Berlin. Ein Film, so frisch und authentisch, dass man jedes Klischee gleich wieder verzeiht: „Könige des Sommers“ über eine Jugend auf dem Land.
Von Erwachsenen werden Jugendliche oft für ihre Neigung zur Selbstüberschätzung kritisiert. Aber der typisch jugendliche Größenwahn kann auch etwas ganz Wunderbares sein. Wie etwa im Fall von Totone (Clément Faveau): Der 18-Jährige, der mit seinem Vater und seiner jüngeren Schwester auf einem kleinen Bauernhof im französischen Jura lebt, wirkt mit seinen Wuschelhaaren, den immer ein bisschen verdreckten Hemden und einer skeptisch-schiefen Körperhaltung so rau und ungeschliffen wie die Landschaft um ihn herum.
Die ersten Szenen von Louise Courvoisiers Film „Könige des Sommers“ zeigen ihn bei typischen Landjugend-Beschäftigungen: trinkend, rauchend, mit Freunden Krawall schlagend. Dann stirbt überraschend der Vater, und Totone hat auf einmal die Verantwortung für den Hof und die kleine Schwester an der Backe. Er ist dem nicht gewachsen, im wahrsten Sinne des Wortes. Aber hier kommt der Größenwahn ins Spiel: Er selbst merkt das gar nicht gleich.
Er hat keinen richtigen Plan, aber er scheut auch vor keiner Arbeit zurück. Um Geld zu verdienen, nimmt er einen Job in einer Käserei an. Aber wie das so ist unter Nachbarn auf dem Land, gibt es schon einiges an bösem Blut zwischen ihm und den Söhnen des Familienbetriebs. Es ist Sommer, die Temperamente gehen mit ihnen durch, und bald ist Totone den Job schon wieder los.
Aber anstatt aufzugeben, fasst er einen kühnen Plan: Er hat erfahren, dass in der Gegend jährlich ein Käse-Wettbewerb ausgeschrieben wird. Für den besten Comté, die Spezialität hier im Jura, gibt es bis zu 30.000 Euro. Und obwohl er noch nie selbst Käse gemacht hat, beschließt Totone, diesen Wettbewerb zu gewinnen. So führt Selbstüberschätzung zur Freisetzung von ungeahnten Kräften.
„Könige des Sommers“ feierte im vergangenen Jahr auf dem Filmfestival von Cannes Premiere, wo er in der Sektion Un certain regard mit dem Jugendpreis ausgezeichnet wurde. Und zu einer ganzen Reihe von Filmen gehörte, die den Blick einmal weg von der vielgefilmten Metropole Paris und hin in die versteckten Ecken der französischen Provinz wagten.
Die Milch macht‘s. Dazu macht man sich an die Milchbäuerin ran
Das Besondere von Louise Courvoisiers Filmdebüt ist denn auch weniger die Handlung, die etwas an Kinderfilme erinnert, als die vielen authentischen Details der Inszenierung. Dass der Großteil des Ensembles aus nicht professionellen Darstellern besteht, ist ein Teil davon. Obwohl die Szenen oft in geradezu malerisch-warmes Sommerlicht getaucht sind, spürt man in jedem Setting die Vertrautheit der Filmemacherin mit dieser Umgebung.
Um den besten Käse zu machen, braucht es die beste Milch, das ist die erste Lektion, die Totone verinnerlicht. So macht er sich an Marie-Lise (Maiwène Barthelemy) heran, die einen Milchhof betreibt, auf dem sie ihre Kühe mit dem Besten versorgt. Während er ihr einerseits schöne Augen macht, instruiert er andererseits seine kleine Crew von Eingeschworenen, ihr nachts die Milch zu klauen. Das kann natürlich nicht lange gut gehen.
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Die Missverständnisse werden schließlich in einem etwas schematischen, slapstickhaften Ablenkungsmanöver auf die Spitze getrieben, aber der Film gewinnt seinen Figuren überraschende Tiefen ab. Marie-Lise ist keine Frau, die sich passiv anbeten und betrügen lässt. Sie ergreift selbst die Initiative. Besonders als das erste Mal zwischen ihr und Totone eben nicht so glatt läuft, wie es andere Filme immer so vormachen. Auch das ist typisch Land, wenn man so will: Man kann sehr direkt sein, gerade was den Sex angeht.
Man begreift, wie viel Fingerspitzengefühl zum Käsemachen gehört
Filme aus und über die Provinz geraten schnell in den Ruf, eine Art Fremdenverkehrswerbung zu betreiben. An einer Stelle besuchen Totone und seine Freunde selbst einen von Touristen frequentierten Workshop, in dem eine ältere Frau die Handgriffe demonstriert, die zum Comté-Machen gehören: Das Rühren von Milch und Lab im Kupferkessel bis zum richtigen Moment, an dem man mit Gaze-Tuch beherzt hineingreifen und die Rohmasse herausholen muss.
Man begreift, wie viel Fingerspitzengefühl zu diesem Handwerk gehört. In diesem Sinn macht „Könige des Sommers“ tatsächlich Werbung: für Käse, fürs Jura-Gebirge, aber mehr noch für Filme, die so frisch und authentisch erzählen, dass man jedes Klischee auch gleich wieder verzeiht.
Komödie, Frankreich 2024, 90 min., von Louise Courvoisier, mit Clément Faveau, Maïwène Barthelemy, Luna Garret