Der neue Roman des US-Autors Stewart O’Nan heißt „Die Chance“: Ein Ehepaar setzt bei einem Ausflug zu den Niagara-Fällen alles auf eine Karte – und nicht nur das restliche Geld, sondern auch die gemeinsame Geschichte aufs Spiel.
Das Verhältnis von Spiel und Glück ist sprichwörtlich. Marion und Art Fowler aber hoffen dennoch auf doppelten Sieg. Eine Busreise zu den Niagara-Fällen ist die eine Karte, auf die sie alles setzen: ihr restliches Bargeld ebenso wie ihre gemeinsame Geschichte.
Stewart O’Nan beweist mit seinem neuen Roman „Die Chance“ einmal mehr, dass er einer der einfühlsamsten unter den amerikanischen Erzählern ist. Wie eine Roulettekugel umkreist er das Unglück seiner beiden Protagonisten, um schließlich zum Kern vorzustoßen: Marion und Art sind pleite, sie müssen ihr Haus verkaufen und Privatinsolvenz anmelden. Und sie wollen sich scheiden lassen, vordergründig ebenfalls aus finanziellen Überlegungen – insgeheim aber spielt Marion auch mit der Idee eines ganz neuen, unabhängigen Lebens. Nie hat sie verwunden, dass Art sie mit Wendy Diagle betrog – wobei ihr ungleich weniger dramatisch scheint, dass sie selbst eine Affäre mit ihrer Kollegin Karen hatte. Und so trinken Marion und Art zwar Champagner und gehen ins Rock-Konzert, aber bezahlen mit ungültiger Kreditkarte: Man darf zweifeln, ob ihre Beziehung noch ein gedeckter Scheck ist.
Was aber wäre, würden sie im Kasino gewinnen? Ihre Schulden bezahlen können? O’Nan gelingt das Kunststück, mit diesem Wochenend-Ausflug zu einem typischen Touristenziel zugleich ins Innere der amerikanischen Seele zu reisen: die Verzweiflung des Mittelstands hinter der Fassade zu zeigen, die Einsamkeit in einer langen Ehe – und die unerschütterliche Hoffnung an eine letzte, unbegrenzte Möglichkeit. Dass dabei die einzelnen Kapitel mit kleinen Wahrscheinlichkeitsrechnungen überschrieben sind, unterstreicht die Verrücktheit dieser Hoffnung: „Wahrscheinlichkeit, dass ein amerikanischer Staatsbürger Privatinsolvenz anmeldet – 1:17“ oder „Wahrscheinlichkeit, dass ein geschiedenes Paar wieder heiratet – 1: 20480“.
Andererseits ist dieser Roman selbst ein unwahrscheinliches Werk: So spannend und unterhaltsam dürfte eine Geschichte, die von Zerrüttung und Enttäuschung erzählt, eigentlich gar nicht sein.
Stewart O’Nan: Die Chance. Rowohlt, 224 S., 19,95 €