Düsseldorf. Interview: Die neue Chefin des Balletts am Rhein hat Revier-Geschichte: Die Amerikanerin holte mit dem Ballett Gelsenkirchen große Preise.
Sie haben zum Antritts-Auftritt mit der Bahn neulich zwei Stunden von Düsseldorf nach Duisburg gebraucht. Netter Einblick in den Alltag hier. Würden Dinge im ÖPNV anders laufen, wenn ein Ballettmensch der Boss wäre? Ihre Kunst gilt ja als Olymp totaler Disziplin...
(lacht) Oh mein Gott! Das weiß ich nicht, ehrlich gesagt: Ich beschwere mich als Kundin wegen der Züge derzeit, aber klar weiß ich, dass die einzelnen Mitarbeiter nicht schuld sind. Aber ein Eindruck festigt sich in den letzten Jahren: Große Institutionen sind sehr kompliziert geworden. Übrigens auch ein Grund dafür, dass ich mein neues Amt mit einem Kollegen teile. Ich will einfach meine Kraft ganz stark für die Bühne einsetzen.
Bei Ihrer Vorstellung in Düsseldorf wurden Sie mit einem Lob bedacht, das uns fast ein bisschen antiquiert vorkommt: Sie verkörperten „einen weiblichen Blick“. Gibt es den? Ist er nötiger denn je? Und wie ist der denn, der weibliche Blick?
Seit ich choreografiere und Direktorin bin, kommt diese Frage immer wieder auf: „Wie siehst Du das als Frau? Bist Du feministisch?“ Meine Antwort war immer: „Ich bin keine Feministin. Ich bin einfach eine Choreographin.“ Aber das ist ein Privileg, weil andere Künstlerinnen uns Frauen schon den Weg bereitet haben. Was ich aber gern gestehe, ist: Alle meine Choreographien beinhalten Rollen, die ich selber tanzen möchte. Ich sehe mich also selbst in den Rollen. Und natürlich sehe ich mich dann nicht unbedingt als Romeo, sondern als Julia. Ich habe einen bestimmten Blickwinkel.
Wie ist der genau?
Er besteht sozusagen aus vielen – weil ich 50 Jahre alt bin und nicht 20. Weil ich Mutter bin. Weil ich Amerikanerin bin. Weil ich eine Tänzerin war, weil ich hunderte Erlebnisse hatte, die mich geprägt haben. Das alles macht den Blick. Zu sagen, dass ich keinen weiblichen Blick habe, wäre verkehrt, aber das übermächtig Prägende ist es nicht.
Sie haben den Reichtum Ihres Lebens in so vielen Farben umrissen. Ihr erster Beitrag für das Ballett am Rhein wird einen sprechenden Titel tragen: „Biolography“. Wie stark glauben Sie, dass das Leben überhaupt den Künstler im Griff hat? Oder ist es umgekehrt: Die Kunst ist so dominant, dass sie das ganze Leben einer Künstlerin beherrscht?
Für mein Leben war die Praxis der Kunst das Prägende. Kunst inspiriert, aber was mein Leben wirklich prägt, ist die Disziplin der Tänzerin. Jeden Tag alles geben, um ein Ziel zu erreichen. Hat man es, dann zum nächsten Ziel – aber das klingt etwas klein, das ist nicht alles. Ich kann mich von meinen Erfahrungen im Leben nicht trennen. Und wenn ich versuche, die Erfahrung von jemand anderem auf die Bühne zu transportieren, dann würde ich scheitern. Eigentlich kann ich nur aus meiner eigenen Biografie und meinem eigenen Blick etwas kreieren, bestenfalls bereichert durch das „Zusammen“ mit meinem Team.
Sie kommen in die rare Situation einer „Theater-Ehe“. Deren Partner, Düsseldorf und Duisburg, könnten in ihrem Charakter verschiedener kaum sein. Das betrifft auch das Publikum. Wie macht man eine Kunst für beide? Sie zeigen nun auch im Ballett am Rhein Ihr Erfolgswerk „Ruß“. Von Ihnen einst in Gelsenkirchen aus der Taufe gehoben, umgab Ihre „Aschenputtel“-Geschichte auch der Dreck der harten Arbeit. Und nun in Fußweite der „Kö“...?
