Essen. Wir haben den Action-RPG-Blockbuster „Diablo 4“ vorab gespielt – und hatten trotz kleiner Schwächen einen Riesenspaß bei der Jagd auf Dämonen.
Nur noch dieses düstere Kellergewölbe erkunden. Nur noch einen letzten prüfenden Blick auf die gerade erbeutete Ausrüstung werfen. Nur noch diese eine neue Fähigkeit gegen die Monster ausprobieren. Nur noch ein weiteres Kapitel der Hauptgeschichte absolvieren… „Diablo 4“ glänzt schon nach wenigen Spielstunden mit einem Gefühl von Immer-weitermachen-Wollen, wie man es nur von absoluten Klassiker-Games kennt. Schon an diesem Punkt wird klar: Das Entwicklerstudio Blizzard Entertainment hat mit dem vierten Teil der legendären, 1997 begonnenen „Diablo“-Reihe einen weiteren Genre-Standard vorgelegt. 11 Jahre nach dem Erscheinen von „Diablo 3“ dürfte das neue Spiel viele der hohen Erwartungen der Fans befriedigen.
Das ist nach bewegten Zeiten eine dringend nötige gute Nachricht für den „Diablo“-Mutterkonzern Activision Blizzard: Seit 2021 beschäftigten Vorwürfe der Belästigung und Diskriminierung von Mitarbeiterinnen das Unternehmen, auch im „Diablo 4“-Team wurden führende Entwickler entlassen, schon zuvor hatten viele Personalwechsel das Erscheinen des Spiels verzögert. Zudem sorgt die geplante Übernahme von Activision Blizzard durch Microsoft, die von den Kartellbehörden kritisch beäugt wird, für Unruhe.
Hinzu kommt: Mit dem 2022 veröffentlichten Gratisspiel „Diablo Immortal“ hatte Blizzard zuletzt ein auf mobile Nutzung zielendes „Diablo light“ herausgebracht, das vor allem wegen seiner Pay-to-Win-Mechaniken von Fans und Presse teils sehr kritisch aufgenommen wurde – und das, nachdem Blizzard, immerhin die Heimat legendärer Spieletitel und -reihen wie „World Of Warcraft“, „Starcraft“ und „Overwatch“, seinen Ruf 2020 mit dem halbherzigen Remake „Warcraft III: Reforged“ bereits angekratzt hatte. „Diablo 4“ tritt also auch an, um zu beweisen, dass Blizzard den Draht zu seinen Fans nicht verloren hat und noch die große Kunst der Blockbuster-Spieleunterhaltung beherrscht.
Packend erzählte Geschichte
Die Geschichte von „Diablo 4“ knüpft an die Ereignisse des dritten Teils an: 50 Jahre nach epischen Schlachten zwischen den Kräften von Himmel und Hölle ist die Menschheit in ihrer Heimat Sanktuario dezimiert. Kultisten beschwören nun die Dämonin Lilith, die Tochter des „Herrn des Hasses“, Mephisto. Lilith hatte Sanktuario einst zusammen mit dem Engel Inarius als Zuflucht vor dem ewigen Konflikt von Himmel und Hölle geschaffen, dann zerstritten sich beide und Inarius verbannte seine einstige Gefährtin. Nun ist sie zurück, zieht eine Spur der Verwüstung durchs Land – und der Spieler muss sie aufhalten.
Hatte man es in den vergangenen „Diablo“-Teilen meist mit einer Reihe kleinerer und größerer „Übel“ aus den Höllenkreisen zu tun, steht Gegenspielerin Lilith dieses Mal trotz diverser Nebencharaktere stärker im Zentrum, konzentriert sich die Story auch anhand diverser Rückblenden sehr auf sie. Blizzard hat Sanktuario außerdem im Geiste des ersten Teils wieder düsterer gehalten und und erzählt den Widerstreit von Reichen, Herrschern, Helden und Monstern etwas bodenständiger, nahe an der Menschheit. Zusammen mit der auch im deutschen sehr gelungenen Sprachausgabe, dem stimmungsvollen Soundtrack und Zwischensequenzen sowohl in-game als auch gerendert ergibt sich eine dichte, überzeugender denn je erzählte Geschichte. Schön: Es gibt wohldosiert auch Wiedersehen mit Orten und Figuren vergangener Teile. So kann man etwa derart zufällig dem schon in vorherigen Teilen gefürchteten Boss-Gegner „Der Schlächter“ in die Arme laufen, dass einem kurz das Blut in den Adern gefriert.
