionskriegen gegen Frankreich um 1800, hält bei Britten nicht das geringste Plätzchen für Seefahrer-Nostalgie bereit. Das von Nicola Reichert in die Mitte des 20. Jahrhunderts verlagerte Bühnenbild zeigt die düstere Kulisse eines Kriegsschiffs, das die die Mannschaft wie ein Kerker umklammert. Türöffnungen führen nicht in die Freiheit, sondern erinnern an Verbrennungsöfen. Das Schiff entpuppt sich als Gulag, als „Totenhaus“ auf hoher See. Eine einschnürende Kulisse für eine reine Männergesellschaft, die von Angst paralysiert wird. Die Mannschaft hat Angst vor den Offizieren, die Offiziere fürchten Meutereien der Mannschaft, alle hassen den Krieg und erschrecken vor der inneren Leere.
Ohne plakative Überzeichnung
Brutalität bestimmt den Alltag, die Karaman nie plakativ überzeichnet, sondern vor allem durch Körperhaltung und die bedrückende Atmosphäre ausdrückt. Homoerotische Gefühle als Ventil aus dem unmenschlichen Vorhof zur Hölle zeigen in diesem Klima keinen Ausweg, sondern treiben die Geschichte in die Katastrophe.
Bewundernswert, wie subtil Karaman das bizarre Dreiecksverhältnis zwischen Kapitän Vere, dem Schiffsprofos John Claggart und Bootsmann Billy Budd formt. Der junge und gutmütige Billy erweckt mehr als dienstliche Gefühle in den beiden Männern, die sie unterschiedlich bewältigen. Kapitän Vere entwickelt ein väterliches Verhältnis, Claggart möchte das unerreichbare Objekt seiner Begierde zerstören und provoziert den Jungen durch Intrigen zu einer Gewaltattacke, bei der Billy Claggart erschlägt.
Als Rückblende erzählt
Dem Todesurteil durch das Kriegsgericht stimmt Vere schweigend zu. Eine Tatsache, die den Kapitän sein Leben lang verfolgt. Angelegt ist die Geschichte als Rückblende aus der Sicht des alten und kranken Kapitäns. Ein Rückblick voller Schuldgefühle ohne nostalgische Verklärung. In der pervertierten Welt des Militarismus gibt es nur Opfer.
Peter Hirsch am Pult der Düsseldorfer Symphoniker entfaltet die dunkel brodelnde Partitur mit kongenialer Konsequenz. Mit stoischer Ruhe behält er seine elegischen Tempi bei, in keinem Takt sucht er nach effektvoller Brillanz. Damit bietet er den Sängern einen vorbildlichen Nährboden. Und den nutzt das Ensemble mit reicher Ernte. Für Sami Luttinen ist die an sich unsympathische Figur des verhassten Claggart die Rolle seines Lebens. Uns begegnet ein Mann von einschüchternder persönlicher Autorität, aber kein Monster. Da hat es Lauri Vasar schwer, in der Titelpartie gesanglich als auch szenisch eine Spur zu brav und naiv, wenn auch auf hohem Niveau. Raymond Very muss als Kapitän Vere in die Fußstapfen von Peter Pears treten, dem genialen Tenor und langjährigen Lebengefährten Brittens.
Ein fulminant singender Chor
Das vielköpfige Ensemble weist keinen Ausreißer auf, ebenso wenig der fulminant singende Chor. So liebevoll Britten selbst die kleinste Rolle bedacht hat, so scharf hat sie Karaman charakterisiert und so differenziert wird auch gesungen. Begeisterter Beifall für eine der besten Opern-Produktionen weit und breit.