Essen. .

„Amadeus“-Dirigent und Orchestergründer, Ritter und Mozart-Anwalt: Sir Neville Marriner im Gespräch. Trotz seiner 86 Jahre steht der verschmitzte Brite noch am Pult „seiner“ Academy. Diesen Donnerstag etwa im Dortmunder Konzerthaus.

Die Queen schlug ihn zum Ritter, vor über 50 Jahren gründete er die legendäre „Academy of St. Martin in the Fields“, und als Dirigent der Filmmusik zu „Amadeus“ hörten ihm selbst jene zu, die nie ins Konzert gehen: Neville Marriner. Trotz seiner 86 Jahre steht der verschmitzte Brite noch am Pult „seiner“ Academy. Diesen Donnerstag etwa im Dortmunder Konzerthaus. Lars von der Gönna sprach mit dem Sir über Rituale, gute Eltern und das iPhone.

Ihre Konzerttournee steht im Zeichen des Abschieds. Klingt für Sie Wehmut mit bei den Konzerten, die Sie dem deutschen Publikum jetzt geben?

Sir Neville Marriner: Mit der Academy komme ich ja seit Jahrzehnten nach Deutschland. Es waren viele glückliche Konzerte und es war immer auch ein großer Ansporn. Aber wie bei allen schönen Dingen muss man sich klar machen, dass es früher oder später irgendwann das letzte Mal sein kann.

Der Frack, der Saal, das andächtige Zuhören: Ein Konzert ist ein altmodisches Ritual. Hat es Zukunft?

Neville Marriner (c) EMI / Alistair Morrison
Neville Marriner (c) EMI / Alistair Morrison

Marriner: Ich sag Ihnen mal was: Selbst ich erwische mich manchmal bei dem Gedanken, der sagt: Ach, jetzt zu Hause bleiben und im Sessel bei einem Glas Wein in der Hand die Stereo-Anlage aufdrehen! Keine Parkplatzsuche, kein Schlangestehen an Ticket-Stand und Garderobe... Das geht anderen natürlich erst recht so. Die dauernde Verfügbarkeit von Musik in hoher Qualität ist verführerisch. Andererseits bleibt es etwas sehr Besonderes, mit anderen Menschen das Erleben von Musik zu teilen und zwar in dem Moment, wo sie entsteht. Das macht mich für die Zukunft recht zuversichtlich.

Ihre Lebensleistung ist unbestritten. Was waren die entscheidenden Faktoren Ihrer Karriere?

Marriner: Tja, ich glaube, ich hatte ein ziemlich gutes Händchen bei der Auswahl meiner Eltern. Aber im Ernst: Natürlich hat man einen Riesenvorsprung wenn man aus einem musikalischen Haus kommt. Und dann gab es eben das große Glück junger Gleichgesinnter, mit denen ich damals die Academy gründen konnte. Das Orchester war das Herz meiner Karriere und ist es immer geblieben. Und ich habe das Glück, mit einer wunderbaren Frau verheiratet zu sein, die eine absolut vorbehalt- und furchtlose Kritikerin meiner Arbeit ist.

Sie haben die Filmmusik eines Blockbusters dirigiert: „Amadeus“. Ist das ein Lehrstück, wie man Massen für Klassik begeistern kann?

Marriner: Amadeus löste einen rasanten Anstieg des Verkaufs von Mozart-Aufnahmen aus, nicht nur unserer. In meinen Augen hatte das ganz viel mit einem Interesse der Menschen an einem jungen Mann zu tun, der eben Mozart hieß. Es ging vor allem um ein Lebensgefühl. Das ist ganz oft der Punkt, wenn Sie Menschen für Kunst begeistern wollen: Sie brauchen einen persönlichen Zugang – zur Musik, zu einem Buch oder einem Bild. „Amadeus“ war so ein Schlüssel.

Ihr langes Leben hat Sie im Zeitalter der Apps und iPods ankommen lassen. Spielen digitale Medien in Ihrem Leben eine Rolle?

Marriner: Vor Jahren habe ich mir ein Mobiltelefon gekauft. Das ist schon alles. Ich habe nicht die geringsten „Gadgets“ (Anm. der Red.: technische Spielereien). Bei mir zu Hause ist der letzte Schrei ein Fax-Gerät! Ich würde gern einen Com­puter haben, aber meine Enkel sagen, dafür sei ich zu dumm.

Zu dumm für Mozart sind Sie offenkundig nicht...

Marriner: Ach, wahrscheinlich weil ich mit Mozart einfach mehr Erfahrung habe (lacht).

Sie werden im April 87. Verändert das Alter Ihre Arbeit?

Marriner: Naja, Sie haben mit Ende 80 nicht mehr besonders viel Zeit. Das macht mich ausgesprochen vorsichtig bei musikalischen Entscheidungen.

Sie haben alle großen Meister gespielt. Gibt es den Komponisten oder das eine Stück für die einsame Insel?

Marriner: Der Komponist ist Mozart, da gibt es so vieles, seine Quartette, die Sinfonien, die Konzerte, die Opern. Aber wenn ich nur ein Stück auswählen dürfte, wäre es wohl sein „Requiem“. Bei allen Lücken, die es in diesem Werk gibt: Für mich bleibt das ein unfassliches Wunder, wie ein 35-Jähriger in seiner Lage der Welt etwas ganz und gar Außergewöhnliches vermacht hat.