Berlin. Der britische Frauenschwarm ist in seiner ersten Horrorrolle zu sehen, mit der er genüsslich sein eigenes Image persifliert: „Heretic“.
Kann man diesem Mann trauen? Er scheint doch ganz sympathisch, dieser Mister Reed. Eher ein bisschen linkisch und zerstreut. Also treten die zwei Mormonenmissionarinnen Schwester Barnes (Sophie Thatcher) und Schwester Paxton (Chloe East) unbekümmert in sein einsam abgelegenes Haus. Das aber hätten sie besser nicht getan.
„Heretic“ ist ein Horrorfilm, der sich mal nicht, wie der Großteil des Genres, an schrillen Schockern und billigen Effekten delektiert. Er setzt vielmehr von Anfang an auf eine unbehagliche Atmosphäre, die im Lauf des Films immer beklemmender wird. Und lange von gewaltigen Wortgefechten zwischen dem alten Herrn und den jungen Frauen, bis er schließlich ein offen mörderisches Katz-und-Mäuse-Spiel mit ihnen treibt. Der größte Schocker indes ist hier die Wahl des Hauptdarstellers. Weil der undurchschaubare Mr. Reed von Hugh Grant verkörpert wird. Vom ewigen Nice Guy des britischen Kinos also, der hier seine erste Horrorrolle spielt. Und das so unheimlich, dass man wirklich Gänsehaut kriegt.
Von Schwiegermuttis Liebling zu einer finsteren Mördergrube
Eigentlich ist Grant ja der Inbegriff des netten Typs von nebenan. Ein Mensch wie du und ich, ein bisschen attraktiver vielleicht mit seinen unschuldig blauen Augen und seinem strahlenden Lächeln. Was aber ironisch gebrochen wird durch seine unmännliche Männlichkeit, von der keinerlei Gefahr ausgeht. Eher ist er bei allem höflichen Charme etwas tapsig und zerstreut, ganz wie ein anderer großer Namensvetter: Cary Grant.
Hugh Grant überbietet das noch, mit seiner unbeholfenen Tollpatschigkeit, seiner verdrucksten Körpersprache und, sein Markenzeichen, die Haspelei, in die er sich gern verheddert. Damit wurde Grant in den 90er-Jahren zum ungekrönten König der RomCom, weil er nicht nur unerreichbare Frauen wie Andie MacDowell (in „Vier Hochzeiten und ein Todesfall“) oder Julia Roberts („Notting Hill“) herumbekam. Er war vor allem Schwiegermuttis Liebling. Ein Kind im Manne, das nie wirklich erwachsen werden wollte. Ein Berufsjugendlicher also, der vor allem mütterliche Instinkte weckte.
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Jetzt aber entpuppt sich der nette Typ von nebenan in „Heretic“ als titelgebender Ketzer und grausiger Mensch. Und das Spannende ist, dass der mittlerweile 64-Jährige das gar nicht so anders spielt als sonst. Sondern seine Paraderolle des unbeholfenen Charmeurs nur mit seinen typischen Manierismen variiert.
„Heretic“: Ein mörderisches Katz-und-Mäusespiel
Wir kennen es, das jungenhafte Lächeln, das höfliche Gestammel, die linkischen Bewegungen, mit denen er die beiden jungen Frauen hereinbittet und ihrer Mission lauscht. Aber das entpuppt sich bald als Maske, die fällt, wenn mehr und mehr herauskommt, dass vielmehr er die Schwestern missionieren will: zum Atheismus, zum Nihilismus. Dass er ihnen „beweisen“ will, dass alle großen Religionen nur voneinander abkupfern und ein Konsumprodukt seien. Und Missionare, Handlungsvertreter, die diese Ware feilböten.
Lauter Provokationen, mit denen Mr. Reed die jungen Frauen herausfordern und brüskieren will. Aber es bleibt nicht bei diesem intellektuellen Streitgespräch. Die Türen sind automatisch verriegelt und lassen sich nicht öffnen. Die Wände sind aus Metall, sodass es kein Mobilnetz gibt. Die Schwestern sitzen in der Falle. Bald geht es nicht mehr nur um die Existenz Gottes, sondern ums eigene, blanke Überleben.
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Schon früh, vielleicht schon immer hat Hugh Grant sein Image als schusseliger Frauenschwarm bekämpft. Hat sich vor 20 Jahren für „About A Boy“ die Wuschelmähne, noch so ein Markenzeichen, für eine zackige Kurzhaarfrisur abgeschnitten. Und sich auch im übertragenen Sinn Zöpfe abgeschnitten. In „Bridget Jones“ war er zwar einer der beiden Lover von Renée Zellweger, aber nicht mehr Sympathieträger, sondern ein Widerling.
Und immer weiter bürstet er sein Image gegen den Strich, macht sich über sich selbst lustig als winziger Oompa Loompa in „Wonka“. Oder machte schon mal den Testlauf als Bösewicht, in Tom Tykwers „Cloud Atlas“ in gleich in mehreren Figuren, in der Familienkomödie „Paddington 2“ und der Computerspieladaption „Dungeons & Dragons“. Inzwischen hat er fast schon so viele Bad Guys wie Good Guys gespielt. Aber erst jetzt gibt er sein Debüt im Horrorfach. Und zeigt, wie man auch als ehemaliger Berufsjugendlicher gut altern kann.
Ein diabolischer Hugh Grant, der sein eigenes Image exorziert
Das Regieduo Scott Beck und Bryan Woods zieht die Spannung lange aus dem Ungewissen, aus dunklen Farben und Bildern, verwirrenden, klaustrophobischen Räumlichkeiten, aus Anspielungen und dem Nicht-glauben-Wollen, was man da sieht. Und eine wortreiche Debatte über Gott und Religionen ist in diesem Genre auch eher eine Seltenheit, was den Film noch interessanter macht.
Zum Schluss kommt „Heretic“ zwar leider nicht ganz ohne die üblichen Schocker und unlogischen Wendungen aus. Da beugt man sich doch den Konventionen des Genres. Aber bis dahin ist „Heretic“ ein Grusel der anderen Art. Und was als Eindruck bleibt, ist ein diabolischer Hugh Grant, der sein eigenes Image exorziert. Und sein liebenswürdiges Sonnyboylächeln zum boshaften Haifischgrinsen verzerrt. Mission gelungen: Schwiegermuttis Liebling ist zum Alptraum mutiert.
Horror USA 2024, 110 min., von Scott Beck und Bryan Woods, mit Hugh Grant, Sophie Thatcher, Chloe East