Fünf Klassen, viele Spielweisen
Dabei ist die Geschichte – wie bei „Diablo“ üblich – auch hier wieder eher ein gelungener Bonus, am grundsätzlichen Spielprinzip hat Blizzard natürlich nicht gerüttelt: Der Reiz des Spiels liegt einmal mehr darin, sich als Held den Monster-Horden entgegenzuwerfen, immer bessere Ausrüstung zu erbeuten und diese auf eine Vielzahl von miteinander kombinierbaren Kampffähigkeiten abzustimmen, um schließlich immer mächtigere Gegner ins Jenseits befördern zu können.
Spieler können dieses Mal aus fünf Klassen in männlicher und weiblicher Ausführung wählen, die allesamt aus den Vorgängerspielen bekannt sind und sich unterschiedlich spielen: Während Barbaren mit Äxten und Schwertern mitten im Getümmel ihrem Zorn freien Lauf lassen, halten geschickt ausweichende Jäger ihre Feinde mit Fallen und Fernwaffen auf Distanz. Zauberer machen sich die Kräfte von Feuer, Eis und Blitzen zunutze, Druiden verwandeln sich in zähnefletschende Bären und Wölfe oder machen sich Erde und Wind untertan, und Totenbeschwörer verfluchen Gegner und kämpfen Seite an Seite mit Untoten. Etwas Feinschliff brauchen die einzelnen Klassen vielleicht noch, aber schon jetzt sind ihre Stärken und Schwächen passabel ausbalanciert.
Sammeln, kämpfen, bauen
Jede Klasse verfügt über einen eigenen Fähigkeiten-Baum, dessen Abschnitte durch das Sammeln von Erfahrung erst Stück für Stück freigeschaltet werden müssen. Erst nach mehreren Dutzend Level-Aufstiegen steht das gesamte Repertoire zur Verfügung, ausgewählt werden kann wegen der begrenzten Anzahl an Fähigkeitspunkten aber immer nur ein kleiner Teil. Für den von uns gespielten Totenbeschwörer mussten wir uns also immer wieder entscheiden, ob wir auf die Stärke der uns begleitenden Skelettkrieger, Schatten-, Blut- oder Knochen-Fähigkeiten setzen wollten. Wer neue Kombinationen ausprobieren will, kann für einen moderaten Goldbetrag Punkte neu verteilen; auf diese Weise die beste Fähigkeiten-Zusammensetzung für den eigenen Spielstil zu finden, ist ein Kernelement des Spiels.
Ein anderes ist die Suche nach immer besserer Beute. Wie gewohnt finden Spieler Ausrüstung wie Schwerter, Zauberstäbe, Rüstungen und Ringe, die in den Abstufungen einfach, magisch, selten und legendär eine Vielzahl immer stärkerer und schließlich einzigartiger Eigenschaften aufweisen, mit denen sich Schnelligkeit, verursachter Schaden, Widerstandsfähigkeit des Charakters und unzähliges mehr verbessern lässt.
Noch vielfältiger als bisher fällt das Crafting-System des Spiels aus: Wir können in der Spielwelt nicht nur Gold finden, sondern auch etliche Materialien wie Erze, Beeren und Leder, mit denen sich Gegenstände aufwerten lassen. Wer magische Fundstücke nicht braucht, zerlegt sie wiederum in Arbeitsmaterial. Edelsteine kombiniert man zu immer reineren Varianten ihrer selbst, Runen zu einzigartigen Runenwörtern, beides verstärkt in Sockel eingesetzt die Eigenschaften von Waffen und Rüstungen. Beim Alchemisten brauen und verbessern wir Heil- und Unterstützungstränke. Und beim Okkultisten kann man Eigenschaften von einem Gegenstand zum anderen übertragen, in der Welt freigeschaltete Fähigkeiten in die Ausrüstung einprägen lassen oder Siegel erhalten, die Verliese zur besonderen Herausforderung machen.
