Dortmund. Das Debütalbum von Slipknot wird 25 Jahre alt – und die Nu-Metal-Band zermalmt mit den Songs von damals die Dortmunder Westfalenhalle.
Schon beim dritten Song ist die Machtdemonstration perfekt. Die Hitsingle „Wait And Bleed“ ist der wohl poppigste Titel vom Slipknot-Debütalbum, doch die Band serviert ihn mit solch brachialem Druck, dass es vor der Bühne nun kein Halten mehr gibt: Die Menge explodiert förmlich, in einem riesigen Moshpit schleudern Köpfe und Gliedmaßen umher, Körper prallen aufeinander, fliegende Bierbecher ergießen sich über dem Gewühl als alkoholischer Sprühregen. Falls irgendjemand unsicher gewesen sein sollte, ob die Fans wirklich statt der Hits aus 25 Jahren ausschließlich die Songs des Debütalbums „Slipknot“ von 1999 hören wollen: Und wie die das wollen.
Die Überraschung ist dabei nicht, dass die Songs der genredefinierenden Platte funktionieren. Sondern die Power, mit der Slipknot sie wieder auf die Bühne bringen. Vor einem Vierteljahrhundert galt die neunköpfige Truppe aus Des Moines im ländlichen US-Bundesstaat Iowa auch innerhalb des Nu Metal als der Inbegriff von Gefahr, ihr psychotischer Overall- und Horrormasken-Zirkus strahlte etwas Gemeingefährliches aus, Konzerte endeten (so will es zumindest die gut gepflegte Folklore) auch mal mit Trümmern, Blut oder Verbrennungen. Wer jedoch Anfang 2020 bei Slipknot in der Dortmunder Westfalenhalle oder 2022 beim bandeigenen Knotfest in Oberhausen war, sah eine gereifte Band, die zwar als gut geölte Maschine überzeugte, aber eben auch routiniert eine vogelwilde Bande mimte.
Slipknot entdecken die Raserei ihres Debütalbums wieder
Heute dagegen wirkt es in der ausverkauften Westfalenhalle so, als habe die Band aller Professionalität zum Trotz noch einmal ein wenig die chaotische Raserei von damals anzapfen können. Showeffekte und Bühnenaufbauten hat das Nonett leicht zurückgefahren, setzt nun wieder stärker auf die eigene Gruppendynamik. In den besten Momenten ist dieses Konzert daher unübersichtlich, weil alles gleichzeitig passiert: Sänger Corey Taylor windet sich in unter markerschütterndem Gebrüll in sein Mikrofon hinein, die Gitarristen schütteln ihre Haare, DJ Sid Wilson stürzt die Menge aufpeitschend hinter seinem Pult hervor, Bassist Alessandro Venturella stapft breitbeinig über die Bühne, und die beiden Perkussionisten hämmern auf ihre Trommeln ein, stehen dann plötzlich als Shouter mit am Bühnenrand und knien kurz darauf schon wieder headbangend auf ihren Instrumenten oder streichen sich wie Irrenanstaltsflüchtlinge über Teufelshörner und Horrorclown-Visage. Lediglich der bis heute anonyme Nachfolger des 2023 ausgeschiedenen Samples-Experten Craig Jones bleibt auf seinem Podest eher passiv.
Schlagzeug-Neuzugang Eloy Casagrande dagegen überzeugt mit seinem explosiven Spiel, das zusammen mit der Rückbesinnung auf die eigenen Wurzeln wie Nitro für den Slipknot-Sound wirkt: So aggressiv, so brodelnd, so entfesselt und dabei doch unbarmherzig präzise hat Slipknots Update des Thrash- und Death-Metal der 80er-Jahre lange nicht mehr geklungen.
Um mit dieser Urgewalt ungebremst über das Publikum hinwegzurollen sind Slipknot dann aber doch zu sehr Inszenierungsprofis, wie schon der Auftakt beweist: Schon vor Show-Beginn heizen Nu-Metal-Hits von Korn, Limp Bizkit, Static-X und anderen Jahrtausendwende-Helden das mitsingfreudige Publikum an. Dann läuft „Dream Weaver“ von Gary Wright vom Band – und die Fallhöhe von dem schmusigen 1975er Softrock zum folgenden Klanginferno könnte kaum größer sein; ein kleiner, aber feiner Kunstgriff.
Atempausen im Nu-Metal-Inferno
Mit dem nervenzerrenden Intro „742617000027“ baut die Band dann nochmal Spannung auf, nacheinander werden Flaggen mit dem Bandlogo ausgeleuchtet, im grünen Schauerlicht funkeln aus Corey Taylors Sumpfmonster-Maske rotglühende Augen – und dann entlädt sich alles in der Textzeile „Here Comes The Pain!“ aus dem Opener „(sic)“, die der laufenden Tour den Namen gibt und vom Publikum wie eine Erlösungsformel herausgebrüllt wird. Immer, wenn man meint, gleich würde die Band sich vor lauter Vorwärtsdrang überschlagen, bremst sie sich jedoch selbst herunter, schiebt ein Zwischenspiel vom Band ein oder lässt etwa DJ Sid Wilson den Klassiker „Tattered & Torn“ als Remix präsentieren, mit Tiefbass und zu flackerndem Stroboskop-Licht.
Steigern lässt sich das alles eigentlich schon nach wenigen Songs nicht mehr – doch dann kommt die Zugabe: Die Ankündigung der Single „Spit It Out“ geht schon im Jubelgeschrei unter, der nihilistische Dampfhammer „Surfacing“ – einer der besten Metalsongs der 90er-Jahre – ebnet alles ein. Doch zur Krönung wird das finale „Scissors“: Perkussionist Michael Pfaff schrammt und schlägt rhythmisch auf einem Bierfass herum, der Song eskaliert zum Gewaltakt und mündet dann in einen so hypnotischen wie martialischen Jam.
Am Ende kniet Gitarrist Jim Root vor seinem Effektboard und lässt seine Gitarre kreischen, Perkussionist Shawn „Clown“ Crahan schwankt apathisch hin und her, Pfaff klettert mit einer der Slipknot-Flaggen über das Schlagzeug und spannt diese unter Jubelgeschrei auf, bevor er schließlich den mitreißenden Höllenritt nach fast zehn Minuten mit einem Schlag auf einen großen Gong beendet. Was für ein fantastischer Exorzismus in Lärm, was für eine körperliche Katharsis. Was für eine Machtdemonstration.