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Berührend: Die nachgelassenen Erzählungen von John Updike erscheinen unter dem Titel „Die Tränen meines Vaters“ nun auch auf Deutsch. 18 Geschichten, von denen der amerikanische Schriftsteller, der 2009 starb, vielleicht nicht alle veröffentlicht hätte.
Für Philip Roth ist das Alter ein Massaker. Bei John Updike aber, der vor seinem Tod im Januar 2009 immer milder und nachsichtiger wurde mit dem groben, lärmenden, ich- und sexsüchtigen Amerika, sind die späten Jahre wie ein zögerliches, wehmutdurchtränktes Winken. So jedenfalls muten seine letzten Erzählungen an, die heute in dem Band „Die Tränen meines Vaters“ erscheinen. Updike hat darin die Pop-Art-Farben seiner Hasenherz- und Hexen-Romane durch melancholische Pastelltöne ersetzt.
Fast immer blicken die mehr oder minder traurigen Helden des Alltags zurück auf ihre kleinen Leben, die so waren und sind, wie sich’s in der bürgerlichen Mittelschicht nun mal lebt: halbwegs ausgepolstert, mit kleineren und größeren Unfällen und dem sehnsuchtsförderlichen Verdacht, da könne noch mehr sein an Leben, Abenteuer, explodierendem Glück. Am Ende wird man sich fragen, was es zu bedeuten hat, „dies Ungeheuerliche, dass wir Kinder waren und jetzt alt sind und nebenan vom Tod wohnen“.
Das Leben – ein Schatz
Jede der Geschichten hat einen eigenen Rückblickfang. Mal ist es ein Klassentreffen des Abschlussjahrgangs 1950 an der Olinger High, und es führt noch einmal zurück aus der von Knochenkrebs verschatteten Gegenwart in den stillen, warmen Raum des ersten Kusses, um den sich ein Universum von unsichtbaren Sternenmassen drehte. Ein andermal ist es die Spanien-Reise zweier Menschen im sechsten Lebensjahrzehnt, hochkultiviert und kleinkariert, die testen wollen, ob sie für eine zweite Ehe taugen.
Das Leben, das einem groß, erfüllend, das ganze Ich einnehmend vorkam, während es passierte, wird in der Draufsicht am Ende zu einem Schatz, der seine schäbigen Stellen haben mag, den man aber dennoch nicht hergeben möchte: Das einzige, was eigen ist und bleibt über den letzten Atemzug hinaus. So schlendert ein Mann in einer der leisesten und besten Geschichten dieses Bandes sein vier Hektar großes Grundstück in Massachusetts ab, um hier und dort mit dem Schuh zu scharren in den vier Epochen, die das Haus im Laufe des 20. Jahrhunderts erlebt hat. Alte Fundamente und dickwandige Flaschen, ein verkohlter Arbeitshandschuh oder eine Tasse aus feinem Porzellan kommen zutage, der „gesprenkelte Mulch von vier Generationen“ und mit ihm die Geschichten, wie es gewesen sein könnte, damals. Am Ende findet der Mann leicht verrottete Golfbälle, aus seiner ersten Zeit im neuen Haus, als er noch hoffte, ein guter Golfer zu werden. Er ist auch nur Epoche, Episode, das Leben endet, aber es hat kein Ziel.
Es lohnt, sich hin und wieder durchzubeißen
Nicht jede dieser nachgelassenen Geschichten erweckt den Eindruck, als habe Updike sie wirklich veröffentlichen wollen. Manche mag im Laufe eines langen Lebens an der Schreibmaschine aus Einsicht beiseitegelegt worden sein; die 9/11-Story „Spielarten religiöser Erfahrung“ aus vier verschiedenen Perspektiven etwa reicht nicht annähernd an die Ungeheuerlichkeit des Ereignisses und an das heran, was wir darüber längst wissen, glauben, fühlen. Und manche blasse Passage ist auch nicht pastellfarben, sondern bloß von nachlassender Erzählkraft getrübt. Ausgerechnet die Eingangsgeschichte eines Pannen-Urlaubs im Marokko der 60er-Jahre ist nur eine Kette von Anekdoten; kaum komisch, sondern seltsam läuft sie auf einen läppischen Schluss hinaus.
Und doch lohnt es, sich hin und wieder durchzubeißen. Denn nicht die Geschichte, das Seelenbild ist Updikes Stärke: Die Menschen in seinem Kosmos sind vertraute Fremde und fremde Vertraute für uns.
- Der Band „Die Tränen meines Vaters“ umfasst 18 Erzählungen und erscheint nun im Rowohlt Verlag. Er hat 367 Seiten und kostet 19,95 Euro. Er ist auch als E-Book erhältlich (für 19,99 Euro)