Düsseldorf. Der Kunstpalast Düsseldorf zeigt 122 Arbeiten von Gerhard Richter aus privaten Sammlungen. Das ermöglicht eine intime Perspektive auf dessen Werk.

Wie dicht geht man heran an ein Kunstwerk, an einen Künstler? Gewiss braucht es immer Distanz, um ein Werk wahrnehmen zu können. Ebenso gewiss ist, dass das Museum Kunstpalast mit seiner Ausstellung „Verborgene Schätze“ Gerhard Richter und seinem Werk wohl so nah kommen wie wenige Ausstellungen des Meisters zuvor.

Und allein das ist eine Kunst angesichts von 77 Gerhard-Richter-Einzelausstellungen allein im Rheinland. Kein Zufall. Das Rheinland, auch das macht diese Ausstellung deutlich, war Gerhard Richters Experimentierfeld. Es ist zudem jene Gegend, in der er seit den späten 60er-Jahren mit Hingabe gesammelt wird.

Vom Esszimmer und der Gästetoilette ins Museum

Generaldirektor Felix Krämer sprach denn auch von der Ausstellung mit dem geringsten CO₂-Abdruck in der Geschichte des Kunstpalastes. Es waren kurze Wege von den Wohn- und Esszimmern der Sammler bis ins Haus am Ehrenhof. In einem Falle wurde Krämer gar zur Begutachtung eines Richter-Werkes auf die Gästetoilette gebeten.

„Es ist ein Irrglaube, dass nur wohlhabende Menschen einen Richter haben“, so Krämer. Viele verabschiedeten sich für die fünf Monate der Ausstellung von einem Familienmitglied. „Da ist jetzt nur ein Nagel in der Wand.“ Erkennbar sind die privaten Richter auch an Rahmung und Patina der Bilder. Richter, so Krämer, ist wirklich im Rheinland zuhause.

Allerdings erst seit 1962, Der aus Dresden geflüchtete Künstler war eigentlich nur zu Besuch in Düsseldorf, plante, sich in München niederzulassen und ließ sich dann von seinem Künstlerkollegen Reinhard Graner überreden, in der kommenden künstlerischen Hauptstadt Düsseldorf zu leben und zu arbeiten. Ein Glücksfall für Richter wie für das Rheinland. Denn hier traf er Sigmar Polke, Günther Uecker und Joseph Beuys und viele junge Sammlerinnen und Sammler.

Wolkig: In großformatigen Wolkenbildern setzte Gerhard Richter Mitte der 1975 seine abstrakten Arbeiten fort.
Wolkig: In großformatigen Wolkenbildern setzte Gerhard Richter Mitte der 1975 seine abstrakten Arbeiten fort. © FUNKE Foto Services | Lars Heidrich

Hier, so Kurator Markus Heinzelmann, Richter-Kenner und Professor für museale Praxis an der Ruhr-Universität Bochum, konnte er sich ausprobieren, gerade an der Peripherie. In Mönchengladbach zeigte er erstmals seine „Grauen Bilder“, die pastösen Übermalungen, die dort bis heute zu sehen sind. In Krefeld präsentierte er den RAF-Zyklus. „Dinge, die er in den großen Häusern in Paris oder New York nicht hätte ausprobieren können“, so Heinzelmann. Richter-Werke finden sich heute in vielen Museen der Region.

Das Rheinland als Experimentierfeld Richters

Noch davor, 1969, präsentierte er in Aachen, fünf Jahre nach seinem penibel aufgelisteten „Werk 1“, seine erste Retrospektive. Daraus entspann sich der Aachener Kreis, Sammlerfreunde aus Mediziner- und Ingenieurskreisen, die vor allem die Systematik im Werk Richters faszinierte. Und mit dafür sorgten, dass viele Bilder hier im Rheinland verblieben.

Rund 200 „verborgene Schätze“, also Richter-Werke im Privatbesitz, haben die Ausstellungsmacher ausfindig gemacht. Entliehen wurden 122 Arbeiten, darunter 82 Gemälde. Die Leihgeberinnen und Leihgeber wollen verständlicherweise nicht genannt werden. Mit einer Ausnahme: Fotokünstler Andreas Gursky, Meister der Details, verleiht das Werk „Der Weinberg“. Beleg dafür, wie sehr Richter auch von Künstlerkollegen geschätzt wird.

Aus den Leihgaben hat Heinzelmann eine Ausstellung komponiert, die bewusst nicht als Retrospektive gedacht ist, am Ende aber beinahe doch zu einer wird. Gewissermaßen die private Variante dessen, was eine aus musealen Werken des 92-Jährigen komponierte Werkschau bieten müsste.