Eine offene Spielwelt
Eine der deutlichsten Änderungen von „Diablo 4“ ist die Spielwelt: Waren die Vorgänger in klar abgegrenzte Akte mit eigenem Aussehen und eigenen Gegnertypen eingeteilt, ist die Spielwelt nun offen: Ohne Ladebildschirme und vorgegebene Reihenfolge durchstreift man Wüsten, schneebedeckte Höhen, Sümpfe und Brachen, die fließend ineinander übergehen. Wer lieber einfach kämpft und erkundet, kann also die Hauptgeschichte erstmal links liegen lassen und später an die entsprechenden Orte reisen.
Als Basis dienen durch Schnellreise-Wegpunkte verbundene Städte und Siedlungen mit Händlern und Figuren, einige davon muss man erst im Laufe der Geschichte finden und befreien. Dazwischen finden sich überall verstreut Verliese, in denen man nicht nur kämpft, sondern oft auch rudimentäre Puzzles (zum Beispiel muss man drei Reliquien finden und in eine Tür einsetzen, um diese zu öffnen) absolvieren muss. Zudem gibt es immer wieder besondere Orte mit Herausforderungen auf der Karte, wo man etwa in einem bestimmten Zeitfenster eine bestimmte Anzahl an Gegnerwellen vernichten muss. Leider ähneln sich diese Zufallsereignisse oft stark.
Zwar könnte man mit der Welt noch mehr Überraschendes anstellen, insgesamt wirkt die Umgebung aber belebter als bisher, näher an einem echten Rollenspiel. Das liegt nicht nur an den deutlich häufigeren und plausibleren Nebenaufgaben (wenngleich diese sich häufig in Laufburschentätigkeiten erschöpfen), sondern auch an den präsenten anderen Spielern: „Diablo 4“ benötigt auch im Einzelspieler-Modus eine aktive Internetverbindung (wofür es im Vorfeld viel Kritik gab), vor allem in den Städten und bei Monster-Ereignissen auf der Weltkarte trifft man diese, muss aber nicht mit ihnen interagieren; „Diablo 4“ ist noch immer kein Massive Mutiplayer Online Role-Playing Game (MMORG). Wer will, kann sich aber mit Mitspielern zusammentun und gemeinsam durch die Welt ziehen, oder an festgelegten Orten seine Kräfte mit ihnen messen (auf Playstation und Xbox setzt das zusätzlich zum Kauf des Spiels offenbar kostenpflichtige Abos voraus).
Die Kämpfe von „Diablo 4“: Schnell, flüssig, vielfältig
Auch bei den eigentlichen Kämpfen ist vieles beim Alten: Gegner sind Skelette, Dämonen, Banditen und vieles mehr, sie tauchen mal in Scharen, mal als einzelne Brocken auf, unterstützen sich manchmal gegenseitig mit Zaubern, immer wieder tauchen dazwischen besondere Exemplare mit magischen Fähigkeiten oder Eigenschaften auf. Die Kämpfe sind schnell, flüssig und abwechslungsreich, Bosskämpfe gegen einzigartige Gegner gerade zu Beginn gern auch mal fordernd. Wer stirbt, startet in der Nähe mit leicht beschädigter Ausrüstung neu – sofern er nicht einen Hardcore-Helden gewählt hat, der unwiederbringlich das Zeitliche gesegnet hat.
Öfter als zuvor muss man die neue Ausweichen-Funktion nutzen: Wer sich auf seinen Angriff verlässt und nicht drohende Feuerbälle und Giftwolken seiner Gegner im Auge behält, kriegt schnell eins auf die Mütze, „Diablo 4“ spielt sich daher einen Hauch taktischer als seine Vorgänger. Das Tempo ist hoch, das Gameplay actionbetont, aber dank jederzeit herunterregelbarem Schwierigkeitsgrad und Hilfefunktionen dennoch einsteigerfreundlich. Ein kleines Manko ist höchstens die Kamera-Voreinstellung, die recht nah am Geschehen ist, insbesondere für große Schlachten wäre eine Möglichkeit zum Herauszoomen schön gewesen; mutmaßlich wird Blizzard diese noch nachliefern, wenn der Unmut der Spieler anhält.
