In der Region. Die Elektro-Rapper gehen auf Tour, kommen nach Dortmund und Olpe. Rapper Porky verrät, dass die Hamburger danach „Tabula rasa machen“ wollen.

Sie sind ein Phänomen: Mit Hits wie „Remmidemmi“, „Leider geil“ oder „Bück dich hoch“ sowie bunten, kreativen und verrückten Livekonzerten etablierte sich die Band Deichkind als feste Größe in der Musiklandschaft. Zum bereits im Februar 2023 erschienenen Album „Neues vom Dauerzustand“ begibt sich die Hamburger Elektro-Rap-Combo nun auf Tour. 2025 stehen noch einige Open-Air-Auftritte an – dann könnte ein großer Einschnitt folgen. Wir sprachen mit Rapper und Texter Sebastian „Porky“ Dürre (47) über die kommenden Konzerte, einschneidende Momente aus 25 Jahren Deichkind und Zukunftspläne.

Deichkind waren bereits im Sommer 2023 mit dem aktuellen Album auf Tournee, damals Open Air. Können sich die Fans nun auf Änderungen freuen?

Wir haben einen neuen Song mit drin, wir bauen immer ein wenig um. Aber es wird jetzt keine ganz neue Tour mit neuem Grundkonzept, es ist quasi die Abschlusstournee dieses Albums. Ab 2025 gehen wir wieder ins Studio und arbeiten an neuer Musik.

Eine Hallentournee, die fast zwei Jahre nach Album-Veröffentlichung stattfindet, ist selten …

Es ist mal was anderes, erst draußen zu spielen und dann später die Hallen. Das hat aber tatsächlich vor allem noch mit Corona zu tun. Hallen dieser Größenordnung musst du auf zwei Jahre im Voraus buchen. Damals war es eben noch unsicher, ob das nicht doch nochmal wiederkommt. Wenn das dann passiert wäre, ohne entsprechende Versicherung, hätte das für uns den Bankrott bedeuten können. Wir spielen jetzt die Tour, ein paar Open-Airs nächstes Jahr und dann wird das Ding komplett eingestampft. Diese Art Show wird es so vielleicht nicht nochmal geben. Wir wollen mal richtig Tabula Rasa machen und uns etwas Neues ausdenken.

Wie zufrieden seid Ihr mit dem Vorverkauf für die Tour?

Sehr. Wir sind ja so eine links-sozialistisch versiffte Band und in unserer Schlafschaf-Bubble hat sich das noch nicht herumgesprochen, dass man für Konzertkarten mehr als 100 Euro verlangen kann. Bei dem, was wir da alles auf der Bühne machen, zahlst du 60 Euro. Das ist, denk mal auch an die ganze Inflation und den immer weiter steigenden Kostenapparat, völlig in Ordnung. Es gibt Gitarrenkünstler, die haben zwei Drumriser auf der Bühne und nehmen 90. Wir versuchen, es erschwinglich zu erhalten, gehen mit teils Mitte/Ende 50 dabei körperlich ans Limit und das spüren die Leute. Wir könnten die Karten drei Euro teurer machen, was meinst du, was das bei 120.000 Leuten, die kommen, für eine Marge wäre? Aber wir denken nicht ans Abmelken, wir haben keinen Bock auf Klassismus. Das bei einer Show, die vielleicht das Heißeste auf deutschem Boden ist und sich mit internationalen Topstars messen kann. Wir gehen ans Limit!

Die Tour trägt den Namen „Kids in meinem Alter“. Es ist schon der herausstechende Song auf „Neues vom Dauerzustand“, oder?

Schon. Es hat nur eine Stunde gedauert, bis der Text runtergeschrieben war, ein Fass ohne Boden, weil so viele Ideen herauskamen. Philipp hat den dann in einem Take aufgenommen, da wurde nichts nachbearbeitet oder nochmal aufgenommen. Live ist das auch kein Playback, den Text lernt man über Eselsbrücken. Ich kann den mittlerweile auch auswendig, habe ihn so oft gehört. Ich freue mich auch immer auf den Song. Da kann ich hinter der Bühne mal eine Sprite trinken, am Vaper ziehen und kurz Pause machen.

Die Tour führt wieder nach Dortmund. Manch einer erinnert sich sicher noch an 2009, wo Sie beim „Juicy Beats“-Festival Hunderte Bierdosen ins Publikum warfen, die gut geschüttelt auf Kommando gleichzeitig geöffnet wurden – wer war für diese Quatschidee verantwortlich?

Ich. Deichkind war da noch jung und wild. Da gab es noch keinen Nightliner, da traten wir noch in Müllsäcken auf. Uns war damals alles egal. Die Idee kam einfach spontan, habe es als Witz im Neunsitzer gesagt. Und von vorne, von Sebi (Sebastian Hackert, 2009 verstorbenes Bandmitglied, Anm. d. Red.) kam ein ‚Ja, geil, lass mal machen‘. Da kam kein Widerstand. Die Dosen haben wir nicht vorher bestellt, sondern morgens nach der Abfahrt nach Dortmund in einem Real in Hamburg, den es gar nicht mehr gibt, gekauft, in den Sprinter geladen und sind losgefahren.

Hurricane Festival 2024
Auch Deichkind-Rapper Sebastian „Porky“ Dürre schmeißt sich auf der Bühne in modische Fummel. © Frank Karmeyer | Frank Karmeyer

Wie haben die Veranstalter vor Ort reagiert?

