Berlin. Regisseur Mohammad Rasoulof über seinen Film „Die Saat des heiligen Feigenbaums“, der als deutscher Kandidat ins Oscar-Rennen geht.
Seit Mittwoch steht „Die Saat des heiligen Feigenbaums“ auf der Short-List für den Auslands-Oscar. Ein Kuriosum: Denn der Film des iranischen Regisseurs Mohammad Rasoulof erzählt eine genuin iranische Geschichte und wurde auch heimlich im Iran gedreht. Die Endfertigung aber wurde in Deutschland vorgenommen, von hier kamen auch Produktionsgelder. Die Einreichung als deutscher Kandidat ist natürlich eine politische Entscheidung. Während der Regisseur im Ausland gefeiert wird – sein Todesstrafendrama „Doch das Böse gibt es nicht“ gewann auf der Berlinale 2020 den Goldenen Bär, „Die Saat“ in Cannes 2024 den Spezialpreis der Jury – , wurde ihm im Iran der Prozess gemacht. Weshalb der Regisseur im Mai geflohen ist und nun in Hamburg lebt.
„Die Saat des heiligen Feigenbaums“, der am 2. Weihnachtstag in die Kinos kommt, handelt vom Riss, der durch die iranische Gesellschaft geht: erzählt anhand einer Familie, deren Vater im Justizsystem aufsteigt und Todesurteile aussprechen muss, just als die „Frau, Leben, Freiheit“-Proteste beginnen, für die sich seine Töchter begeistern. Wir sprachen den Filmemacher in Luzern kurz vor Verleihung des Europäischen Filmpreises, für den sein Film auch drei Mal nominiert war.
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Herr Rasoulof, war Ihr Film eine direkte Reaktion auf die Protestbewegung im Iran? Oder hatten Sie bereits einen Film geplant, den Sie dann aktualisiert haben.
Weder noch. In den letzten Jahren hatte ich im Iran leider sehr viel mit Zensurbehörden und Sicherheitskräften, mit Vernehmern, Staatsanwälten, Richtern und Gefängniswärtern zu tun. Ich habe mich ständig gefragt, wie sie für das System arbeiten können, ob wir verschiedene Gene haben. Dann war ich im Gefängnis, und auf dem Höhepunkt der Proteste hatte ich eine zufällige Begegnung mit einem hochrangigen Gefängnisbeamten, der mir unter größter Verschwiegenheit erzählte, wie sehr er sich in seinem Beruf schämt. Dass er daran dachte, sich das Leben zu nehmen. Und seine Kinder ihn immer wieder heftig kritisieren: Wie kannst du Teil des Systems sein? Das brachte mich auf die Idee, eine Geschichte über eine Familie zu erzählen, in der genau diese Kluft entsteht. So konnte ich die Frage angehen, die mich schon so lange beschäftigt hat.
Der Film erzählt eine fiktive Geschichte, ist aber ganz eingebettet in die derzeitigen Realitäten des Iran. Wie stark haben Sie sich dabei an echten Personen angelehnt?
Ich bin ein Bewunderer von Dokumentarfilmen, mein erster Film war auch ein Dokudrama. Aber auch all meine Spielfilme sind immer ganz von meinen eigenen Erfahrungen inspiriert. Die Personen, die man in meinen Filmen sieht, haben mich auch in echt sehr beschäftigt. Sie zu beobachten war und ist sehr schwierig. Aber da man muss einen Weg finden, um das zu kanalisieren.
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In Ihren früheren Filmen haben Sie viel mit Metaphern gearbeitet. „Die Saat des heiligen Feigenbaums“ ist dagegen viel direkter.
Als ich anfing, war ich stark von der iranischen Poesie und Literatur beeinflusst, die unter äußerst repressiven Umständen entstand. Nur durch das Spiel mit Metaphern konnte man bestimmte Dinge ausdrücken. Ich habe viel davon in meinen frühen Arbeiten verwendet. Aber mir wurde klar, dass ich sie auch aus Angst benutzte. Weil ich wusste, was passieren würde, wenn ich die Dinge anders darstelle. Aber irgendwann kam ich an den Punkt, wo ich wusste, ich kann meinen Ängsten ohnehin nicht entfliehen.
Sie arbeiten bei Ihrem jüngsten Film auch mit Genre-Versatzstücken. Am Ende wird das ein richtiger Thriller.
Als ich das Drehbuch entwickelte, habe ich Filmkritiken aus dem Ausland gelesen. Ich hatte Angst, man würde mich dort in Stücke reißen und sagen, ich könne keine Filme machen. Denn das ist es, was sie im Iran behaupten. Deshalb nahm ich mir zwei Dinge vor. Ich sagte mir: Wenn du dich so nach Freiheit sehnst, warum nicht auch nach künstlerischer Freiheit? Andererseits war ich davon überzeugt, dass ich diesen Film niemals realisieren, nie zu Ende bringen würde. Da wollte ich wenigstens Spaß haben. Es war ein innerer Aufstand, jede Art von Einschränkung loszuwerden, um mich ganz zu befreien.
