Otterlo. Das Kröller-Müller Museum in Otterlo widmet sich bis März 2025 in einer Ausstellung von van Gogh bis Mondrian seiner Gründerin.
Als Helene Müller, die später die größte private Van-Gogh-Sammlung weltweit gründen sollte, 1869 im Essener Vorort Horst zur Welt kam, war ihr Vater einer von drei Direktoren beim „Berg- und Hütten-Actien-Verein Neu Schottland“. Der stellte Roheisen für Bahnschienen her. Als „Neu Schottland“ drei Jahre später mit der Dortmunder Hütte zur „Dortmunder Union“ fusionierte, zog die Familie dort ins Zentrum der Stadt. Als sich Helenes Vater schließlich 1876 mit seinem Handelshaus für Hütten- und Bergwerksprodukte („Wm. H. Müller & Co“) selbstständig machte, war der nächste Umzug fällig: nach Düsseldorf. Als typisches Gründerzeit-Unternehmen machte Müller & Co Millionen mit dem Verschiffen von Erzen aus Spanien und Schweden ins Ruhrgebiet. Bald gab es Filialen in Rotterdam, Antwerpen, Lüttich, Ruhrort, London und New York.
Der rasante geschäftliche Erfolg von Müller & Co hatte indes auch eine Kehrseite: Wilhelm Müller litt unter Manager-Stress. Sein niederländischer Compagnon Willem Kröller noch mehr, der 1886 einen Nervenzusammenbruch erlitt. Aber Kröller hatte einen jüngeren Bruder: Anton. Ein hochbegabter Geschäftsmann. Der sich bei seinen Aufenthalten in Düsseldorf in Helene verliebte. Als sie 18 war, bekam sie eine Einladung in die Niederlande – und ihr Vater flehte sie an, dem absehbaren Verlobungs-Antrag von Anton Kröller stattzugeben, um den jungen Mann für immer an Müller & Co zu binden.
An der Seite ihres Mannes wurde Helene Kröller-Müller (1869-1939) zur weltweit wichtigsten Van-Gogh-Sammlerin. Früh kaufte sie nicht nur Impressionisten wie Signac oder Seurat, sondern auch Avantgardistisches von Picasso, Mondrian und dem kubistischen Maler Juan Gris. Mit 42 Jahren, sie hatte kurz zuvor den Sammler Karl Ernst Osthaus und sein Folkwang-Museum in Hagen kennengelernt, beschloss Helene nach einer lebensgefährlichen Operation, sich mit ihrer Kunstsammlung ein Denkmal zu setzen, das ihren Tod überdauern würde. Was ihr mit dem Kröller-Müller-Museum im niederländischen Otterlo bei Arnheim, das im Heidepark De Hoge Veluwe jährlich von 300.000 Menschen besucht wird, auf beeindruckende Weise gelang.
Dort soll nun eine Ausstellung von rund 60 Werken die Persönlichkeit der Sammlerin verdeutlichen. Der Titel „Searching for Meaning“ entwickelt erst in der deutschen Übersetzung „Auf der Suche nach Bedeutung“ einen zutreffenden Doppelsinn. Für Helene Kröller-Müller, die sich als Jugendliche ein Jahr lang weigerte, sich konfirmieren zu lassen, wurde die Kunst zum sinnstiftenden Religionsersatz. Zugleich aber gab ihr die moderne Kunst zu Lebzeiten die Chance, sich in der High Society von Den Haag, die dem „jungen Geld“ der Kröllers misstraute, einen Namen zu machen. Und nicht zuletzt ging es ihr ums „Sammeln für die Ewigkeit“, wie die sehr kundige, detaillierte Biografie von Eva Rovers überschrieben ist.
Gemälde von Johan Thorn Prikker, Jan Toorop oder Odilon Redon zeigen, wie sehr die Sammlerin auch originell umgedeutete christliche Motive und Mystik zu schätzen wusste. Auch in den 87 Gemälden von Vincent van Gogh, die sie am Ende gesammelt hatte, suchte Helene mystische und spirituelle Erfahrungen – ganz wie es der Ideologie ihres Kunst-Mentors Hendricus Petrus Bremmer entsprach. Der Kunst-Guru Bremmer beriet sie und Anton Kröller bei jedem Kauf. Als die beiden es einmal gewagt hatten, bei Paul Cassirer in Berlin einen van Gogh zu kaufen, ohne ihn zu fragen, erklärte Bremmer das Gemälde auf den ersten Blick zu einer Fälschung. Im anschließenden Betrugs-Prozess stellte ein Gericht die bewiesene Echtheit des Gemäldes fest.
