Düsseldorf. Jens Wawrczeck spricht Peter Shaw bei „Die drei ???“. Bei einer Lesung in Düsseldorf zeigt sich der Schauspieler von einer anderen Seite.
Seit den Anfängen des Kult-Hörspiels „Die drei ???“ schlüpft Schauspieler und Synchronsprecher Jens Wawrczeck in die Rolle des zweiten Detektivs Peter Shaw. Doch Wawrczeck fühlt sich nicht nur in Rocky Beach zu Hause, sondern auch in der Welt von Alfred Hitchcock. Im Interview verrät der 61-Jährige, wie die Liebe zum Altmeister entfacht wurde, wie er eine „Die drei ???“-Folge im Stil von Hitchcock verfilmen würde und was ihm Angst macht.
Wie sind Sie zum ersten Mal mit Hitchcock in Berührung gekommen?
Jens Wawrczeck: Ich saß zwischen meinen Eltern auf dem Sofa in unserer Altbauwohnung in Hamburg und im Fernsehen lief „Bei Anruf Mord“. Der Film hat mich unglaublich fasziniert – die Farben, die Schauspieler, die Musik und die spannende Handlung. Ja und dann war da natürlich die berühmte Szene, in der Grace Kelly fast erwürgt wird. Das hat mich als Zwölfjährigen gepackt. Mein Vater hat den Abend außerdem mit einer Überraschung für mich beschlossen. Er hat sich hinter dem zugezogenen Vorhang in meinem Kinderzimmer versteckt. Nur die Füße schauten raus. Das hat mich total erschrocken, als ich ins Zimmer gekommen bin (lacht). Aber natürlich hat meine Mutter den Vorhang schnell beiseite geschoben und wir haben alle darüber gelacht.
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Das klingt nach einem spannenden Abend.
Dieses ganze Erlebnis hat den Film für mich unvergesslich gemacht. Natürlich habe ich „Bei Anruf Mord“ danach noch unzählige Male gesehen. Allerdings sehe ich den Film heute ganz anders als damals. Ich finde die Handlung natürlich immer noch spannend, aber ich finde es noch spannender, was zwischen den Personen geschieht – wie zum Beispiel die Ehe funktioniert, und die funktioniert absolut nicht. Grace Kelly, das vermeintliche Opfer, hat auch Dreck am Stecken, weil sie ihren Mann betrügt. Die Grenzen zwischen Opfer und Täter verschwimmen. Bei Hitchcock ist es oft so, dass die Leute nicht wissen, wo oben und unten ist.
Wann wussten Sie, dass es die ganz große Liebe ist?
Das ist schwer zu sagen. Der Name Hitchcock war nach „Bei Anruf Mord“ in meinem Inneren gespeichert. Nach und nach fing ich dann an, mich immer mehr dafür zu interessieren und habe mir eine Art Bibliothek aufgebaut. Es gab damals nicht sehr viele Filmbücher, aber ich hatte das Buch „Mr. Hitchcock, wie haben Sie das gemacht?“. Dieses Buch hatte ich sehr früh, mit 14 Jahren. Ich habe es minutiös durchgearbeitet und mir vorgestellt, wie die Filme wohl sein würden, wenn ich sie das erste Mal sehen konnte.
Das war so ein Problem in dem Alter, oder?
Ich war immer ganz aufgeregt, wenn einer der Filme im Programmkino in Hamburg lief. Aber ich musste mich reinschleichen.
Sie haben selbst ein Buch zu dem Thema geschrieben: „How to Hitchcock“. Hand aufs Herz, wie viel mussten Sie kürzen?
Die Fassung war ungefähr 40 Seiten länger, als sie es nun ist. Ich finde, es war für den Prozess aber gar nicht so schlecht, nochmal zu kürzen. Wie es bei vielen Nerds der Fall ist, verliere ich mich gerne in Details. Ich wollte mit dem Buch auch Menschen Appetit auf Hitchcock machen, die noch gar nicht wirklich damit in Berührung gekommen sind oder nur ein paar Filme gesehen habe. Durch die Kürzungen schaffe ich es, Appetit zu machen – auch bei jüngeren Leuten, wie ich bei der Lesetour gemerkt habe. Ich habe viele Filme als Recherche für das Buch natürlich nochmal gesehen und ich muss sagen, sie wachsen mit einem mit und passen sich der Lebenssituation an. Man sieht die Filme immer aus einem anderen Blickwinkel.