‚Waaas? Was wollt ihr machen?‘ Ja, haben wir aber gemacht. Kostete ungefähr 900 Euro Dosenpfand, war auch nicht gesponsert, haben wir von unserer Gage gekauft. War ja auch nur Billo-Bier. Wir wussten ja auch gar nicht, ob das so funktioniert, standen auf der Bühne und machten dann ganz große Augen, als wir sahen, wie das funktionierte. Das sah so krass aus. Smartphones gab es noch nicht so richtig, es gibt nur noch total verpixelte Video-Aufnahmen davon und zwei, drei richtig tolle, legendäre Fotos.

Lesen Sie auch: Deichkind 2019 im Interview zum Album „Wer sagt denn das?“

Wie oft wurde das wiederholt?

Zweimal. Dann wurde uns das zu crazy, zu wild. Einer hatte sich das Nasenbein gebrochen, weil er die Dose voll ins Gesicht bekam. Ätzend, wenn sich deine Fans verletzen. Es war einfach eine superwilde Zeit, wir wollten das Ding komplett vor die Wand fahren.

Inwiefern vor die Wand fahren?

Nach den zwei Hip-Hop-Alben Anfang der 2000er und der Veröffentlichung von „Aufstand im Schlaraffenland“ hatten wir das Gefühl, dass Deichkind am Ende wäre. Wir dachten, jetzt machen wir das dümmste, was man machen kann. Ziehen uns Müllsäcke an, machen schlimmstmöglichen Techno unter die Raps. Aber genau dann, als wir eigentlich alles absägen wollten, ging der Erfolg los. Die fetten Hits wie „Leider geil“ oder „Bück dich hoch“ kamen ja erst später.

Auch interessant

Blicken Sie mit Stolz darauf, was Sie indirekt alles erschaffen haben? Ich glaube nicht, dass der Erfolg von Acts wie Frittenbude, Egotronic, Saalschutz oder vielleicht sogar Die Atzen ohne Deichkind denkbar gewesen wäre ...

Mit Stolz nicht, mein Verhältnis zu diesem Wort ist ohnehin gespalten. Ich genieße eher die Wertschätzung, wenn mal jemand diesbezüglich was sagt. Wir sind da wohl schon sowas wie Pioniere. Wobei wir auch kräftig bei den Beastie Boys oder The Prodigy abgeguckt haben. Aber deutschen Sprechgesang mit Eurotrash zu verbinden und auf Bühnen alles zu Klump zu hauen, gab es vorher nicht. Es hatte was Punkiges, was eine krasse Wucht entfachte. Heute sind wir eine „Rockband“ im besten Alter, haben noch viel vor, wollen neue Musik kreieren.

Es gibt also keine großen Überlegungen, wie lange Sie Deichkind noch weitermachen können?

Nee. Das werde ich ständig gefragt. Es ist gar nicht so anstrengend. Denk mal an den Klempner, der sieben Tage die Woche arbeitet, vielleicht noch Überstunden macht. Ich dagegen sitze in klimatisierten Bussen. Klar muss ich ein bisschen auf der Bühne rumhüpfen und es gibt zwischendurch mal Jahre, in denen es etwas übersäuert und man vielleicht mal zum Psychologen gehen und weniger saufen sollte. Aber es ist immer mein Traumjob gewesen und wir wollen weiterhin Musik machen und auftreten.

Im Juni 2025 spielen Sie in Olpe, es ist wohl der erste Deichkind-Auftritt überhaupt im Sauerland. Haben Sie irgendeine Verbindung zu der Region?

Als Elfjähriger war ich im Ferienlager auf Sylt und verliebte mich ein Mädchen namens Meike, die aus dem Sauerland kam. Wir haben uns leider nie wiedergetroffen, vielleicht kommt sie ja zum Konzert. Ich kann mir gar nicht vorstellen, dass wir noch nie dort gespielt haben, eigentlich waren wir in Deutschland schon überall. Also Leute: Kommt vorbei, wir sind endlich am Start!

Wo sie vorhin eine „Tabula rasa“ für Liveshows erwähnt haben: Wäre eine intime Clubtour ohne die Deichkind-typischen Show-Elemente nochmal denkbar?

Einzelne Clubkonzerte haben wir über die Jahre immer wieder gespielt. Wir haben auch schon mal überlegt, einfach mal alles zuhause zu lassen und jeder kommt auf die Bühne in den Klamotten, auf die er Bock hat. Man muss eines bedenken: Wir haben keine Produktionsfirma, die uns die Requisiten baut, wir sind ein Familienbetrieb. Haben ein Lager mit Werkstatt, in der wir die Sachen selber bauen. Unser Mitglied Stefan Hübner hat einen 3D-Drucker und bastelt damit. Da haben wir künstlerisch jetzt aber alles ausgereizt. Eine leere Bühne wäre auch mal geil. Scheitern als Chance, sozusagen. Müssen wir mal sehen.

Dazu eine regional geprägte Frage: Im Düsseldorfer Zakk gibt es eine Reihe namens „Lieblingsplatte“, wo nicht mehr existierende Bands oder Acts, die für einen kleinen Club eigentlich viel zu groß geworden sind, ein altes Kult-Album in Gänze spielen. Wäre das denkbar?

Mmh, vielleicht. Sie sollen einfach mal anfragen. Warum eigentlich nicht?

Gibt es denn noch Kontakte zu den Ex-Mitgliedern Malte, Buddy und Ferris MC, die damals noch als Deichkind in eben solch kleinen Clubs spielten?

Mit Buddy zuletzt wieder mehr. Wir sind ja sogar zusammen zur Schule gegangen.

Deichkind live: „Kids in meinem Alter“ 2024/25

6.12. Köln (Lanxess Arena), 7.12. Dortmund (Westfalenhalle), 21.6. Olpe (Biggesee Open Air), 19.7. Bonn (Kunstrasen). Karten ab ca. 62 Euro.