Klagenfurt. Die Jury diskutiert nach viel Begeisterung heftig über die Kritik von Schriftsteller-Kollege Philipp Tingler an Mahmods Text.

Aus Bochum zum Bachmannpreis gereist, sorgte Miedya Mahmod mit dem Text „Es schlechter ausdrücken wollen“ für eine heftige Jury-Debatte in Klagenfurt: Schriftstellerkollege Philipp Tingler durchbrach die Reihe der zunächst wohlwollenden bis begeisterten Bewertungen der anderen sechs Jury-Mitglieder. Mahmod hatte den Text cool und mit dem ganzen gelernten Poetry-Slam-Können gelesen, voller Selbstbewusstsein und mit prägnanter Gefühls-Dosierung. „Es schlechter ausdrücken wollen“ ist der dreisprachige Bewusstseinsstrom (hauptsächlich Deutsch mit kurdischen und englischen Einsprengseln) einer Person, die beim Öffnen des Kühlschranks über klingende Assoziationsketten auf Kindheitserinnerungen und eine vielfältig zerrissene Persönlichkeit zugleich blickt.  

Der Jury-Vorsitzende Klaus Kastberger schwärmte von Miedya Mahmods „perfektem Vortrag“

Während der Jury-Vorsitzende Klaus Kastberger von einem „perfekten Vortrag“ schwärmte, bemängelte Tingler, dass der Text von Miedya Mahmod genau diesen Vortrag gebraucht habe, um beeindrucken zu können – und er benötige viel „Katalog“, viel Erläuterung, um verstanden werden zu können. Kastberger sei durch den Text zu einem „akademischen Vortrag“ animiert worden, der vom Publikum auch noch beklatscht worden sei. Kastberger erntete mit seiner süffisanten Reaktion („Etwas Besseres kann dieser Veranstaltung doch gar nicht passieren!“) weiteren Beifall und zustimmendes Gelächter des Publikums.

Außerdem kritisierte er an dem Bewusstseinsstrom Mahmods „Ästhetisierungsüberdehnungen“ sowie einen Mangel an „Textökonomie“: Er enthalte „ganz viele Topoi, die zum gängigen Kanon einer bestimmten Literatur gehören.“ Auch andere Jury-Mitglieder fühlten sich einer „Textflut“ ausgesetzt, sahen das aber eher positiv. Der Schweizer Kritiker Thomas Strässle nannte den Text „eine Partitur für eine Performance“, mit der man anders umgehen müsse als mit anderen Wettbewerbstexten. Mithu Sanyal, die Miedya Mahmod als Jury-Mitglied zum alljährlichen Wettlesen eingeladen hatte, schwärmte von einem „eigenartigen Text im besten Sinne des Wortes“ und seiner inneren Vielstimmigkeit, die „alptraumwandlerisch“ daherkomme. Die Trägerin des Literaturpreises Ruhr 2021 verteidigte ihn vehement und betonte seine „Wahrhaftigkeit“.

Abstimmung für den Publikumspreis: 29. Juni zwischen 15 und 20 Uhr online

Die österreichische Kritikerin Brigitte Schwens-Harrant wiederum lobte neben dem „wunderschönen Klang“ einer „Sprache auf Heimatsuche“, dass der Text das Zersplittern des Zusammenhangs von Wort und Bedeutung nicht behauptend erzählt, sondern mit eben dieser Sprache bewerkstellige. Auch der Dramatikerin und Kolumnistin Laura de Weck gefiel die Perfomance Miedya Mahmods, während die deutsche Kritikerin Mara Delius von einer gewissen „Pseudo-Progressivität“ sprach und bedacht wissen wollte, „was es für den Text heißt, dass er beim Vortrag so viel prägnanter wird“.  

Miedya Mahmod
Miedya Mahmod © Jerome Hoffmeister | Jerome Hoffmeister

Miedya Mahmod hatte die vorletzte Position in der Lese-Reihenfolge und bekam vom Publikum im Saal einen langen, lebhaften Beifall. Was zusammen mit den überwiegend positiven Jury-Bewertungen dem Eintritt in den Favoritenkreis gleichkommen dürfte. Vielleicht nicht für den mit 25.000 Euro dotierten Hauptpreis (da dürften der Bosniendeutsche Tijan Sila und die Schweizerin Sarah Elena Müller vorn liegen), aber für einen der vier Nebenpreise. Zum Beispiel für den Publikumspreis, für den am 29. Juni zwischen 15 und 20 Uhr abgestimmt werden kann – hier der Link.