Münster. Abwechslungsreiche, anschauliche Ausstellung zum Sehen, Hören und Mitmachen im Labor über die wichtigsten Bausteine der Welt.

Hier hängt ein Fahrradreifen aus Löwenzahn, im Käfig gibt es einen japanischen Hahn, dessen Federn bis zu 14 Meter lang werden können und begrüßt werden die Besucher von drei (ausgestopften) Tigern, die erst auf den zweiten Blick Unterschiede erkennen lassen – zwischen einem Königstiger, einem Sumatra- und einem Sibirischen Tiger. Das Naturkundemuseum in Münster, gleich am Allwetterzoo gelegen, macht in seiner neuen Ausstellung ab dem 21. Juni Gene sichtbar: ihre Wirkung, ihre Funktion, ihren Wert für uns Menschen.

Die Macht der Gene auf Familienfotos in der Ausstellung „Gene – Vielfalt des Lebens“

Spätestens die Corona-Epidemie mit ihren Erregervarianten von Delta bis Omikron müsste allen klargemacht haben, welchen tiefgreifenden Einfluss Gene und ihre Veränderungen auf unseren ganz persönlichen Alltag haben. Die Macht der Gene zeigt sich etwa in über 40 Foto-Paaren von Kindern und Eltern mit unübersehbaren Ähnlichkeiten.

Beethovens Locken und die Gene – DNA speichert eine Seitensprung seiner Vorväter

Allerdings verschweigt die Schau auch nicht, wie kompliziert Gene sind: Am Eingang, gleich hinter den Tigern, stehen 720 Aktenordner, die jeweils 1200 Seiten mit kleinbedruckten Seiten aufnehmen können: Das ist die genetische Information eines einzigen Menschen. Wer etwa den Ordner Chromosom 16 herauszieht, hat die Daten für die Frage, ob das persönliche Ohrenschmalz krümelig oder cremig ausfällt – Biologen haben halt einen ganz eigenen Humor...

Spektakulär ist der Versuch des Museums, Details der Gen-Funktionsweise etwa mit einer Baustelle aus Legosteinen zu versinnbildlichen, mit Comics und Animationen aus dem Leben einer Zelle. Wer einen Biologie-Leistungskurs absolviert hat, kann hier im Nachpuzzeln der Protein-Biosynthese seine Kenntnisse auffrischen, ist aber nicht gezwungen dazu. Wir lernen allemal, dass Gene so etwas wie das Archiv des Körpers sind. Oder dass bei der Verschmelzung von männlicher und weiblicher Samenzelle theoretisch rund 70 Billionen Varianten möglich sind (um genau zu sein: 70.368.744.177.644).

Gentechnik mit der natürlichen Gen-Schere CrisperCas9. Fahrradreifen aus Löwenzahn

Und wir lernen: Fehler bei der Weitergabe von Genen sind wichtig. Fehler sind das Labor der Evolution. Aus Fehlern entsteht Vielfalt. Und das ist die eigentliche Botschaft dieser Ausstellung: Wir brauchen genetische Vielfalt, um das Leben auf der Erde zu erhalten. Die Natur lebt von Fehlern.

Und sogar die Wissenschaft, in der jede Erkenntnis nur vorläufig ist. Sechs Gen-Forscherinnen und -Forscher der Universität Münster erzählen von ihren Versuchen, ihren Fortschritten. Dirk Prüfer etwa hat Löwenzahn genetisch so verändert, dass man Kautschuk aus ihm machen kann. Der Mantel eines Fahrradreifens, der daraus produziert wurde, hängt an der Wand.

Gene - Vielfalt des Lebens
Durchgänge in Kniehöhe für Kinder: Sie können sich im Snoozel-Raum mit dem Thema vertraut machen oder mittels geheimer Abkürzungen die Ausstellung erkunden. © LWL/Fialla | LWL/Fialla

Und um die Ecke bekommt man erklärt, dass die Gen-Schere CrisperCas9, mit der in den vergangenen Jahren so viele erfolgreiche Versuche unternommen wurden, von der Natur selbst entwickelt wurde: Von Bakterien, die sich damit gegen Angriffe von Viren gewehrt haben. So eine Gen-Schere könnte also auch gegen Corona helfen, schade, dass sie zu klein für die Jackentasche ist.

Zur Ausstellung

In der überaus familientauglichen Ausstellung erzählt etwa Fernsehmoderator „Checker Toby“ an acht Stationen von den Meilensteinen der Genforschung. In einem Gen-Labor kann man die eigene DNA aus Mundschleimhautzellen isolieren, an Mikroskopen, die mit Riesen-Bildschirmen verbunden sind. Es gibt Riech- und Tast-Stationen (die etwa spüren lassen, wie aus einer spillerigen Wildwurzel eine dicke, orangefarbene Möhre wurde). Aber auch ein Epigenetik-Glücksrad, das erklärt, wie Gene von Umweltfaktoren beeinflusst werden (was in der Regel aber nur zwei Generationen lang anhält). Oder einen Schreibtisch mit dem Untersuchungsbefund aus einem Polizei-Labor: Mit dessen Hilfe kann man herausbekommen, wer bei der Familie Zensus den letzten Keks aus der Dose geklaut hat. Für kleine Kinder hat die Ausstellung eigene Durchgänge in Knie-Höhe und Rückzugsecken mit altersgerechten Büchern zum Thema.

„Gene – Vielfalt des Lebens“. LWL-Naturkundemuseum, Sentruper Str. 285, 48161 Münster. 21. Juni-11. Januar 2026. Geöffnet: Di-So 9-18 Uhr. Eintritt: Kinder unter 18 frei, Erwachsene 9 €.

Zu den wertvollsten Ausstellungsstücken gehören zwei Locken von Beethoven aus dem Bonner Beethovenhaus, von denen mindestens eine ziemlich sicher echt ist (die angeblich von Beethoven überlieferten Locken reichen ja für eine Heerschar von Perücken). Im vergangenen Beethoven-Jahr hat man ja herausgefunden, dass es für Beethovens Ertaubung keine genetische Ursache gab, wohl aber für die Leber-Erkrankung, die ihn zeitlebens mit Bauchbeschwerden kämpfen ließ. Und dass es bei Beethovens väterlichen Vorfahren einen Seitensprung gegeben haben muss.

Das Museum für Naturkunde in Münster an der Sentruper Straße, gleich vor dem Allwetterzoo.
Das Museum für Naturkunde in Münster an der Sentruper Straße, gleich vor dem Allwetterzoo. © picture alliance / Bildagentur-online/Schoening | Bildagentur-online/Schoening

Am Ende stellt sich die Ausstellung der Frage, ob es möglich wäre, ausgestorbene Arten mit Hilfe von Gentechnik wieder zu Leben zu erwecken. Ein Elefant unterscheidet sich zum Beispiel in seinem Erbgut nur zu 0,4 Prozent vom Mammut. Das macht allerdings rund 1,4 Millionen Gene. So viele kann man derzeit allerdings noch nicht verändern. Man bekäme höchstens ein mammutähnliches Wesen heraus. „Aber was sollte das auch?“, fragt Ausstellungsmacherin Friederike Ehn, „es gibt doch das passende Öko-System für Mammuts nicht mehr, deshalb sind sie ja ausgestorben.“