Hamburg. Das Volksparkstadion funkelte, die Erde bebte (fast): Wie Taylor Swift mit der größten Show der Welt Hamburg überwältigte.
Das schönste war am Ende vielleicht das Danach. Als alles vorbei war, aber noch nicht alle Endorphine restlos verbraucht. Die Heimfahrt in den Fahrradgrüppchen und in der S-Bahn, so eine beseelte Stimmung, lauter singende oder erschöpft summende junge Menschen, ein inneres Leuchten.
Unwissende hätten auf einen Kirchentag tippen können. Aber erstens: Erlöser-Vergleiche, wirklich? Und zweitens: Unwissende? Konnte irgendjemand ernsthaft nicht mitbekommen haben, dass…?! Es wurde zuletzt ja von Tag zu Tag, genau genommen sogar von Stunde zu Stunde verrückter, seriöse Wissenschaftler (DESY!) kündigten Erdbebenmessungen an, es gab Swift-Karaoke im Taxi, Swiftie-Workouts an der Uni, Swiftie-Kaffee-Verkostungen in der Speicherstadt, Songtexte auf HVV-Bildschirmen, überall quoll der Glitzerstaub nur so aus den Ritzen. Overkill mit Prinzip. Konnte das eigentliche Ereignis da überhaupt mithalten?
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Taylor Swift in Hamburg: Das Spektakel der Pop-Supermacht im Volksparkstadion
Dafür ist das Ende ein ganz guter Gradmesser. Aber natürlich muss man früher beginnen. Nicht mit dem Fan-Auftrieb vor dem Stadion, nicht mit dem Auftritt der Vorband. Wobei: wirklich starke Performance, Paramore – auch mit dem T-Shirt von Sängerin Haley Williams: „Rage Makes Me Feel Pretty“. Dies war, vollumfänglich, ein Abend der feministischen Rollenvorbilder.
Aber man muss zum Nullpunkt, man muss mit der Erscheinung selbst anfangen.
Taylor Swift materialisierte sich aus dem magischen Gewaber aus Gerüchten und Vorfreude, aus Pop-Ikonen-Hype und handfest Gewusstem über ihre „The Eras Tour“, das gigantischste und erfolgreichste Bühnenspektakel der Musikgeschichte.
Hamburg, Volksparkstadion, Dienstag, 23. Juli, 19:33 Uhr: Die ersten Töne von „Miss Americana & The Heartbreak Prince” erklangen, übrigens im Innenraum mit Regencapes in allen Farben. Es war feucht. Dennnoch: Im Fan-Himmel schwelgten die Swifties, ganz weit über dem Geschehen, emporgehoben von nichts als dem Glauben, jetzt und hier am einzigen Ort der Welt zu sein, an dem zu sein es sich lohnte. Beim Entertainment-Nonplusultra der Jetzt-Zeit.
„Schön euch zu sehen“, rief Taylor Swift auf Deutsch, wortgleich hatte sie es vor wenigen Tagen auch in Gelsenkirchen so gehalten. „Hamburch, here we are“, folgte dann (wirklich „Hamburch“, sie hat ihre Hausaufgaben gemacht), und da war die Fantasykulisse in Pfirsich-Lila schon gefeiert worden. Der Funkelbody, die schimmernden Cowgirlstiefel, die großen Gesten der Animateurin, ach was: Dompteurin mitunter, die es nicht anders kennt, als dass ein ganzes Stadion ausflippt, wenn sie nur ihren Finger in die Menge richtet.
Beim ersten Hamburg-Konzert von Taylor Swift kommen 50.000 Menschen
50.000 waren an diesem Abend da zum ersten von zwei Hamburg-Konzerten des US-amerikanischen Superstars, der das Superstarsein auf ein vermutlich bislang nicht erreichtes Niveau gehoben hat. Man musste schon bei den ersten Songs der nach Alben – in der Swift-Terminologie: nach „Äras“ – sortierten XXL-Show, bei „Cruel Summer“ (dieser gewaltige Chorgesang des Publikums, sowas von gut, reine Ekstase) oder „The Man“ an die Metaebene denken.