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Sie haben Ihren Film heimlich gedreht. Fertig gestellt wurde er aber in Deutschland. Wie kann man sich das vorstellen?
Ich hätte nie gedacht, dass die Politik mich so verfolgen würde und meine Filme als so gefährlich angesehen würden. Aber ich habe alle meine Filme im Untergrund gedreht. Und wir hatten immer einen ganz genauen Plan und waren auf alles vorbereitet. Das setzt ungeahnte Kräfte in dir frei, weil du immer funktionieren musst. Klar war aber, der Film kann nicht im Iran geschnitten werden. Das wäre zu riskant gewesen. Wir versteckten das gedrehte Material und schickten es in Proxi-Dateien ins Ausland. Meine Partner in Deutschland und Frankreich haben das geschnitten. Ohne dass ich dabei in Kontakt mit ihnen treten konnte. Aber sie haben das intuitiv richtig gemacht, obwohl sie kein Persisch verstehen.
Danach sind Sie aus Ihrer Heimat geflohen. Werden Sie künftig weiter politische Filme über den Iran drehen, auch von außerhalb?
Was ist ein politischer Film? In demokratischeren Verhältnissen wie bei Ihnen ist der Begriff wohl etwas enger gefasst. Wenn man es dagegen mit einem totalitären Regime wie dem Iran zu tun hat, hat Politik eine andere Bedeutung. Weil das Regime versucht, alles zu kontrollieren, ist es schon eine politische Angelegenheit, über das Klima im Iran zu reden, darüber, was Frauen tragen oder welche Farbe ihre Haare haben. Alles ist politisch. Was meine künftige Arbeit betrifft: Ich mag jetzt hier in Freiheit sein, aber mein Fall dort hat sich ja nicht geändert. Wenn ich wieder einen Film über den Iran drehe, wird das weiter politisch sein. Jeder Film über den Iran ist zwangsläufig politisch. Gleichzeitig wünsche ich mir, dass meine nächsten Filme einen größeren Rahmen haben könnten und nicht nur vom Iran handeln müssen.
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Der Westen feiert Sie. „Die Saat“ wurde in Cannes ausgezeichnet, ist für den Golden Globe nominiert und sogar deutscher Kandidat für den Auslands-Oscar. Wie empfinden Sie das?
Ich hätte nie gedacht, dass ich mal Teil einer Oscar-Kampagne sein würde. Mir war klar, Iran wird nie einen meiner Filme für den Oscar einreichen. Das ist eine ganz neue Erfahrung für mich. Dass Deutschland meinen Film als Kandidat ins Oscar-Rennen schickt, lässt mich fragen: Warum habe ich nie früher darüber nachgedacht? Warum habe ich mich immer nur als Iraner gesehen? Es ist eine schöne humane Geste, die mich stärkt und inspiriert. Ich habe jetzt Reisedokumente von Deutschland, obwohl mir immer gesagt wurde, dass das nie möglich wäre. Und wenn dieses Stück Papier mich an all diese Orte bringen kann, warum sollte das Kino nicht das Gleiche können? Das kann das Kino, auf jeden Fall!
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Glauben Sie, dass die jüngere Generation, die bei den jüngsten Protesten auf die Straße ging, eine Änderung des Systems bewirken kann?
Die junge Generation hat in den letzten Jahren schon große Veränderungen bewirkt. Das Wichtigste ist, dass den Menschen die Maske vom Gesicht gerissen wird. In einem totalitären Regime muss man immer verbergen, wer man ist, muss man immer so tun, als wäre man jemand anderes. Aber jetzt verstellen sich die Menschen nicht mehr. Das ist auch eine klare Botschaft an das Regime: wie gering die Legitimität im Land ist. Natürlich will das Regime davon nichts wissen und hofft, es kommt irgendwie durch. Aber nun ist klar, dass die Anerkennung auf einem historischen Tiefstand ist.
Sie leben nun in Hamburg. Wie gut sind Sie in Ihrem Exil angekommen?
Da werde ich wieder mit einer Metapher antworten. 2005 drehte ich meinen zweiten Film. Und wurde zum Filmfest Hamburg eingeladen. Ich lief damals durch die Straßen, es gefiel mir sehr dort, und ich sagte mir, eines Tages möchte ich hier wohnen. Dann, ich war schon wieder weg, bekam ich einen Preis, weshalb ich ganz schnell zur Preisverleihung zurückkehren musste. Dort kam eine mir unbekannte Frau auf mich zu und schenkte mir einen grünen Apfel. Sie sagte: „Ich liebe Ihren Film, deshalb habe ich für Sie diesen Apfel aus meinem Garten gepflückt.“ Ich glaube, mehr muss man nicht dazu sagen. Ich bin ein sehr glücklicher Mensch.