Mülheim. Eine Theaterlegende kommt an die Ruhr: Eva Mattes spielt in der Regie Roberto Ciulli. Ein Interview über MeToo, Mut und Unsicherheit.

200 Filme, dazu Theatergeschichte noch und nöcher. Eva Mattes ist eine große Schauspielerin von der Sorte, die kein Aufheben um ihre Künste macht. Nun hat Roberto Ciulli sie gewonnen, in seinem jüngsten Werk eine Rolle zu spielen. Lars von der Gönna traf Eva Mattes vor der Premiere - zum Gespräch über MeToo, Ungerechtigkeit, den Motor der Kunst und die kreative Chance der Unsicherheit.

Eva Mattes spielt an Mülheims Theater an der Ruhr

Willkommen an der Ruhr – und zu einem Rekord: Roberto Ciulli ist mit fast 91 der älteste Regisseur, mit dem Sie je gearbeitet haben. Als Sie – noch nicht einmal volljährig – in Ihren Beruf kamen, hätten alle Regisseure Ihre Väter bis Großväter sein können… Macht das Alter einen Unterschied für Ihre Arbeit?

Eva Mattes: O Gott, darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht. Aber: Altersmäßig nein! Außerdem arbeiten alle Regisseure jeden Alters anders als Roberto Ciulli – insofern ist das der Unterschied.

Wie ist denn Herrn Ciullis Anderssein?

Sein Anderssein ist, dass er den Schauspielern einen enormen Raum lässt. Und in einem Punkt geht er dabei noch über Peter Zadek hinaus: Er sagt, dass die Schauspieler auch Autoren sind – in dem sie auf der Bühne ihre Sätze verlebendigen, fangen sie an, zu erfinden. Das ist natürlich großartig für einen Schauspieler. Ich muss hier nichts nachmachen oder bloß ausführen.  Ich kann mich optimal entfalten. Das ist mir die liebste Art, ich muss hier nicht „brav“ sein.

„Ich wollte einfach unbedingt spielen!“ Schauspielerin Eva Mattes über das, was sie seit fast 60 Jahren antreibt. Als Kind sang sie den Titelsong zum Film „Pippi Langstrumpf“ und lieh Lassies Besitzer Timmy ihre Stimme.
„Ich wollte einfach unbedingt spielen!“ Schauspielerin Eva Mattes über das, was sie seit fast 60 Jahren antreibt. Als Kind sang sie den Titelsong zum Film „Pippi Langstrumpf“ und lieh Lassies Besitzer Timmy ihre Stimme. © FUNKE Foto Services | STEFAN AREND

Obwohl Sie eine Große in Ihrem Fach sind, gelten Sie als duldsam. Es muss, hört man, schon viel passieren, ehe Sie „Stop!“ sagen. In der „Zadek-Familie“ sollen Sie aber eine der wenigen gewesen sein, die die Traute hatte zu sagen: „Jetzt ist es aber mal gut“…

Sie haben Recht! Ich bin sehr lange geduldig, ich hör‘ mir auch alles an, probiere alles aus. Aber wenn jemand über die Stränge schlägt, etwa Schauspieler oder Schauspielerinnen sehr schlecht behandelt, dann platze ich. Das dulde ich nicht (lacht). Und das hat auch bei Peter Zadek gewirkt: Er hörte dann auf, sich schlecht zu benehmen.

Als die MeToo-Debatte aufkam und das Thema der alten weißen Männer, hatten Sie schon eine Riesenkarriere im Rücken. Hat die Debatte Sie dennoch anders auf Erlebtes zurückblicken lassen?