Als Präsidentin des von ihren vier Kindern gegründeten Hockey-Clubs fand Helene Kröller-Müller so wenig Erfüllung wie als Organisatorin eines Millionärs-Haushalts voller Dienstboten. Leidenschaftlich las sie zeitlebens klassische, „große“ Literatur von Dante bis Schiller und Goethe, mit vielen Anstreichungen auf den Seiten. Die scharfsinnige Helene war eine ebenso begeisterte und ehrgeizige wie extrem erfolgreiche Schülerin gewesen und hatte eigentlich das Abitur machen wollen, um dann weiter zu lernen. Mit 15 las sie zum ersten Mal Lessing, und „Nathan der Weise“ wurde ihr zum religions- und dogmenkritischen Leitstern. Nach ihrer Weigerung, sich konfirmieren zu lassen, hatten die Eltern sie mit Hilfe eines Pastors massiv unter Druck gesetzt. Sie willigte schließlich aus Vernunftgründen ebenso ein wie später in die 1888 geschlossene Ehe mit Anton Kröller.
Es gab eine wechselseitige Sympathie zwischen den Eheleuten, so etwas wie eine strategische Liebe; sie schätzte an Anton vor allem „sein schnelles & scharfes Begreifen, dieses sofortige Erfassen & Wissen“. Anton wiederum respektierte ihr Verlangen nach Selbstständigkeit, das sich nicht zuletzt im Doppelnamen seiner Frau niederschlug. Die beiden vereinbarten Gütertrennung, und Anton sorgte dafür, dass Helene Kröller-Müllers Vermögen ähnlich rasant wuchs wie der Erfolg der Firma, die ihm nach dem frühen Tod von Helenes Vater 1889 plötzlich allein gehörte.
Zur Ausstellung
Die Ausstellung im Kröller-Müller Museum (Houtkampweg 6 6731 AW Otterlo) läuft bis zum 11. Mai 2025 (niederländische und englische Saaltexte) . Eintritt in den Park Hoge Veluwe: 13,05 € (inklusive freie Rad-Nutzung). Museum: 13 € (inklusive Besuch in der ständigen Sammlung mit Dutzenden van-Gogh-Bildern, darunter das berühmte „Nachtcafé in Arles“); das Museum ist zudem von einem sehenswerten Skulpturenpark umgeben. Besuchenswert ist auch das „Jachthuis Sint Hubertus“, ein vom Ehepaar Kröller-Müller errichtetes Gesamtkunstwerk nach einem Entwurf des Architekten Hendrikus Petrus Berlage (der genau wie Peter Behrens und Ludwig Mies van der Rohe beim Bau des Museums nach Debatten mit der Bauherrin nicht zum Zuge gekommen war) am Nordrand des Hoge-Veluwe-Parks; hier wohnten Anton und Helene Kröller-Müller am Ende ihres Lebens auf Dauer.
Das Ehepaar lebte zunächst in Rotterdam und schließlich in zwei prunkvoll ausgestatteten Villen im High-Society-Viertel von Den Haag. Helene bekam vier Kinder, Helene jr., Toon, Wim und Bob. Sie wurden bewusst nicht getauft, sie sollten zu selbstständigen Individuen erzogen werden. Aber nur ihre Tochter war so verständig wie Helene selbst und übersprang eine Schulklasse. Die Jungs taten sich so schwer mit dem Lernen, dass die Eltern Sorge hatten, ob einer von ihnen überhaupt später einmal die Firma übernehmen könnte. Als sich Helene jr. früh mit einem Dasein als Ehefrau und Gesellschaftsdame arrangierte, war ihre Mutter von all ihren Kindern so enttäuscht, dass sie mit umso größerer Energie ihre Kunstsammlung betrieb.