Haben Sie denn einen Lieblingsfilm, oder geht das gar nicht?
Das ist fast unmöglich. Wenn Sie mir die Pistole auf die Brust setzen, würde ich sagen, es ist „Der Mann, der zu viel wusste“ mit James Stewart und Doris Day. Ich mag die beiden Schauspieler sehr und empfinde den Film als ein großes und kalorienreiches Tortenstück. Da ist alles drin: Technicolor-Farben, mit Marokko als Spielort ist auch ein bisschen Exotik drin und mit London kommt etwa Royales rein. Außerdem ist viel Humor im Film, Spannung und ein wundervoller Score von Bernhard Herrmann – Hitchcocks Leib-und-Magen-Komponisten. Und mich berührt dieses Mutter-Kind-Thema sehr.
Wenn Sie selbst eine Rolle in einem Hitchcock-Film übernehmen könnten, welche wäre das?
Darüber habe ich mir auch schon mal Gedanken gemacht (lacht). Es gibt zwei Rollen. Zum einen „Mr. Memory“ in „Die 39 Stufen“, der sich die Informationen merken muss, die ihm vom Spionagering in die Ohren geträufelt wurden. Zum Ende des Films darf er sie endlich von sich geben und stirbt. Das ist eine sehr skurrile, aber auch tragische Rolle. Zum anderen wäre es der Ehemann von Ingrid Bergmann im Film „Berüchtigt“. Claude Rains ist in dem Film eigentlich ein totaler Unsympath, weil er ein deutscher Nazi in Südamerika ist. Aber seine Liebe zu Ingrid Bergmann ist echt und er heiratet sie, weil er glaubt, dass sie ihn auch liebt. Allerdings soll sie ihn ausspionieren. Als er plötzlich merkt, dass diese Liebe und die Ehe auf Sand gebaut sind, wird er zu einer ganz tragischen Figur. Mich interessieren eher die gebrochenen Charaktere und nicht die Helden.
Gibt es eine Frage, die Sie Hitchcock gerne gestellt hätten?
Was mich in Interviews mit Hitchcock immer ein bisschen enttäuscht hat, ist, dass er die Schauspieler und Schauspielerinnen immer etwas vernachlässigt hat. Ohne Anthony Perkins wäre „Psycho“ beispielsweise ein ganz anderer Film. Natürlich ist Hitchcock das Superhirn hinter allem. Ohne ihn wären die Filme nie so auf der Leinwand gelandet, aber er hat seine Besetzungen eben auch brillant ausgesucht. Und ich finde es schade, dass er die Hauptdarsteller und -darstellerinnen nicht auch mal mehr in den Fokus von Interviews gesetzt hat. Dazu würde ich ihn was fragen.
Sie kommen mit einer Lesung in unsere Region und lesen aus „Immer Ärger mit Harry“, das Hitchcock einst ebenfalls verfilmte. Was erwartet die Zuschauer und Zuschauerinnen?
Die Zuschauer erwartet erst einmal keine typische Lesung. Ich spiele den Text mehr, als dass ich ihn lese. Es ist einer von Hitchcocks eigenen Lieblingsfilmen, aber auch Lieblingsromanen. Es ist eine schwarze Komödie und es gibt an dem Abend sehr viel zu lachen. In einem Wald in England wird eine Leiche gefunden. Und plötzlich will jeder aus diesem kleinen Dorf Harry umgebracht haben.
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Wie suchen Sie die Stellen für die Lesung aus?