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Ich konnte mich teilweise ganz gut wehren, nicht immer. Ich kann nicht behaupten, dass ich Übergriffe erlebt habe. Vielleicht gab es erst Respekt vor meiner Jugend, später dann, weil ich Erfolg hatte. Ich konnte mir früh die Regisseure aussuchen, mit denen ich arbeitete. Aber ein anderes Beispiel: Ich hätte gern mit Dieter Wedel gearbeitet! Warum? Weil mir Kolleginnen berichtet hatten, wie er sie am Set fertiggemacht, gedemütigt hat. Das hat mich so empört – ich war 17, 18 – , dass ich gedacht hab‘: „Mit dem möcht‘ ich arbeiten! Weil dem würd‘ ich so einschenken…“ Ich hätte mir ein Vergnügen daraus gemacht, den anzubrüllen, zurückzuschreien.

„Vergnügen zurückzuschreien“: Eva Mattes hat Wut auf Typen wie Dieter Wedel

Dabei gelten Sie als friedvolle, unzickige Künstlerin...

Ich bin gar nicht angriffslustig, ich ertrag bloß Ungerechtigkeit einfach nicht. Das war von Kindesbeinen an so. Als der Lehrer ein anderes Kind schlug, schoss ich wie eine Rakete von meinem Sitz hoch und hab‘ geschrien: „Das dürfen Sie nicht!“ Der Mann hat sich geschämt – und es nie wieder gemacht. Wedel hat mich übrigens nie engagiert; er hat es wahrscheinlich gerochen (lacht).

Theatergeschichte geschrieben: Eva Mattes und Ulrich Wildgruber im Deutschen Schauspielhaus Hamburg in „Othello“. Peter Zadek, mit dem Mattes Jahrzehnte arbeitete, führte Regie. 1976 war die Shakespeare-Inszenierung ein deutscher Theaterskandal.
Theatergeschichte geschrieben: Eva Mattes und Ulrich Wildgruber im Deutschen Schauspielhaus Hamburg in „Othello“. Peter Zadek, mit dem Mattes Jahrzehnte arbeitete, führte Regie. 1976 war die Shakespeare-Inszenierung ein deutscher Theaterskandal. © Laible | Andreas Laible

Im Theater geistert nicht selten immer noch so was herum wie „Druck bringt Kunst hervor!“

Ich glaub‘ das nicht! Ich glaube, dass man mit Lob, Unterstützung und Geduld viel mehr erreicht als mit Angst. Die macht einen doch bloß zu.

Ihre erste schauspielerische Arbeit hatten Sie mit nur 12 Jahren, nun sind Sie 70 und offenbar doch recht unbeschädigt durch diesen heiklen Berufsstand gekommen. Was hat Ihnen Halt gegeben?

Die Kunst selbst. Ich wollte einfach unbedingt spielen. Meine Mutter war Tänzerin und Sängerin, zu Hause gab es große Parties, Zarah Leander war bei uns, solche Leute. Wenn ich manchmal nachts kurz auf war, hab‘ ich die Atmosphäre als warm und zauberhaft empfunden. Ich weiß noch, dass ich unter diesem Eindruck in einer Nacht geweint und gesagt habe: „Ich will auch Schauspielerin werden!“

Leben ohne Glamour: „Ich wollte immer nur durch meine Arbeit auffallen“

Andererseits symbolisierte das Leben Ihrer Mutter, die ein UFA-Star gewesen ist, einen Glamour, für den Sie nun überhaupt nicht stehen. Man sagt Ihnen sogar eine „Rote-Teppich-Allergie“ nach…

Von dieser Welt habe ich mich früh abgesetzt, schon mit 12 wusste ich: das auf keinen Fall! Meine Mutter fand es toll, wenn Klatsch über sie in der Abendzeitung stand. Ich wollte immer nur mit meiner Arbeit auffallen.

Apropos Arbeit: Ulrich Tukur macht Ihnen ein besonders Kompliment. Er schätzt es, dass eine so große Schauspielerin sich zur Unsicherheit bekennt…

Im Theater, kurz vor dem Auftritt, wenn ich in der „Gasse“ stehe, gibt es tatsächlich diesen Moment, dass ich denke: „Oh, was mache ich denn jetzt?“ Das ist keine Angst. Das ist Offenheit, die heißt: Ich lass mich jetzt überraschen, vom Text, von meinen Kollegen, von mir selbst.

