Zeitgenössische Literatur aus Japan zeigt die Seelentiefe eines Volkes, das Katastrophen zu überstehen weiß: Wir empfehlen Bücher von Yoko Ogawa, Haruki Murakami, Banana Yoshimoto, Hiromi Kawakami und Kenzaburo Ôe.
An einem sonnigen Sonntag geht eine Frau in eine Bäckerei, um zwei Erdbeertörtchen zu kaufen; sie begegnet Luftballonverkäufern und Kindern, kurz: „Eine ganz und gar perfekte Szenerie, makellos und vollkommen, entfaltete sich im hellen Licht. Egal, wo man hinschaute, man hätte meinen können, es gäbe keinen Verlust auf dieser Welt.“
Wer sich von der japanischen Autorin Yoko Ogawa blenden lässt, dem wird sie im soeben erschienen Erzählband „Das Ende des Bengalischen Tigers“ (Liebeskind, 222 S., 18,90 €) einen Fall aus sehr großer Höhe bescheren. Drehen sich die elf kunstvoll miteinander verwobenen Geschichten doch um: zwei brutal ermordete Männer und einen an Altersschwäche gestorbenen; eine junge Mutter, die ihrer schweren Krankheit erliegt und eine andere, die ihr Kind verlor: „Mein Sohn starb vor zwölf Jahren im Innern eines Kühlschranks. Ein defektes Gerät auf einer Müllkippe, in dem er erstickt war.“ Damals ließ sie die Erdbeertörtchen, die für seinen Geburtstag gedacht waren, auf dem Küchentisch verschimmeln. Seither kauft sie an jedem Jahrestag neue.
Yoko Ogawa zeigt uns die tiefe Seele Japans: Ihre Protagonisten sind tatsächlich nicht überrascht von dem Bedrohlichen, das in ihr Leben dringt – weil sie wissen, auf welch dünnem Eis ihr Dasein baut. Sie lassen sich ein auf irrationale, märchenhafte Ereignisse. Und sie leben ihre Gefühle in Gedanken aus: So wie die frisch verlassene Friseurin, die im „Museum für Folterinstrumente“ davon träumt, ihrem Ex-Geliebten alle Haare auszureißen. Einzeln.
Ogawa ist ein Meisterwerk gelungen: kraftvoll und sinnlich, verstörend und betörend. Sie erzählt von Menschen, die Katastrophen überleben können. Und auch diese Romane helfen, Japan zu verstehen:
Globales Liebesunglück
Haruki Murakami ist Experte für ein Liebesunglück von globaler, verbindender Gültigkeit. Nichtkennern sei besonders sein Roman „Naokos Lächeln“ empfohlen – selten ist das Gefühl der Vereinzelung in der Gemeinschaft so treffend beschrieben worden. Vom Ton her poetischer legt Banana Yoshimoto den Seelenschmerz der jüngeren Generation bloß, zum Beispiel im Pop-Roman „Kitchen“.
Geister am Meer
Das Meer, das die Menschen verschluckt: Davon erzählt Hiromi Kawakami im Roman „Am Meer ist es wärmer“. Keis Ehemann kam vermutlich bei einem Fährunglück ums Leben. Im Fischerdorf Manazuru begegnet sie Geistern, die sie führen. Ein tröstliches Buch über einen tragischen Verlust – der soeben tausendfach erlitten wurde.
Die Atomkatastrophe
Auf entsetzliche Weise prophetisch ist der schon 1990 erschienene Roman „Therapiestation“ des Literaturnobelpreisträgers Kenzaburo Ôe: Atomkatastrophen haben die Erde verwüstet, die Gesellschaft spaltet sich in Gesunde und Verseuchte. Dies wäre ein düsterer Science Fiction, gäbe es nicht diesen humanistischen Grundton und eine Liebesgeschichte, der ein Kind entspringt – ein Retter der Welt? Ach, wäre es doch wahr.