Hagen. Buchhandel: Zwei Drittel aller Bewerber in der Thalia-Verwaltung sagen ab, weil sie an einem bestimmten Standort nicht arbeiten wollen.
Obwohl das Homeoffice beliebt ist, wird die Standortfrage für Unternehmen mit Büroarbeitsplätzen immer wichtiger. Das betrifft auch das Buchhandelsunternehmen Thalia, das mit mehr als 500 Buchhandlungen Marktführer im deutschsprachigen Raum ist. Der größte Zentralstandort mit rund 500 Mitarbeitenden hat seinen Sitz in Hagen-Bathey. Wird er dort bleiben? Zwei Drittel aller Bewerber bei Thalia wollen nicht in Hagen arbeiten. Ingo Kretzschmar, Vorsitzender der Geschäftsführung von Thalia, schlägt im Interview auch kritische Töne gegenüber der Stadt Hagen an.
Welche Standortfaktoren braucht ein Unternehmen heute, um für Mitarbeitende attraktiv zu sein?
Ingo Kretzschmar: Es sind vor allem drei entscheidende Faktoren, die ich auch immer wieder von Mitarbeitenden und Bewerbern gespiegelt bekomme. Die Verkehrsanbindung und die Erreichbarkeit, sei es mit dem Auto, dem Fahrrad oder dem ÖPNV. Zweitens muss der Standort attraktiv sein, dazu gehören Kulturangebote, die Gastronomie, mal eben um die Ecke ins Fitnessstudio gehen. Und drittens, bezogen auf den Arbeitgeber, muss der Arbeitsplatz selbst attraktiv sein mit vernünftiger Kantine, lichtdurchfluteten Räumen und Möglichkeiten, in Open Spaces oder an Shared Desks zu arbeiten..
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Was fehlt in Hagen?
Der ÖPNV ist bezogen auf unseren Standort ausbaufähig. Vom Hagener Hauptbahnhof bis nach Bathey braucht man mit dem Bus eine Dreiviertelstunde, das ist mit Verlaub, eine Katastrophe. Ansonsten wünschen sich Unternehmen von der Stadt , dass die notwendigen Rahmenbedingungen geschaffen werden: attraktive Büroflächen und die Förderung eines attraktiven Umfeldes. Die Innenstadtentwicklung spielt hier eine zentrale Rolle.
Sie haben bereits zwei Verwaltungskomplexe aus Hagen nach Münster und Berlin verlegt, das Digitalgeschäft und den E-Commerce. Droht der Hagener Zentrale ein ähnliches Schicksal?
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Die Bereiche wurden nicht verlegt, sondern sind historisch bedingt schon immer an den Standorten in Münster und Berlin, weil wir seinerzeit die entsprechenden Vorgänger-Unternehmen übernommen haben. Wir haben sie dort belassen, um leichter Mitarbeiter mit den entsprechenden Qualifikationen zu finden. Doch auch in Münster und Berlin ist das inzwischen schwer.
„Dass die Hagener Innenstadt zunehmend an Attraktivität verliert, lässt sich nicht schönreden.“
Woher kommen die Mitarbeitenden der Unternehmenszentrale in Hagen?
Aus Hagen und Umgebung, viele pendeln zudem ein, aus dem Sauerland, dem Ruhrgebiet, aus Köln und Düsseldorf.
Sie bieten attraktive Jobs in einer faszinierenden Branche. Rennen Ihnen die Bewerber die Türe ein?
Auch wir spüren den zunehmenden Fachkräftemangel. Und gerade für Hagen ist es total schwer, Leute zu finden. Zwei Drittel aller Bewerber sagen standortbedingt ab. Gerade bei Führungskräften erlebe ich, dass sie sich schwertun mit dem Standort und dem Gebäude, in dem wir Mieter sind und an dem lange nichts getan wurde.
Stehen Sie denn trotzdem zu Hagen?
Hagen ist wichtig für uns. Daher suchen wir auch nach einer Lösung für unseren Standort. Wir führen derzeit Gespräche mit dem Vermieter. Wenn das nicht funktioniert, müssen wir etwas anderes suchen.
Vor wenigen Wochen gab der Douglas-Konzern bekannt, auch die letzten verbliebenen Abteilungen aus Hagen abzuziehen. Ein schwerer Schlag für die Stadt. Tut Hagen genug, um Unternehmen wie Ihres zu halten?
Was ich feststelle ist, dass in Hagen viele Protagonisten für sich über Dinge nachdenken, kritisieren und Lösungsvorschläge erarbeiten. Aber jeder macht das für sich alleine. Es fehlt ein strukturierter Austausch, eine gemeinsame Klammer. Wo ist die Person, die alle an einem Tisch zusammenbringt, um gemeinsam an Lösungen zu arbeiten?
Die Hagener Oberbürgermeister haben sich bisher nicht groß darum gekümmert, dass Thalia in der Stadt ansässig ist, oder?
Vor zwei Monaten war OB Erik O. Schulz bei uns, für ein erstes Gespräch. Aber ich will lieber nach vorne blicken: Der kommende OB muss für sich die zentrale Aufgabe sehen, mit Unternehmen, Kulturbetrieben, Universitäten gemeinsam an einem Tisch nach Lösungen zu suchen. Das hängt alles zusammen: Arbeit, Kultur, Bildung. Und ja, das ist keine einfache Aufgabe, denn es muss am Ende eine Gesamtstrategie folgen.