Den Schuss nie gehört: Trotz ihrer entschiedenen Abneigung gegen Knallerei aller Art wurde Eva Mattes „Tatort“-Kommissarin des SWR. Als Klara Blum ermittelte sie mit Kai Perlmann (Sebastian Bezzel) am Bodensee.
Den Schuss nie gehört: Trotz ihrer entschiedenen Abneigung gegen Knallerei aller Art wurde Eva Mattes „Tatort“-Kommissarin des SWR. Als Klara Blum ermittelte sie mit Kai Perlmann (Sebastian Bezzel) am Bodensee. © SWR/Johannes Krieg

Sie haben noch in einem anderen Medium eine gewaltige Fangemeinde: als Hörbuch-Interpretin, nehmen wir nur das Gesamtwerk Jane Austens. Da sind sie eigentlich alles: Regisseurin, Spielerin aller Rollen, akustische Bühnenbildnerin… Ein Ort nur für Sie?

Durchaus! Dass ich eine Arbeit ganz allein gestalten kann, mich so intensiv mit Literatur beschäftigen, einem Text auf eine ganz andere Weise Leben einhauchen als auf der Bühne, das fasziniert mich schon sehr. Ehrlich: Als ich die ersten eigenen Hörbücher in der Hand hatte, die waren für mich wertvoller als alle Filme und Theaterstücke.

Zu Gast bei Roberto Ciulli

Eva Mattes spielt als Gast in der aktuellen Produktion des Theaters an der Ruhr: In „Pasolini. Io so - Mitteilungen an die Zukunft“ geht Regisseur Roberto Ciulli auf Spurensuche nach seinem berühmten Landsmann, dem 1975 ermordeten Filmemacher, Literaten und Essayisten Pier Paolo Pasolini. Aufführungen bis 13. März im Theater an der Ruhr, Akazienallee 61, Mülheim. Tickets: www-theater-an-der-ruhr.de

Auch wenn Sie die Klara Blum längst an den Nagel gehängt haben: Ganz ohne „Tatort“-Frage möchten wir Sie nicht entlassen. Sie sind möglicherweise die einzige Darstellerin der Kult-Reihe, die keinen Pistolenknall ertragen kann. Haben Sie das dem SWR gleich aufgetischt, als das Angebot kam?

Stimme mit gewaltiger Fangemeinde: Eva Mattes hat sich nicht zuletzt als Hörbuch-Interpretin profiliert. Um die 100 Werke nahm sie auf. Der „Deutsche Hörbuchpreis“ würdigte ihre Arbeit für die gesprochene Literatur.
Stimme mit gewaltiger Fangemeinde: Eva Mattes hat sich nicht zuletzt als Hörbuch-Interpretin profiliert. Um die 100 Werke nahm sie auf. Der „Deutsche Hörbuchpreis“ würdigte ihre Arbeit für die gesprochene Literatur. © picture alliance / Henning Kaiser/dpa | Henning Kaiser

Ich glaub‘, nicht gleich (lacht). Aber ich hab‘ denen dann schon bald gesagt: „Also die Schüsse müsst Ihr aus der Dose holen!“ Noch schlimmer war’s in Annauds Kriegsdrama „Enemy at the gates“, da flogen die Granaten und Patronen mir ja nur so um die Ohren. Kurz vorher hab‘ ich gedacht: „Bin ich völlig bekloppt?“ und dann bin ich da einfach durch unter dem Motto „Dann sterb‘ ich eben jetzt!“ Ich hab‘ geschrien, die ganze Zeit. Anschließend hat die ganze Crew samt hunderten Komparsen applaudiert – wohl auch meinem Schrecken, der absolut echt war (lacht).