Gelsenkirchen..
Das Revier braucht keinen „Herkules“, meint WAZ-Kulturchef Jens Dirksen – schon gar nicht in Markus Lüpertz’ Neo-Expressionismus, der zum nüchternen Bau der Zeche Nordstern passt wie der Wurzelsepp zur Flugzeugkanzel.
Kein Mensch käme auf die Idee, ein Siegfried-Denkmal im XXL-Format zwischen die Türme des Kölner Doms zu flanschen. Und wo wäre die denkmalgeschützte Jugendstil-Villa, die eine kubistische Skulptur aufs Dach gepflanzt bekommt?
Kunst am Bau ist immer der Ausdruck eines schlechten Gewissens. Der Versuch einer Wiedergutmachung – wenn man lieber preiswert und schlecht gebaut hat statt schön und gut. Dem Turm der Zeche Nordstern etwas aufzupflanzen, erweckt unweigerlich den Eindruck, der Bau selbst sei nicht genug. Als fehle dieser Art von Industrie-Architektur jene Würde, die man klassizistischen Schlössern, Renaissance-Häusern und barocken Gartenanlagen fast schon im Reflex zugesteht.
Lüpertz bemalt HerkulesDie Zeugen der Vergangenheit erhalten zu haben ist eine große Leistung
Dabei ist es gerade die größte Leistung des Reviers, die Zeugen der industriellen Vergangenheit erhalten zu haben, wie es kein anderes Industriegebiet der Welt geschafft hat. Der Gasometer in Oberhausen oder die Zeche Zollern in Dortmund beeindrucken als Industrie-Landmarken, gerade weil sie ohne zusätzliche Gimmicks auskommen.
Nordstern ist Industrie-Architektur in Perfektion: Kühl, nüchtern, rational und elegant vom Zweck geformt. Der gläserne Aufbau verlängert die Prinzipien seiner Architektur ins 21. Jahrhundert. Ob das noch einmal getoppt werden muss? Und dann mit der Attitüde der Grobheit? Der um sich selbst kreisende Neo-Expressionismus von Markus Lüpertz passt jedenfalls zu dem Schupp-Bau wie ein Wurzelsepp in eine Flugzeugkanzel.
Warum kein blitzgescheiter Prometheus?
Und Herkules, der griechische Göttersohn, ist eine zweifelhafte Leitfigur für das Revier im Strukturwandel: ein ungeschlachter Hüne, nicht besonders helle, aber bärenstark. Einer der seinen Musik-Lehrer mit der Kithara erschlug, weil der es wagte, ihn darauf hinzuweisen, dass er falsch spielt. Herkules steht für eine trügerische Verheißung: Wer nur lange und schwer genug für andere rackert, der könne sich damit die Aufnahme in den Götterhimmel verdienen. Daran glaubt im Revier längst keiner mehr.
Wenn es denn schon griechische Mythologie sein muss, warum dann eigentlich nicht der blitzgescheite Prometheus, der menschenfreundliche Rebell gegen die scheinbar gottgewollte Ordnung? Sisyphus könnte dem Lebensgefühl der Menschen in der Region vielleicht noch mehr entsprechen. Aber deshalb muss man ihn ja nicht gleich auf den Sockel heben.