Bochum. Liedermacher Götz Widmann glänzt im Bahnhof Langendreer in Bochum gewohnt spontan und nahbar – trotz eines Stimmungsdämpfers.

Die Sache mit den Kiffer-Songs klärt Götz Widmann direkt zu Beginn. „Seit 30 Jahren habe ich mit meinen Liedern den Traum von der Legalisierung besungen“, sagt der 59-jährige Liedermacher. Die Cannabis-Freigabe der mittlerweile geschiedenen Bundesregierung sei für ihn also eine große Freude gewesen – „aber dann hatte ich plötzlich Panikattacken: Jetzt kann ich ja die Hälfte meiner Lieder wegschmeißen!“ Einen Joint später sei ihm jedoch klar geworden: „Das sind jetzt einfach keine Protestsongs mehr, sondern demokratieverherrlichende Lieder. Wir haben gemeinsam unser Ziel erreicht.“ Spricht’s und spielt im – leider nicht richtig vollen – Bochumer Bahnhof Langendreer an diesem Mittwochabend gleich als ersten Titel „Zöllner vom Vollzug abhalten auf der A4“, seine gefeierte Hymne zivilen Ungehorsams gegen die Cannabis-Fahndung.

Die Welt hat sich also weitergedreht, Widmann ist aber im Kern der Alte geblieben. Ja, die angezottelten Haare sind etwas grauer und weniger, der Bierbauch zeichnet sich unter dem T-Shirt noch etwas mittelschwerer ab als früher. Und wenn er heute nach „Die zarte Artischocke“ grinsend und unter Gelächter sagt, er wolle sich von der 1996 an moralisierende Vegetarier adressierten Stichelei distanzieren, weil der Fleischverzicht ja doch besser fürs Klima sei, dann steckt da natürlich ein echter Reifeprozess dahinter.

FÜHLEN Götz Widmann in Bochum
Andere Künstler setzen auf immer gleiche Liedabfolgen und vorbereitete Sprüche, Götz Widmann lässt den Abend impulsiv auf sich zukommen – und erfüllt auch spontan Songwünsche. © FUNKE Foto Services | Olaf Fuhrmann

Götz Widmann: Der freche Erbe von Degenhardt und Wader

Das Wesentliche aber hat Widmann sich stets bewahrt: Er ist immer noch jener ungehobelte Charmeur, der das politische Liedermacher-Handwerk von Franz Josef Degenhardt und Hannes Wader an der Schwelle zum neuen Jahrtausend in so vernebelte wie lüsterne Exzess-Hymnen (vor allem), Liebesballaden (manchmal) und aufrechte Klassenkämpferei (immer wieder) überführt hat. Der Trotz manchmal reibeisern dröhnender Stimme und punkiger Mittelfinger-Attitüde immer ein zu spät geborener Hippie und Menschenfreund war. Und der sich bis heute dem eigenen Lustempfinden folgend vom Zauber des Moments leiten lässt statt von starr durchgeplanten Konzertchoreografien, wie sie mittlerweile im Livegeschäft die Regel sind.

Im besten Sinne planlos tappen Künstler und Publikum hinein in diesen Abend: Schon während der ersten drei Lieder stimmt Widmann zwei Mal versehentlich eine Strophe doppelt an. Die Menge vergilt es ihm mit schulterklopfendem Jubel, und der Meister sinniert laut darüber, woran es nun eher gelegen hat: am Ablenkung stiftenden Dezibel-Messgerät über dem Mischpult, dass er sofort mit Geschrammel und Publikumsgeschrei ans Limit bringt. Oder daran, dass vor dem Auftritt ein Mikrofonständer in Widmanns Gitarre gestürzt ist und er nun ein vier Jahre lang ungespieltes Ersatzinstrument in den Händen hält.

