Berlin. Drei Jahre nach dem weltweiten Erfolg und einer beispiellosen Marketing-Kampagne folgt der nächste Teil der Erfolgsserie. Die Kritik.

Sie sind wieder da, die bewaffneten Wächter in den pinken Overalls, deren Gesichter hinter schwarzen Masken mit Kreisen, Quadraten und Dreiecken verborgen sind. Vor dem Marketing für die zweite „Squid Game“-Staffel gibt es derzeit kein Entkommen. In Bangkok wurde die ikonische Red-Light-Green-Light-Puppe in Originalgröße über den Fluss Chao Phraya gefahren, als handele es sich um eine buddhistische Gottheit. In New York, Sydney und Madrid haben kürzlich Einrichtungen namens „Squid Game Experience“ eröffnet, in denen man sich den „spektakulärsten Herausforderungen der Serie stellen“ kann, wie die Werbung dafür verspricht. Weltweit sorgen Plakate und Social-Media-Kampagnen für Dauerpräsenz, während zeitgleich das Franchise-Geschäft in neue Dimensionen vorstößt: Der Online-Übersetzungsdienst Duolingo erweitert seinen koreanischen Wortschatz um Squid-Game-Vokabeln, Whiskyproduzent Johnny Walker bringt eine „Black Label Squid Game Edition“ heraus und Microsoft hat für seine XBox ein Gamepad in exklusiver Auflage entwickelt, das von den pinken Anzügen der Wächter inspiriert ist.

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Es gibt noch viel mehr solcher Beispiele, der Hype kennt keine Grenzen. Und das ist auch kein Wunder. In Zeiten massiv wachsender und qualitativ mindestens gleichwertiger Konkurrenz auf dem Streamingmarkt ist „Squid Game“ eine Art Lebensversicherung für Netflix geworden. Als die erste Staffel vor drei Jahren erschien, erreichte sie allein im ersten Monat weltweit ein Publikum von mehr als 111 Millionen Menschen. Zudem sollen 87 Millionen Menschen die komplette Serie in den ersten 23 Tagen gestreamt haben. Sie ist die meistgesehene Produktion auf dem Portal und wird es noch lange Zeit bleiben. Es ist dabei nicht ohne Ironie, dass der größte kommerzielle Erfolg von Netflix im Kern eine beißende Satire auf den Kapitalismus ist. Genauer: auf seinen sozialdarwinistischen Kern, der nur dem Stärksten das Recht auf den Sieg zugesteht.

Squid Game
Der geheimnisvolle Mann im Anzug (Gong Yoo, links) rekrutiert neue Spieler. © . | Netflix

Denn darum geht es in Squid Game: 456 katastrophal verschuldete Spielerinnen und Spieler dürfen auf einer geheimen Insel irgendwo vor der koreanischen Küste an einer Reihe von Kinderspielen teilnehmen. Wer versagt, wird erschossen. Bei „Red Light, Green Light“ darf man sich nur dann auf einer vorgeschriebenen Strecke bewegen, solange die riesige Puppe nicht „Red Light“ ausruft. Zuckt man danach auch nur, ist man des Todes. In einem anderen Spiel geht es darum, mit einer Nadel eine bestimmte Form aus einem hauchdünnen Dalgona-Keks auszustechen, sonst: gute Nacht. Und so weiter. Wer am Ende gewinnt, geht mit einem Jackpot von 45,6 Milliarden Won nach Hause (umgerechnet etwa 30 Millionen Euro). Am Ende der ersten Staffel war das Gi-hun (Lee Jung-jae), der damit allerdings nicht sein Lebensglück fand und an den traumatischen Erlebnissen fast zerbrach – bis er den Vorsatz fasste, den Drahtziehern hinter dem „Squid Game“ auf die Spur zu kommen und ihrem tödlichen Treiben ein Ende zu bereiten.

„Squid Game“: Die Steigerungslogik lastet bleischwer auf der zweiten Staffel

Das ist die Ausgangslage, vor die sich Regisseur und Drehbuchautor Hwang Dong-hyuk selbst gestellt hat. Was seine erste Staffel so interessant und kompatibel für die Gegenwart machte, war die verstörende Verbindung von knallbunter Instagram-Ästhetik und Maschinengewehrsalven, von Kinderzimmer und Massaker. Das rührte weltweit an Urängste, während es doch zugleich Voyeurismus schürte: Wen würde es im nächsten Spiel erwischen, welche Perfidie würde die gerade gesehene noch überbieten, war ein Ausweg denkbar, eine Revolte gegen das Aufsichtspersonal? Diese Fragen stellen sich auch vor dem zweiten Teil, der zugleich dem Szenario etwas hinzufügen muss, ohne seinen Wiedererkennungswert preiszugeben. Die selbstgewählte Steigerungslogik und ein erheblicher Innovationsdruck lasten wie Blei auf dem Unternehmen. Kann das gut gehen?

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Um es kurz zu machen: nur in Teilen. Obwohl man sich ja freut, den alten Bekannten wiederzutreffen, den melancholischen Gi-hun. Jahre nach seinem Sieg im Squid Game dirigiert er mit seinem Geld ganze Teams durch die Straßen Seouls, um den Mann im Anzug (Gong Yoo) ausfindig zu machen, der auch ihn einst für den Todeswettkampf rekrutierte. Der ist in den U-Bahnhöfen unterwegs und spielt mit hoffnungslosen Existenzen Ddakji, wobei ein am Boden liegendes Papierquadrat mittels eines darauf geschleuderten anderen Quadrats umgedreht werden muss. Wen er dabei erfolgreich anfixt, den lädt er durch Übergabe einer Telefonnummer zum Squid Game ein. Irgendwann taucht er tatsächlich wieder auf. Doch für Gi-hun führt das letztlich nur dazu, dass er sich irgendwann erneut auf der Insel wiederfindet. Alles beginnt von vorn.

Squid Game
Plötzlich tauchen die Wächter in einer Disco auf. © Juhan Noh | Netflix

Ein paar Dinge sind dabei neu. Was davon kann man erwähnen, ohne zu spoilern? Man kann verraten, dass der Regisseur diesmal deutlich mehr Aufmerksamkeit auf das Wachpersonal richtet, das in einem Fall sogar mit einer eigenen Lebensgeschichte ausgestattet wird. Darüber hinaus sind die Abstimmungen, ob die Spiele weitergehen sollen, diesmal nach jeder Runde verpflichtend, was zu einer härteren Polarisierung im Kreis der Mitspielenden führt – dass hier die Realität mit ihren Frontlinien im öffentlichen Diskurs Pate gestanden hat, ist offensichtlich. Die Gegenwart mitsamt ihrer Diversität ist auch dem Cast eingeschrieben, zu dem diesmal ein Influencer, eine Transperson und ein verkrachter Krypto-Investor gehören.

Der etwas dünne Geschmack des zweiten Aufgusses stellt sich dennoch schon nach wenigen Folgen ein. Ja, es gibt neue Spiele, aber sie gehorchen den vorgeprägten Mustern. Ja, es gibt geheime Aktivitäten und eingeschleuste Maulwürfe, aber auch das konnte man ahnen. Hwang Dong-hyuk hat leider nicht den Mut, die von ihm geschaffene Welt völlig neu zu denken – und wagt erst viel zu spät den Ausbruch. Deshalb bewegt sich „Squid Game 2“ in den Bahnen des Altbekannten, ist über weite Strecken eher Remix als Fortsetzung. Das kann man sich anschauen. Muss man aber nicht.

Auf Netflix.