Neuss.. Wer die vielen Facetten Shakespeares kennenlernen will, der sollte zum jährlichen Shakespeare-Festival nach Neuss fahren. Dort sieht man, wie „Hamlet“ mit koreanischem Zugriff aussieht oder wie „Macbeth“ wirkt, wenn er mit Chorgesang dargeboten wird.
Finster ist es auf der Bühne des Neusser Globe Theaters, mindestens so finster wie die Absichten des umtriebigen Macbeth, der sich als Werkzeug seiner Frau den Weg zum schottischen Thron freimordet. Halbnackt erscheint er meist, schwitzend, blutbeschmiert - und manchmal auch singend. Beim Neusser Shakespeare-Festival ist man vor keiner Überraschung sicher.
Urban Wedin, der den dampfenden Schlächter reichlich naturalistisch gibt, ist eigentlich Tenor und gehört zum „Romeo & Julia Kören“ aus Schweden. Dieser Chor, der sich die Pflege und Bewahrung der Renaissance-Musik zur Aufgabe gemacht hat, arrangiert hier vorrangig Lieder von Josquin Desprez aus dem 15. Jahrhundert (älter als Shakespeare also) zu einer bedrohlichen Folge von Kernszenen aus „Macbeth“. Nur 70 Minuten dauert dieser Durchgang, aber nirgendwo ist Hast zu spüren. Im Gegenteil: Hier und da nimmt man sich gar die Freiheit, „Hamlet“ zu zitieren. So wankt der hünenhafte Geist des ermordeten Königs Duncan durch die Szenen, als sei es der von Hamlets Vater. Und das Spiel im Spiel, das hier Macbeth seine blut’gen Taten vor Augen führt, erinnert nicht wenig an die berühmte „Mausefalle“ am Hofe von Helsingör.
Rache für den Mord am Vater
Apropos Hamlet: Den Untergang des Dänenprinzen lieferte in Neuss diesmal die Yohangza Theatre Company aus Südkorea. So viel Farbe war nie im Staate Dänemark, wie die Schamanen sie hier bei ihren Riten ins Spiel bringen. Es ist ein fernöstlich geerdeter, textlich erheblich eingekürzter „Hamlet“, der uns hier zwei Stunden förmlich verzaubert. In der von Jeon Jung-Yong verkörperten Titelfigur ist der depressive, seine Zerstörungslust unterdrückende Prinz kaum wiederzuerkennen. Hier erleben wir in einer expressiven Darstellung par excellence einen rasenden, von Wahn gepackten Sohn, der nach Rache für den Mord am Vater giert.
Wie schön, dass dieser Raserei durch das ansonsten so freundliche Ambiente die Spitze genommen wird. Wenn man sich duelliert, dann tut man das mit Fächern (!), die allerdings in ihrer Wirkung auch tödlich sein können. Man trinkt Tee miteinander, obwohl alles schon zusammenbricht, aber man weiß sich ja in guten Händen.
Den Geist endlich erlösen
Die Schamanen (allesamt weiblich) vermögen durch die unterschiedlichen Gut-Riten den Weg von Hamlets Vater ins Jenseits zu ebnen, erlösen den Geist der ertrunkenen Ophelia und verhelfen dem sterbenden Hamlet zu einem Tod in Frieden. Während wir der traurigen Stimme einer Schamanin lauschen, versickert des Dänenprinzen Leben und das Licht verlischt. Man lernt viel von dieser wundersamen asiatischen Deutung, vor allem, dass es trotz aller Intrigen nicht immer grüblerisch zugehen muss.
Das Publikum goutiert solch erstaunlichen Umgang mit dem Werk seines Lieblingsautors mit Begeisterung. Man klatscht minutenlang, man trampelt, dass die hölzerne Globe-Kopie in ihren Grundfesten erschüttert wird. Und geht hinterher in die Festival Bar, trinkt Cider, schleckt Eis aus Stratford-on-Avon und diskutiert noch lange. Das Neusser Festival zu Ehren des großen Barden ist einmal im Jahr, aber eigentlich ist es einmalig.