Technisch gibt es übrigens nichts zu meckern: Manche Spieler berichteten vorab bei den Beta-Test-Wochenenden im März zwar von Problemen mit bestimmten Grafikkarten, bei unserem Test vom 2. bis 4. Juni 2023 lief aber alles störungsfrei, Fehler sind uns nicht aufgefallen. Auch die Verbindung zum Server funktionierte einwandfrei. Positiv hervorheben kann man auch, dass selbst ältere PCs das Spiel gut auf mittleren bis hohen Grafik-Details bewältigen – und es auch da schon ziemlich gut aussieht. 4K-Spieler profitieren von noch schickerer Darstellung mit eindrucksvollen Lichteffekten.
Nach dem Spiel ist vor dem Spiel
Wo andere Spiele mit dem Ende der Hauptgeschichte an Spannung einbüßen, geht es bei „Diablo 4“ dann erst richtig los: Bestimmte Ereignisse, Orte und Gegenstände sind für die beiden extremen Schwierigkeitsgrade „Alptraum“ und „Qual“ reserviert, die man erst nach dem Ende der eigentlichen Erzählung beginnen kann – dankenswerterweise so, dass man nicht komplett neu startet, sondern einfach in der erforschten Welt weiterspielt. Ab Charakterstufe 50 kommen zudem sogenannte Paragon-Level hinzu, mit denen sich weitere passive Eigenschaften für den eigenen Helden freischalten lassen.
Außerdem dürfen sich Spieler ab Mitte-Ende Juli auf regelmäßige „Seasons“ freuen, die dem Spiel in einer separaten Instanz der Spielwelt über einige Wochen hinweg neue Gegenstände, Herausforderungen und Ereignisse hinzufügen und das Spielerlebnis frisch halten werden. Wer in einer Season schneller vorankommen oder sich besondere Gegenstände sichern will, muss einen kostenpflichtigen Battle-Pass kaufen. Wirklich spielentscheidende Vorteile erkauft man sich damit jedoch nicht, was so auch für den an das Spiel angeschlossenen Shop gilt (und was eine große Befürchtung der Fans war): Dort werden lediglich kosmetische Gegenstände angeboten, mit denen sich das Aussehen der Spielfigur anpassen lässt. Je nach gekauftem Paket mit der Shop-Währung „Platinmünzen“ kostet diese Kosmetik aber saftige zweistellige Euro-Beträge.
Erfolgsformel stimmig ausgebaut
Das trübt die Freude über „Diablo 4“ jedoch kaum: Die Entwickler haben das klassische Spielprinzip der Serie verstanden und erhalten, aber an vielen Stellen nochmal deutlich ausgebaut und damit eine Referenz im Genre geschaffen, an der sich die Konkurrenz künftig messen lassen muss. Das Spiel strotzt nur so vor Inhalten und Spielmechaniken (und dürfte durch künftige Updates und Add-ons nur noch umfangreicher werden), die zu erkunden Monate dauern dürfte; weil auf dem Weg dahin kontinuierlich Neues passiert, der Schwierigkeitsgrad fair, aber auch nicht zu lasch ist und Inszenierung sowie Performance stimmen, steht langanhaltendem Spielspaß nichts im Weg. Ganz im Gegenteil.
„Diablo 4“ ist ab sofort auf PC, Playstation und Xbox erhältlich. Neben der Standardedition ab ca. 70 Euro sind auch eine teurere Deluxe- beziehungsweise und Ultimate-Edition verfügbar, die zusätzliche kosmetische Gegenstände sowie den Battle-Pass beinhalten und Vorbestellern bereits ab dem 2. Juni vorab Zugang zum Spiel gewährten.