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Daran, wie sehr sich alle Welt nicht allein für diese Heldin der Popkultur, die Swift unbestreitbar ist, sondern auch für diese Begeisterung selbst begeistert. Auch in Hamburg ging es nicht nur um Swift, sondern auch um die Swifties (90 Prozent weiblich, geschätzt, einer der Männer trug auf seinem Shirt den Slogan „Swiftie by Marriage“ spazieren). Es scheint besonders heute eine Sehnsucht nach dem Außergewöhnlichen, eine Gier nach der Bedeutungsaufladung zu geben. Seit Monaten ist die Swiftmania ein sich unentwegt selbst fütterndes System. Mit bisweilen eben skurrilen Auswüchsen, die Swiftie-Gottesdienste sind da nur ein Beispiel.
Taylor Swifts Haar saß trotz des Regens – „die Frau ist eine Arbeiterin“
Umso besser war es, Swift und ihr Taylorverse nun wirklich live zu erleben. Den von der 34-Jährigen optimierten Popsound der Gegenwart zu hören und ihrer perfekt durchchoreographierten Show (superbe Tanzeinlagen auch, ständiger Klamottenwechsel) beizuwohnen. „Kennt jemand den Text?“ fragte sie bei „Cruel Summer“, eine Koketterie eigentlich, eine rhetorische Frage natürlich, ein Ritual. Man kannte das alles schon vom längst erschienenen Konzertfilm, aber man musste die Euphorieglocke, die sich im Zusammenspiel von Star und Menge über ein Stadion zu wölben imstande ist, dann doch selbst bezeugen. Und das Versprechen, das die Künstlerin nicht nur in einer der Songzeilen aus „Me“ (stand tatsächlich nicht auf der Setlist, schade eigentlich) gab: „I promise, that you‘ll never find another like me…“
Wahnsinn, die Atmosphäre dieser „offiziellen Regenshow“, zu der Swift (dies mache nichts, die Band und sie liebten Regenshows ganz besonders) das Konzert beim sanften Nieseln erhob. Ihr Haar saß dennoch zunächst noch, halbwegs, das Nass in der Stirn unterstrich neben all dem Glamour dann halt so etwas wie ihr Musikerethos. Die Frau ist, unter anderem, auch eine Arbeiterin, die unter allen Umständen abliefert. Mit Herzgeste bei „Fearless“, sie musste sich vorher Regentropfen aus den Augen wischen, die Haare hingen nun doch nass und nasser… Ihre Laune schien das ganz und gar nicht zu trüben.
Taylor Swift tadelt ihr Hamburger Publikum bereits im vierten Song
Das war eigentlich DAS Bild des Abends (aber die Fotografen mussten das Stadion schon früh verlassen, die strengen Regeln gerade bei Großkonzerten verlangen es so): wie Taylor Swift bei „You belong to me“ klitschnass auf der güldenen Treppe performte, ihren Backgroundsängerinnen ausgelassen „Oh my God!“ zurufend. Und wie sie das tatsächlich irre zu genießen schien. Wegen Wetterkalamitäten ist es eben doch nicht ganz dieselbe Show überall, das Abweichen von der Perfektion geschah mit jedem Tropfen. Wasserfester knallroter Lippenstift, wasserfeste Energie, das war die Formel.
„You need to calm down, you’re being too loud“, tadelte sie das Publikum bereits im vierten Song, aber zu laut war hier gar nichts. Alles genau richtig so: Jedes Lied eine Wucht, jeder Vortrag hochprofessionell – und trotzdem zeigte sich da eine Nahbarkeit, die eben nicht nur aus Einübung und Kalkül bestand. „Ich liebe euch alle“, rief Taylor Swift (erneut auf Deutsch) kurz nach „Champagne Problems“. Und man durfte davon ausgehen, dass diese Botschaft – obwohl doch jeder genau wusste, dass sie ihre Liebe schon bei fast 120 Konzerten zuvor ebenfalls bekundet hatte – ganz genau so auch bei vielen ankam. Fast ist man geneigt zu schreiben: ungefiltert. Das fest in der Show eingebaute Verschenken des schwarzen Hutes während „22“ an ein kleines Mädchen war auch in Hamburg erwartbar einer der emotionalsten und gleichzeitig überdrehtesten Momente.
„Champagne Problems“, entstanden mitten in der Pandemie und von damals aus betrachtet eigentlich – wir haben viel verdrängt oder vergessen – immer noch ein kleines Wunder, erlebte man nun in einem vollen Stadion gemeinsam. Swift an einem moosbewachsenen Flügel, das war schon entzückend.