Ich möchte nicht nur Auszüge lesen, sondern dem Publikum eine abgeschlossene Geschichte liefern. Ich kürze den Text so, dass man keine Kürzungen spürt. Ich trete aber auch mit Musikern bei den Lesungen auf – in dem Fall mit Natalie Böttcher. Die Musik stammt aus Hitchcock-Filmen und kann so innerhalb eines Textes eingesetzt werden, dass sie auch einen Teil erzählt. Ich muss diesen Teil dann gar nicht verbalisieren. So kann das Publikum sich selbst einen inneren Film spinnen. Wir haben diese Lesung schon oft zusammen gemacht und es hat uns und dem Publikum immer viel Spaß gemacht. Ich klopfe jetzt mal auf Holz – also meinen Kopf – und gehe davon aus, dass es auch dieses Mal so ist.
Jetzt sind Sie nicht nur Hitchcock-Enthusiast, sondern auch noch Teil eines berühmten Detektiv-Trios. Sie sprechen Peter Shaw in „Die drei ???“. Wenn Sie eine Folge im Stile von Hitchcock verfilmen müssten, wie sehe das aus?
Ich würde mir tatsächlich eine Folge mit vielen Nebencharakteren raussuchen, weil Hitchcock die auch immer mit großen Charakterdarstellern und -darstellerinnen besetzt hat – „Nacht in Angst“ vielleicht. Ich würde mir auch eine Folge raussuchen, in der nicht oft die Szenerie gewechselt wird. Daraus kann man auch etwas Tolles machen, wie bei „Das Fenster zum Hof“ zum Beispiel. Ich würde von der großen Action weggehen und etwas Intimeres machen.
Nun schlüpfen Sie bereits seit Jahrzehnten in die Rolle von Peter Shaw. Wie viel von ihm steckt in Ihnen und andersherum?
Das war zwar nicht meine erste Produktion, ich habe vorher auch schon Theater gespielt, aber damals steckte ich noch in der Phase, wo man vieles aus dem Bauch heraus gemacht hat. Ich habe einfach losgespielt. Das heißt, gerade in den Anfängen steckt sehr viel von meiner eigenen Energie in der Rolle. Ich habe nicht ganz so viel mit Peter gemeinsam, aber ich konnte mich immer mit seiner Ängstlichkeit und seinem Mut identifizieren. Ich bin ein ähnlich widersprüchlicher Mensch. Peter lebt zwar seit 45 Jahren ein ganz anderes Leben als ich, aber in seiner Nervosität steckt sehr viel von mir.
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Was macht Ihnen Angst?
Ich habe vor vielen Dingen Angst, vor allem vor Menschen. Ich bin ein sehr schüchternes Kind gewesen, hatte aber schon früh den Drang Schauspieler oder Sänger zu werden. Diesen Traum habe ich auch verwirklicht. Zurückblickend wundere ich mich, dass ich trotz meiner Schüchternheit in den entscheidenden Momenten Entscheidungen fällen konnte. Ich bin nach New York gegangen, ohne zu wissen, wo ich wohnen würde. Ich habe die bequeme Komfortzone dafür verlassen. Die Sache ist allerdings, ich habe nicht nur Angst vor Menschen, sondern auch vor meiner eigenen Bequemlichkeit. Wenn ich merke, dass mich mein eigenes Zögern blockiert, dann raffe ich mich zu einem mutigen Schritt auf. Das dauert manchmal qualvoll lange, aber ich kriege es meistens hin. Ich habe einen langen Atem.
Wie sieht es auf einer Lesetour aus? Haben Sie Angst, auf die Bühne zu gehen?
Lampenfieber hab ich immer noch. Das gehört einfach dazu. Ich finde, ein Schauspieler, der kein Lampenfieber hat, ist ein toter Gegenstand (lacht). Ich habe eine Verantwortung, weil die Menschen bei einer solchen Lesung etwas von mir erwarten. Und dann setzt sich ein gesunder Stress frei. Es ist eine freudige Angst. Das ist eine gewisse Lebendigkeit. Es ist eine positive Angst, die mir Energie gibt und die mich nicht lähmt.
Jens Wawrczeck live: Termine und Preise
- Termin: Jens Wawrczeck - Immer Ärger Mit Harry: 29.9., 19 Uhr
- Ort: Savoy Theater, Graf Adolf Str. 47, Düsseldorf
- Karten gibt es ab ca. 28 € hier