FÜHLEN Götz Widmann in Bochum
Von 1993 bis 2000 war Götz Widmann Teil des Liedermacher-Duos Joint Venture – bis sein musikalischer Partner Martin „Kleinti“ Simon mit nur 34 Jahren an einem Herzinfarkt starb. Die alten Songs spielt Widmann seitdem auch als Solokünstler weiter. © FUNKE Foto Services | Olaf Fuhrmann

Mit 1,5 Promille in der Gesangskabine

Gerade zu Beginn erzählt Widmann heute mehr als dass er singt. Berichtet von den persönlichen Tiefschlägen zu Studentenzeiten, die im deprimierenden „Süffelmann“ mündeten. Von seinen frühen Jahren im Liedermacher-Duo Joint Venture, über die er gerade ein elfstündiges Hörbuch fertiggestellt hat. Oder auch vom neuen Titel „Partytime“, den er vor 30 Jahren begonnen und erst kürzlich wiederentdeckt habe und der „so albern eindimensional und drogenverherrlichend“ gewesen sei, dass er ihn konsequenterweise nicht unterhalb von 1,5 Promille Alkohol im Blut habe einsingen können.

Später weitet sich die Show immer mehr zu einer Art ungezwungener Kumpelei, aus den neckischen Zwischenrufen der Edelfans in den ersten Reihen entwickeln sich immer öfter Dialoge mit Widmann. Überhaupt tritt der mit einer für einen widerspenstigen Langschläfer untypischen Dienstleister-Mentalität auf: Schon vor der Tour hatte er seine Fans dazu aufgefordert, sich Songs von ihm zu wünschen, am besten per Mail vorab, damit er üben könne. Und auch jetzt spielt er spontan Wünsche wie „Freitag“, was die Wünschende mit ekstatischem Kreischen quittiert.

FÜHLEN Götz Widmann in Bochum
Leider ist der Bahnhof Langendreer an diesem Mittwochabend nicht richtig voll. Dass gegen Ende des Konzerts sogar bereits größere Lücken im Publikum zu sehen sind, hat jedoch nichts mit der Qualität des Auftritts zu tun: Viele Gäste müssen ihre letzte Bahn bekommen, die finalen Töne spielt Götz Widmann erst um kurz vor Mitternacht. © FUNKE Foto Services | Olaf Fuhrmann

Gassenhauer, Balladen und politische Liedermacherei

Davor und danach ist Platz für beständige Hits wie „Eduard der Haschischhund“ und „Hank starb an ’ner Überdosis Hasch“ sowie Call-and-Response-Gassenhauer à la „Landkommunenhippie“. Aber auch für die wundervolle Öko-Bewegungs-Ballade „Romi“, mit der Widmann sich auf seinem neuen Album „Blütenduft“ vor einer unbeugsamen Freundin verneigt – es ist der beste Song, den er in den vergangenen zehn Jahren veröffentlicht hat. Auch, wer es politisch braucht, wird zuverlässig bedient: Sein Lied „Für euch“ hatte Widmann schon eingemottet – leider sei die Attacke auf reaktionär irrlichternde Jugendliche angesichts von 20 Prozent Erstwähler-Stimmanteil für die AfD wieder bedrückend aktuell. Und vor „Holland“, seiner Liebeserklärung an die Niederlande und Schmähung von deren Fußballnationalmannschaft, plädiert Widmann einmal mehr flammend für ein einiges Europa.

So ausgelassen, gelöst und spontan geraten diese netto rund zweieinhalb Stunden Musik zum Ende hin – Widmann verlässt vor der Zugabe gar nicht mehr die Bühne, sondern verpulvert jetzt einfach Song auf Song, bis kurz vor Mitternacht endgültig Schluss ist –, dass ihnen auch ein früher Dämpfer nichts anhaben kann: Nach einer Stunde ruft Widmann eine Pause aus, fast 40 Minuten verkauft er Tonträger, Tickets und T-Shirts am Bühnenrand. Man gönnt es ihm, irgendwie frech ist es dennoch, eine später schnell ausgebügelte Delle in der Stimmungskurve auch – und dann doch wieder Dienst am Fan: Jeder könne jetzt „seinen Bedürfnissen nachgehen“, empfiehlt der Musiker. Die Marihuana-Schwaden vor der Tür zeugen davon, dass diese Bedürfnisse real sind – gegen das Rauchverbot im Club ist auch bei Kiffer-Ikone Götz Widmann kein Kraut gewachsen.