Derzeit errichten Sie in Marl ein 100-Millionen-Euro-Projekt, ein innovatives Omni-Channel-Hub. Warum nicht in Hagen?
In Hagen war kein Grundstück in der Größe von 135.000 Quadratmetern verfügbar. Hinzu kommen in Marl eine optimale Infrastruktur sowie eine gute Verfügbarkeit von Arbeitskräften. In Marl hat einfach das Gesamtpaket gepasst. Ende Juni ist dort der Spatenstich.
Sie sind auch in der Hagener Innenstadt engagiert, mit der großen Thalia-Buchhandlung in der Elberfelder Straße. Wie wirkt sich der Niedergang der Innenstadt auf die Buchhandlung aus?
Dass die Hagener Innenstadt zunehmend an Attraktivität verliert, lässt sich nicht schönreden. Und einige Entscheidungen in der Vergangenheit haben das nicht besser gemacht, die Innenstadt wurde damit nur noch zerklüfteter. Kein Wunder also, dass die Hagener selbst immer mehr andere Städte im Umland ansteuern. Dennoch nehme ich in Hagen Potential wahr. Der Wunsch und das Interesse sind da, etwas zu ändern, aber das geht alles nur gemeinsam. Hierzu gehört auch ein Konzept, um lokales Unternehmertum zu fördern. Da gibt es viele Beispiele in den umliegenden Städten, und dann muss man einfach anfangen.
Die Bevölkerungsstruktur in Hagen hat sich geändert. Wie wirkt sich das auf den Umsatz einer Buchhandlung aus?
Wir haben nach wie vor viele treue Kunden. Ein wichtiger Grund ist das Café. Viele Kunden sagen, es sei mittlerweile einer der wenigen Orte in der Innenstadt, wo man schön sitzen kann. Noch entscheidender ist aber die hervorragende Arbeit von Gabriele Förster und ihrem Team. Dennoch: Uns fehlt die Laufkundschaft, die Grundfrequenz wird immer weniger. Das ist am Ende der entscheidende Punkt, warum viele Einzelhändler abwandern.
Welche Wünsche haben Sie an die Stadt?
Als ich die Leitung von Thalia übernommen habe, haben wir uns die Frage gestellt: Warum soll es Thalia in 15 Jahren noch geben, was macht uns aus, mit welchen Themen müssen wir uns auseinandersetzen? Also die Frage nach dem Warum, nach dem Was und dem Wie. Übertragen auf die Stadt heißt das: Warum soll es Hagen noch geben in 15 Jahren? Was macht Hagen aus? Was sind die Topthemen für Hagen? Wie sollen diese Themen erreicht werden? So wird daraus der Masterplan Hagen 2035. Wir haben viele Pluspunkte, die waldreichste Stadt, das Tor zum Sauerland, drei Flüsse, drei Seen. Dennoch müssen wir auch Antworten auf Fragen finden wie: Was sind die großen Themen für den Bereich Wohnungsbau, was für eine Gesellschaft wollen wir haben, was wollen wir für Kultur und Sport tun, wie machen wir Betroffene zu Beteiligten? Dazu braucht es aber zunächst eine Bestandsaufnahme. Sowohl als Hagener Bürger wie als Unternehmer fehlt mir dieses Bild. Bei uns ist es 5 nach 12, das muss angesprochen werden, und dann muss man sagen: Wir wollen das gemeinsam schaffen, was ist der Masterplan?
Sie sehen den Niedergang der Stadt als Führungsproblem?
Wir haben bei Thalia 6500 Mitarbeiter. Wenn ich etwas erreichen will, fange ich oben an und suche mir die Leute, die das mit mir gemeinsam umsetzen wollen, die an einem Strang ziehen. Mich stört, dass in Hagen alles nur auf die finanzielle Situation und die Armutszuwanderer aus Südosteuropa geschoben wird. Ja, beides gibt es, aber ich kann trotzdem etwas voranbringen.
Sie führen immer mehr Buchhandlungen im Sauerland. Sind die Probleme dort ähnlich?
Im Sauerland sind die Probleme anders gelagert. Überalterung zum Beispiel. Aber es gibt auch viele schöne Beispiele. Ich kenne viele junge Familien, die in Richtung Sauerland ziehen wollen. Deshalb unterstützen wir die Buchhandlungen im Sauerland insbesondere mit unserem Partnermodell und erweitern, wie ganz aktuell mit den Buchhandlungen WortReich in Meschede, Schmallenberg und Winterberg, unser Partner-Netzwerk.
Was bedeutet das Bekenntnis zu Hagen?
In Hagen liegen unsere Wurzeln. Mir ist es wirklich ein Anliegen, dass wir uns hier weiterentwickeln können. Zugleich wollen wir etwas für die Menschen hier vor Ort tun. Das macht unsere Buchhandlung mit vielen Veranstaltungen, aber wir wollen uns künftig auch kulturell mehr engagieren. Mit Blick auf unsere Sportförderung haben wir den Sponsoring-Vertrag mit Phoenix Hagen gerade verlängert. Hinzu kommt unser Engagement bei der Basketball-Akademie, denn Kinder und Jugendliche erreicht man über den Sport. Deshalb ist es uns wichtig, dass man das Thema Jugendförderung mit Sport und Bildungsförderung verzahnt. Hier haben wir in Hagen besonders großes Potential.