Das ist ein großes Thema im Theater überhaupt: Es ist nicht leicht. Ich möchte Menschen in keiner dieser Städte unterschätzen darin, dass sie berührt werden können von Dingen. Das Schöne am Tanz ist, dass man ohne Sprache erzählt. Bewegung und Berührung sind eine Sprache, die fast jeder Mensch aufnehmen kann. Wissen Sie, ich bin damals in Gelsenkirchen angetreten und kam aus Stuttgart - einen größeren Unterschied kann man sich kaum denken. Fast ein Kulturschock. Aber ich ich habe so viele coole Menschen kennengelernt, die Offenheit, die Direktheit. Ich hoffe, ich habe ein Gefühl dafür entwickelt, wie man ein Publikum erreicht.
Sie hoffen...
Mehr geht nicht: Mein Vater war Journalist. Eine Zeitlang habe ich ihn oft um Rat gefragt, wenn ich beruflich Briefe geschrieben habe. Die gingen immer erst an ihn, ich hatte Sorge, dass das so formuliert ist, dass mein Anliegen auch echt klar ist. Irgendwann hat er mal zurückgeschrieben: „Bridget: Das ist alles gut, Du kannst nur schreiben, was Du schreibst. Du kannst nicht kontrollieren, wie die Leute das aufnehmen.“ Tja, das gilt natürlich auch für mein Theater. Ich kann und will ja auch keinen Einfluss nehmen, die das Publikum meine Arbeit aufnimmt. Aber zuhören will ich, wie es ankommt. Ich hatte nie ein Bild von mir nach dem Motto: „Ich bin so eine große Künstlerin, ich mach‘ mein Ding, das muss das Publikum jetzt verstehen.“ Ich kann nur ein Angebot machen.
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Eine fast demütige, bescheidene Haltung...
Das ist vielleicht doch eine Sache meiner Generation und Herkunft als Frau. Ich habe als Mädchen gelernt: Denk an den anderen! Versuch zu verstehen, wie der andere sich fühlt. Das habe ich als Künstlerin nicht abgelegt.
Zur Person
Schon mit 17 kam Bridget Breiner nach Deutschland, um ihre in Amerika begonnene Tanz-Karriere voranzutreiben. Ihr erstes Engagement hatte sie am Staatsballett München. 1996 ging sie zu Reid Anderson ans Staatsballett Stuttgart. In dieser Zeit wurde sie deutschlandweit als herausragende Tänzerin gefeiert. Später war sie beim Ballett der Semperoper engagiert. Sie leitete danach von 2012 bis 2019 das Ballett am Musiktheater im Revier Gelsenkirchen. In diese Zeit fielen zwei ihrer größten Triumphe: Für „Ruß“ und „Charlotte Salomon“ erhielt Breiner (50) den bedeutenden deutschen Theaterpreist „Der Faust“.
Vom Ballett des Staatstheaters Karlsruhe wechselt sie nun an die Deutsche Oper am Rhein. Dort wird sie ab der Spielzeit 2024/25 in einer Doppelspitze Chefchoreograhin, Raphaël Coumes-Marquet, an dessen Seite sie einst an der Semperoper tanzte, wird Ballettdirektor.
Sie treten in einer gesellschaftlichen Zeitenwende an. Es ändert sich rasant viel. Wer bringt noch die Geduld mit, im Theater drei Stunden still zuzuschauen? Wer duldet einen Abend ohne Selfie? Dazu die sinkende Aufmerksamkeitsspanne. Unverschuldet steht das Theater vor gigantischen Problemen.
Selbst mein Mann und ich setzen unseren Sohn ab und zu mal vor den Fernseher, um einen Moment Ruhe zu haben. Im Idealfall tun wir das so selten wie möglich: Erst mal muss er aushalten, dass jeder Mensch sich auch mal langweilt. Jeder muss das kennenlernen, daraus entwickelt sich Gutes, Kreativität. Was wir tun können? Ich weiß es nicht. In Gelsenkirchen hatten wir für Jugendliche „Move“, ein Projekt, an dem sie aktiv beteiligt sind. Sowas ist sehr hilfreich, überhaupt die Faszination und den Respekt für Theater aufzubauen. Es geht nur, wenn man die Menschen wirklich mitnimmt. Was für ein Wahnsinn ein Live-Erlebnis im Theater sein kann, das dürfen wir zu erzählen, nicht müde werden.