Düsseldorf. .

Beim Konzert von Unheilig in der Philipshalle wurde klar: Was Sänger Der Graf dort präsentiert, liegt irgendwo zwischen Hans Albers und Pur, zwischen Goth und Schlager. Aber es funktioniert.

„Unglaublich, was in diesem Jahr alles passiert ist“, sagt Bernd Heinrich Graf und das mit vollem Recht. Vom Kultbandstatus hin zu massenkompatiblen Modell hat der Aachener sein Bandprojekt „Unheilig“ 2010 gesteuert, bis hin zur Bambi-Auszeichnung. Die war dem Sänger mit dem markant geteilten Backenbart allerdings nicht ganz geheuer. „Da war ein Reporter, der fragte, was trägst du heute Abend?“ „Einen Anzug, sieht man doch.“ „Nein, vom wem?“ „Von Mutti…“

Das ist witzig und schlau, hat er durch die ironische Distanzierung doch auch denjenigen den Wind aus den Segeln genommen, die ihm den kommerziellen Ausverkauf vorwarfen. Klar, wer Unheilig bislang als sein spezielles Geheimnis hütete, mag sich verraten fühlen angesichts des äußerst heterogenen Publikums. Immerhin gibt es die Band seit zehn Jahren.

Seemannsromantik für die Gegenwart

Sie sind noch da, die Goths in Schwarz, aber auch die in Jeans oder dezent schicken Outfit, die Kinder sind da, die Eltern und sogar die Omas. Irgendetwas muss sie berührt haben, seit „Geboren um zu leben“ der Megahit wurde. Vielleich liegt es ja wirklich an dem Wind und an den Segeln. Bevor der Graf, wie er sich ja nun wirklich nennen darf, die Bühne betritt, läuft Hans Albers vom Band, wie man früher sagte, und das Erfolgsalbum „Große Freiheit“ strotzt ja nur so von Seemannsromantik.

Und die hat schließlich Tradition. Der Hamburger Hans Albers gab den Bonvivant, „Seemanns Braut ist die See“, der gebürtige Österreicher Freddy Quinn passte die Lyrik dem entwurzelten Nachkriegsdeutschland an. „Heimatlos sind viele auf der Welt.“ Danach war lange Pause mit Wind und Meer.

Erst der Graf hat, ob nun bewusst oder nicht, auf diese Traditionen zurückgegriffen. „In deiner Urkraft liegt es, durch den Sturm zu gehen, in nordisch stillem Stolz jede Flut zu überstehen“, heißt es in „Große Freiheit“ allerdings bei ihm und beweist, dass ihm sowohl Humor als auch Sentimentalität abgehen. Hoffen wir mal, dass es als Hommage an Helmut Schmidt gedacht ist.

Manche Texte sind purer als Pur

Überhaupt, die Texte. „Schneit der Himmel weiße Sterne, werden Wünsche wieder wahr“, ist purer als Pur. Darin liegt aber auch das Geheimnis des Erfolges. Der Graf hat verstanden, wie man große Gefühle in simple Worte fasst, und er hat verstanden, wie man eine Subkultur in den Mainstream navigiert. Und so wie der Schlager mit Matthias Reim oder Peter Maffay sich den Rock einverleibt hat, hat der Graf Gothik mit dem Schlager gepaart. Das Seltsame daran ist – es funktioniert.

Das liegt sicher an der Echtheit der Figur, der Graf, ungleich seiner Puppe, die man für 20 Euro am Merchandising-Stand erwerben kann, ist ein authentischer Star, seine Unbeholfenheit ist nicht kalkuliert, und Songs wie „Unter deiner Flagge“ sind Hits, wie es sie auch international gibt. Und wenn er dann am Bug des Bühnenschiffes steht oder sich vom künstlichen Nebel einhüllt, dann ist das großes Kino. Ernst nehmen – nein, das muss man es nicht. Man sollte es aber auch nicht abtun. Der Graf ist ein Seemann, der zumindest für die nächsten Jahre sicher vor Anker gegangen ist.