„Endlich glücklich leben.“ „Top im Job.“ „Gelassen im Stress.“ „Die Kraft der Großzügigkeit.“ „Verzeih dir selbst.“ „Unterwegs zum Ich.“ „Werde, was du bist.“ „Mit eigenen Händen: Selbstverwirklichung durch kreatives Klavierüben.“ – Nur acht von gefühlten hunderttausend Ratgebertiteln, die den modernen Menschen zur ewigen Baustelle erklären und die eigene Existenz für chronisch unzureichend. Auf das Diktat der steten Selbstbespiegelung aber verzichte ich gern für eine kleine Weile. Und bin sieben Wochen lang einfach nur mein kleines, unvollkommenes, gestresstes, ignorantes, fehlerhaftes Selbst:
Können Sie sich noch an die Zeiten erinnern, in denen man einfach mal eine gewagte These oder ein im Vorbeigehen aufgeschnapptes Halbwissen ungeschützt in den Raum stellen konnte? Das Gegenüber war verblüfft, erstaunt oder begann, sein eigenes Gehirn einzuschalten. Das waren die seligen Zeiten vor der Ära der Nachgoogelbarkeit. Heute geht das nicht mehr. Kommt eine These geflogen, greift das Gegenüber zum Smartphone und googelt sie kaputt. Deshalb: Bis Ostern wird hinter keiner These und Tatsache mehr hergegoogelt, Wikipedia hat Pause, es lebe das Wissen aus einer vernachlässigten, ungeheuer vielseitigen Datenbank. Nennt sich Hirn.
Auf Filme mit gewalttätigen Frauen können wir gut verzichten. Nichts gegen Aggressionen, auch Frauen können gerne mal im Film wutgeladen alles kurz und klein hauen. Das befreit! Aber muss es dabei so freizügig zugehen? Dicke Wumme, freier Bauch, kurzer Rock. Da möchte man aufstehen und ihnen fürsorglich den Wollschal ums nackte Dekolleté legen, bevor sie mit Strapsen durch die Wildnis sprinten. Wer sich so kleidet, muss die Kalaschnikow bald gegen eine Wärmflasche tauschen! Das ist dann gar nicht mehr sexy. Zum Glück tragen diese Damen meist langes Haar. Es ist zwar ein Rätsel, wie sie damit noch beim Kampf durchblicken, aber immerhin wärmt die Pracht die Ohren.
Als die Pastorin darum bat, im Gottesdienst zu Schulbeginn nicht zu fotografieren, machte es wie zum Hohn „klick!“- „blitz!“-„klack!“. An Gelegenheiten, wichtige, große, schöne Momente zu Tode zu fotografieren, mangelt es nie, vom Popkonzert bis zum Karnevalszug. Aber bis Ostern könnte man ausprobieren, ob man mehr vom Leben mitbekommt, wenn man nicht pausenlos versucht, es stillzustellen. Und wer Entzugserscheinungen bekommt, kann sich ja spätestens bei der Ostereier-Suche mit einer XXL-Doku-Serie Großaufnahmen austoben.
Im Auslandsurlaub, wenn das Hotelfernsehen nur RTL, Sat 1 oder Pro Sieben zu bieten hat, haben erste Trainingsläufe bereits stattgefunden. Nun wird es ernst: Bis Ostern verzichten wir ganz auf öffentlich-rechtliche Programme. Hartgesottene dürfen sich nach halber Strecke auf RTL II beschränken. Am Ende winken ein frisch gewaschenes Gehirn und ein Trash-Junkie vor dem Schirm, der bis zum 11. November Zeit hat, aus diesem Parallel-Universum wieder herauszufinden.
Schon beim Formulieren des Verzichts legt man sich heute ja gedanklich Zügel an. Hat nicht schon irgendwer diesen Vorsatz gehabt oder vorgelebt? Im Zeitalter des Plagiats droht selbst der heroische Verzicht wie schales Epigonentum zu wirken. Nachgeäfft und abgekupfert. Und wer die Fußnote seines Vorsatzes nicht nennt, kann gleich den Doktorhut nehmen. So verzichten wir Zweitverwerter und Neudeuter auf den Verzicht. Sieben Wochen voller echter Entbehrung sind für die Google-Gesellschaft nämlich bloß – echt langweilig.