Teaylor Swift: Eine Künstlerin, die den „Zeitgeist idealtypisch verkörpert“
Der anschließende absolut ohrenbetäubende Jubel ist ebenfalls ein Ritual – gut zweieinhalb Minuten waren es beim diesem ersten Hamburg-Konzert. „Wow“, formte Taylor Swift immer wieder mit den Lippen und nahm ihre In-Ear-Kopfhörer aus den Ohren. Es war wirklich SEHR laut.
Bei „Majorie“, der ihrer Großmutter gewidmeten Ballade, war das mit allen leuchtenden Displays ein klassischer Überwältigungsmove. Spielerischer kamen die gelben und orangefarbenen Luftballons zu „Willow“ daher, die in den Reihen plötzlich jeder dritte zückte. (Lustig, es fiel einem plötzlich die „Rocky Horror Picture Show“ ein, als die Kinobesucher unter anderem Klopapierrollen in die Vorstellungen mitbrachten, um sie an der immer gleichen Stelle verzückt durchs Parkett zu schmeißen.
Mit Taylor Swift stellte sich eine Künstlerin in Hamburg vor, die den Zeitgeist idealtypisch verkörpert. Die Frau braucht eigentlich niemanden, um groß zu sein, keine Mittler, keine Medien. Und sie braucht zugleich alle, diese vielen Fans, die „We Are Never Ever Getting Back Together“ und das selbsttherapeutisch-ermächtigende „All Too Well“ Wort für Wort mitsingen und dabei sogar manchmal vergessen, den Augenblick mit dem Smartphone festzuhalten.
Es gibt auch die beinahe intimen Momente bei Swifts Hamburg-Konzert
Dass Swift mit den Lockdown-Alben „Folklore“ und „Evermore“ und deren eher akustischen Zugängen in die Herzen mancher traf, die mit dem Dancefloorsound der Discogöttin nicht so viel anfangen konnten, wurde in dieser Konzertmitte deutlich. Swift spielt auf der „Eras Tour“ ihre Alben nicht chronologisch, dramaturgisch ist das geschickt. Die Hits von „1989“ (ein Hit-Album wie „Thriller“, beinah), also „Blank Space“ und „Shake It Off“, kamen vor den neuen Songs von „The Tortured Poets Department“.
Was war ein besonderer Knallereffekt in einer von Knalleffekten gespickten Show? Sicher „Style“, der erste Song, den Swift von „1989“ spielte. Da entfaltete der üppige Catwalk aus Monitoren, die an diesem Abend schon Lava-ähnlich blubbern durften, noch einmal ordentlich Wirkung. Was für eine Hitparade insgesamt, auch „Wildest Dreams“ fehlte nicht. Insbesondere gab‘s aber reichlich Budenzauber bei „Bad Blood“, als es langsam dämmerte (der Regen hatte längst nachgelassen): Die am Eingang verteilten Armbänder leuchteten stadionweit nach eigenen Gesetzen, Feuerfackeln schossen in die Höhe. Bei „Down Bad“ hätte es dann auch keinen mehr gewundert, wenn das ganze Volksparkstadion einem enormen UFO gleich einfach abgehoben hätte.
Als „Surprise Song“ spielte die so effektbegabte Swift einen Mix von „Teardrop On My Guitar“ und „Last Time“, und, als absolute Livepremiere, das Pianoballaden-Mashup von „We Were Happy“ und „Happiness“. Da lauschten 50.000 ergriffen, es gibt sie auch, beinah intime Momente im Stadionrund.
Das Volksparkstadion war an diesem Dienstagabend ein hingebungsvoller Ort
Achtung Swifties, es folgt ein Sakrileg: Dass die begnadete Performerin Taylor Swift fürs (viele) Geld Abend für Abend immer mehr als drei Stunden abliefert, spricht unter anderem von Fleiß und Fanservice. Es war dann aber, für Nicht-Swifties, vielleicht, nur ganz vielleicht, insgesamt ein bisschen lang. Dass Taylor Swift jedoch nicht allein der Musik wegen so ein Hyperstar ist, versteht sich von selbst. Oder?
Und für die Swifties, die längst nicht nur aus Deutschland kamen (besonders Englisch hörte man oft)? War das alles nichts anderes als eine Offenbarung. Das Volksparkstadion war an diesem Dienstagabend ein wogender, hingebungsvoller Ort, an dem eine außergewöhnliche Künstlerin auf dem Peak ihrer Karriere das tat, was ihr Job ist: den Funken zu zünden, den ihre Fans zum Feuerwerk machen. Besondere, unvergessliche Momente, powered by Taylor Swift.