Berlin. Luca Guadagninos Verfilmung von William S. Burroughs‘ Roman „Queer“ lebt vor allem von der mutigen Performance seines Hauptdarstellers.

Daniel Craig hat in seiner Amtszeit als James Bond die Agentenfigur geprägt wie keiner vor ihm. Er hat sie auch kräftig gegen den Strich gebürstet und am Ende sogar, was ihm nicht jeder Fan verzieh, sterben lassen. Nach seinem Ausstieg aus der 007-Reihe aber tut Daniel Craig nun alles, um Bonds hypermaskulines Image loszuwerden und zu brechen.

„Queer“: Auf der Suche nach Drogen, Rausch und Sex

Das tat er schon als Detektiv Benoît Blanc in bislang zwei „Knives Out“-Filmen, deren letzterer seine exzentrische Figur ganz beiläufig als schwul outete. Und nun spielt Craig einen älteren Schwulen in der William-S.-Burroughs-Verfilmung „Queer“, die das schon plakativ im Titel trägt. Ein Amerikaner, der sich im fernen Mexiko seinen Süchten hingibt. Dem Suff. Dem Morphium. Und dem Sex mit jungen Männern. Was auch zum Grenzgang zwischen Alterswürde und Fremdscham wird.

Seine Figur William Lee ist ein klares Alter Ego von Burroughs, einem der großen Literaten der Beat Generation. Der musste einst selbst aus den Staaten fliehen, um seinen Ruf zu wahren. Und verlustierte sich in Mexiko, wo es damals weit freizügiger zuging als in den prüden Vereinigten Staaten. „Queer“ legte er Anfang der 50er-Jahre an als Monolog eines autofiktiven Charakters, dem er denselben Namen gab wie schon dem in seinem Roman „Naked Lunch“. Und doch traute sich Burroughs erst drei Jahrzehnte später, „Queer“ zu veröffentlichen.

Craig spielt diese ambivalente Junkie-Figur mit einer virilen Verletzlichkeit. Wie er seine Vergangenheit im Suff ertränkt und zugleich schnellen Sex für die Nacht sucht, um sie nicht allein oder mit seinen Dämonen verbringen zu müssen. Das lassen sich die meisten, die mit ihm gehen, etwas kosten. Aber dann trifft Lee eines Tages auf einen jungen Ex-Soldaten, der ihn sofort fasziniert: Eugene Allerton (Drew Starkey). Da hält auch der Film für einen Moment die Luft an. Und dann stellt Lee ihm nach, drängt sich ihm geradezu auf, pfeift auf das Letzte, was er noch hat: seine Würde.

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Daniel Craigs Grenzgang zwischen Komik und Tragikomik

Der Jüngling lässt lange offen, was er von dem Alten hält, ob er überhaupt schwul ist. Aber dann geht er doch mit zu dem älteren Herrn. Und es kommt zu expliziten Sexszenen, wie man das von einem Star der obersten Liga, der nicht selbst schwul ist, bislang kaum gesehen hat. Craig besorgt nicht nur einen Blow Job, danach tropft auch Sperma von seinen Wangen. Und dann ist er beim Analsex zu sehen.

Sein Lee ist eine Grenzfigur, stets zwischen Komik und Tragikomik schwankend, ein Mann auf der ständigen Suche nach dem Exzess, nach dem Selbstvergessen, in der der Mime aber auch immer wieder tiefe Einsamkeit durchblitzen lässt, die Trauer um die eigene verlorene Jugend und die Hoffnung, dennoch begehrt zu werden. Während der Junge mit Lee spielt, ihn immer wieder anzieht und zurückstößt und offen mit anderen flirtet, Männern wie Frauen. Womit er den Alten um den Verstand bringt. 

Die Schauspieler hatten keine Scheu vor expliziten Szenen.
Die Schauspieler hatten keine Scheu vor expliziten Szenen. © Mubi | A 24

Am Ende will der sich seinen Dämonen dann doch stellen. Und sucht, mitsamt seinem Lover, im tiefsten Dschungel Südamerikas nach der sagenumwobenen Droge Yagé, die man aus Lianen gewinnt. Ein Selbstfindungstrip, der zum Exzess wird, auch was die Filmbilder betrifft. Schon davor sind die Kulissen von Mexiko so hyperrealistisch gehalten, dass sie superkünstlich und unecht wirken. Nun, auf dem Trip im Dschungel, verschwimmen Realität und Rausch komplett. Wobei der reale Geliebte irgendwann auch verloren geht und nur noch als Phantasma bleibt. Dies allerdings bis zum Schluss. 

Inszeniert hat das der Italiener Luca Guadagnino, der schon mit „Call Me By Your Name“ einen schwulen Bestseller erfolgreich und vielfach preisgekrönt verfilmt hat. „Queer“ hat Guadagnino, selbst offen schwul, schon als Jugendlicher gelesen. Und wie das oft so ist bei Filmemachern: Bücher, die sie früh geprägt haben, müssen sie verfilmen. Luchino Visconti hat das mit Thomas Manns „Tod in Venedig“ getan, Rainer Werner Fassbinder mit Jean Genets „Querelle“. 

Italy Venice Film Festival Queer Photo Call
Regisseur Luca Guadagnino (M.) mit seinen Stars Daniel Craig (r.) und Drew Starkey bei der Premiere ihres Films auf den Filmfestspielen von Venedig im September. © picture alliance / Vianney Le Caer/Invision/AP | Vianney Le Caer

Guadagninos großer Coup ist dabei der Star, der mutig die Hauptrolle übernahm. Auch wenn Craig schon als junger Mann, in „Love is the Devil“ (1998), einer Filmbiographie über Francis Bacon, den jungen Geliebten des Malers spielte. Jetzt, mit 56, ist das Verhältnis umgekehrt. Er spielt diesmal den älteren Künstler, spielt auch das eigene Alter mutig heraus. Mit einem anfangs blütenweißen Leinenanzug, der im Laufe des Films immer zerknitterter, verschwitzter und vergilbter wird. Eine starke Performance, die Craig da hinlegt und bei der er sich selbst nicht schont.

Leider geht er, nachdem er sich so in diese Rolle hineingeworfen hat, nach der Premiere auf dem Filmfestival von Venedig im September nicht mehr ganz so offen mit dem Thema um. Und muss stets betonen, dass er nicht queer ist. Das ist schade, weil unnötig. Aber das sollte keineswegs davon abhalten, sich diesen irren Filmtrip anzuschauen.

Drama, USA/Italien 2024, 137 min., von Luca Guadagnino, mit Daniel Craig, Drew Starkey, Jason Schwartzman, Leslie Manville