Eine andere, private Art der Retrospektive

Das verleiht dem Rundgang von „Werk 5“, einer natürlich rheinischen, schwarz-weißen Kuh, bis hin zu zwei Arbeiten aus der letzten Werkepoche 2017, diesen besonderen Reiz. Und die Ausstellung ist eine, die es so nie wieder geben wird. Entstand die Idee in der Coronazeit, als es naheliegend schien, Ausstellungsideen ohne internationale Kunsttransporte zu entwickeln, so wird nun in Bälde die Vielfalt der Richter-Bilder im Rheinland schwinden. Viele Sammler, so Krämer, sind ähnlich hochbetagt wie der Künstler.

Es kommt auf die Größe an. Richter malte Zufallsfunde auf seiner Palette gigantisch vergrößert noch einmal auf Leinwand.
Es kommt auf die Größe an. Richter malte Zufallsfunde auf seiner Palette gigantisch vergrößert noch einmal auf Leinwand. © FUNKE Foto Services | Lars Heidrich

Denn Richter schätzt seine Sammler sehr. Sammler, so Richter in einem Interview 1974, leisten Mitarbeit. „Indem sie ein Werk akzeptieren, machen sie es erst zu dem, was es sein soll, freilich nicht allein.“ Dieses besondere Spannungsverhältnis: Dass ein Bild erst im Auge des Betrachtenden zum Bild wird, ist das zweite große Leitmotiv der Ausstellung.

Diese Entwicklung geht auch dann weiter, als Richter längst von Firmen und wohlhabenden Mäzenen gesammelt wird. Leihgaben der Sammlung Olbricht und Haniel zeugen davon. Und Teil der Ausstellung sind auch Richters gigantische Gemälde Viktoria 1 und 2, die im nahe gelegenen Eingangsbereich der heutigen Ergo-Versicherung hängen.

Fenster zur Welt? Eher ins Innere

Waren Gemälde einst „Fenster zur Welt“, so verstellt Richter diese Sicht direkt zu Beginn mit dem zwei mal vier Meter messenden „Fenster“. Das Bild zeigt nichts als die Schatten weißer Fenster auf einer grauen Fläche. Wenn sich hier eine Welt zeigen soll, dann muss sie im Inneren liegen.

Das Gemälde als Fenster zur Welt? Pustekuchen. Bei Gerd Richter ist das Gemälde ein Fenster zum Fenster zur Wand. Und dahinter liegt, das, was sich im Auge und im Kopf des Betrachtenden abspielt.
Das Gemälde als Fenster zur Welt? Pustekuchen. Bei Gerd Richter ist das Gemälde ein Fenster zum Fenster zur Wand. Und dahinter liegt, das, was sich im Auge und im Kopf des Betrachtenden abspielt. © FUNKE Foto Services | Lars Heidrich

Und so sind seine vielfältigen Abstraktionen ebenfalls ein „verborgener Schatz“ und Einladung zum Wechselspiel von Nähe und Distanz und vom äußeren Bild zum inneren Erleben. Durch die mehr als fünf Jahrzehnte, von verfremdeten Fotos bis zu übermalten Postkarten, von grauen Leinwänden bis hin zu bunten Farbpaletten mit 1024 Farben, die er seit 2007 im Südchor des Kölner Doms zum Leuchten bringt.

Selbst ein scheinbar konkretes Bild wie das seines Sohnes Moritz spielt mit der Distanz. Kühl und kritisch blickt das vielleicht einjährige Kleinkind seinen Vater, den Maler an. „Selbstporträt“ nennt Richter das Bild. Wenn es denn keine Hybris ist, dann ist es vielleicht dies: Wir erkennen uns selbst nur im anderen. Womöglich gilt das auch, wenn wir auf Bilder eines anderen blicken. Wie in diesem Glücksfall Gerhard Richter.

Die Ausstellung und der Katalog

„Gerhard Richter – Verborgene Schätze. Werke aus rheinischen Privatsammlungen“ ist zu sehen bis zum 2. Februar 2025, Der Kunstpalast ist geöffnet di-so von 11 bis 18 Uhr, donnerstags bis 21 Uhr. Zu diesen Zeiten ist auch das nahegelegene Foyer der Ergo-Versicherung mit den beiden „Viktoria“-Werken zugänglich. Eintritt 16 Euro, ermäßigt 12.

Zur Ausstellung erscheint ein großformatiger Katalog, herausgegeben von Markus Heinzelmann, 208 Seiten, 130 farbige und schwarz-weiße Abbildungen, Museumsausgabe: 49,00, im Buchhandel 54 Euro.