Essen. Die Weihnachtsgeschichte besteht aus wenigen, wohlgewogenen Sätzen. Sie könnte ein Vorbild sein. Für Feste der Freude – auch im Alltag.
Man mag es kaum glauben, aber die Weihnachtsgeschichte, die im Laufe der Zeit zu einem längst weltumspannenden wie kulturübergreifenden Fest geführt hat, besteht aus gerade einmal zwanzig Sätzen. Nur wenige so kurze Geschichten haben eine so lange und große Wirkungsmacht entfaltet wie die Worte im zweiten Kapitel des Lukas-Evangeliums. Es ist, als wolle die Geschichte Johannes, dem Kollegen von Lukas, recht geben, der sein Evangelium beginnt mit dem Satz „Am Anfang war das Wort“.
Reizüberflutung mit Domino-Effekt
Das ist ja auch unsere Erfahrung: Fast alles, was passiert, im Guten wie im Schlechten, lässt sich auf Worte zurückführen, nahm mit Worten seinen Anfang. Es ist deshalb nicht gleichgültig, welche Worte wir wählen. Wir sollten im Gegenteil wieder mehr Acht geben auf das, was wir so sagen oder schreiben. Wir lassen uns sicher zu oft von der Geschwindigkeit des Digitalen dazu verführen, unbedacht einfach Worte rauszuhauen. Ohne Rücksicht auf die Folgen, auf Verletzungen und Missverständnisse, die sie anrichten können. Manche mögen darin einen authentischen Ausdruck ihrer Persönlichkeit sehen. Aber ist der wirklich so wichtig? Wäre es nicht weitsichtiger, das Wort stehen lassen zu können, wie es in Luthers Kirchenlied heißt? Auch später noch, wenn die ersten Gefühle, die Empörung, der Ärger, die Wut vorbei sind? Denn ehe man sich’s versieht, sind auch bei anderen Empörung, Ärger und Wut angestachelt. Wahrlich, wir leben in einem Zeitalter der Gereiztheit. Diese allgegenwärtige Reizüberflutung hat einen Domino-Effekt.
Wie uns die Ereignisse des vergangenen Wochenendes lehren, müssen wir aber offenbar auch noch mehr Acht geben auf die Worte der anderen. Zuhören. Ernst nehmen. Manchmal sogar: beim Wort nehmen. Abwägen. Nachfragen. Verstehen wollen. Das klingt ein bisschen wie unsere alljährlichen Verhaltens-Ratgeber für ein friedliches Weihnachtsfest sogar in der eigenen Familie. Aber wäre es darum falsch? Wäre es da nicht sogar schön, wenn immer Weihnachten wäre? Wenn wir unsere Sehnsucht nach Frieden, die vielleicht nie größer im Jahr ist als jetzt, auch leben könnten? Wenigstens dort, wo nicht die Waffen das Sagen haben? Es wird, wie so oft, nicht gehen, ohne dass wir etwas dafür tun. Den ersten Schritt. Oder den zweiten. Wenigstens in Worten.
Muffensausen, Schaulustige und das Glück, dass „alles so gewesen, wie es ihnen gesagt worden war“
Es ist ja an der Weihnachtsgeschichte vielleicht nicht das Erstaunlichste, dass ein unverheiratetes Paar, obdachlos auf Zeit und in der Fremde, ihr Neugeborenes irgendwo hinbettet, wo gerade Platz ist. Die heimlichen Helden des Christus-Wunders sind die Hirten, die erst mächtig Muffensausen haben angesichts des plötzlich gleißenden Lichts um sie herum. Aber sie hören auf das Wort des Engels: „Fürchtet Euch nicht!“ Und werden so zu Schaulustigen eines im Grunde alltäglichen Geschehens, in dem dennoch eine weltweit wirksam werdende Sensation steckt. Was sie so furchtlos und am Ende sogar froh macht, ist eigentlich nur die Übereinstimmung von Wort und Wirklichkeit: „Die Hirten kehrten zurück, rühmten Gott und priesen ihn für das, was sie gehört und gesehen hatten, denn alles war so gewesen, wie es ihnen gesagt worden war.“
Wir werden uns aber in den nächsten Monaten wieder einmal nicht wundern, wenn Worte und Wirklichkeit drastisch auseinanderfallen. Ist ja Wahlkampf. Wie absurd, dass wir uns daran gewöhnt haben und abwinken. Wir sollten stattdessen darauf pochen, dass auch die Politik ihre Worte wägt. Und mäßigt. Dass sie bei den Tatsachen bleibt und uns nicht zynisch belügt. Um das verlangen zu können, müssten wir selbstverständlich bei uns selbst anfangen. Auf Worte achten, manchmal auch das erste Wort, das einem auf der Zunge liegt, herunterschlucken und Worte wägen. Wenn das gelänge – es wäre ein Fest des Friedens und der Freude!