Cannes. Es ist eine der höchsten Auszeichnungen der Filmbranche: die Goldene Palme. Am Sonntag wird sie wieder beim Festival in Cannes vergeben. Doch noch bleibt es spannend, wer die Trophäe gewinnt. Preiswürdig wären gleich mehrere Werke.

Was mag Steven Spielberg? Und was gefällt Nicole
Kidman oder Christoph Waltz? Darüber wird beim Filmfestival Cannes
derzeit viel spekuliert. Denn noch ist völlig unklar, welcher Film an
diesem Sonntag die Goldene Palme gewinnt.

Der Jury mit ihrem Präsidenten Spielberg dürfte die Auswahl schwer
fallen, denn einen klaren Favoriten - wie im Vorjahr Michael Hanekes
«Liebe» - brachte der Wettbewerb nicht hervor. Stattdessen gibt es an
der Côte d'Azur gleich mehrere starke Werke, die eine Auszeichnung
verdient hätten: darunter einen gesellschaftskritischen chinesischen
Beitrag, ein stilles Familiendrama aus Japan und einen bildgewaltigen
Streifzug durch Rom.

Übergreifendes Thema: Menschen in Krisen

Das übergreifende Thema waren dabei Menschen, die persönliche
Krisen durchlitten und ins Straucheln gerieten. Der Japaner Kore-Eda
Hirokazu beispielsweise beobachtet in «Like Father, Like Son» zwei
Familien, deren Söhne bei der Geburt vertauscht wurden. Einige Jahre
später sollen sie sich entscheiden, ob sie ihr leibliches Kind nehmen
oder den ins Herz geschlossenen Knirps behalten möchten. Ein
schmerzhafter Prozess, der auch die Zuschauer rührt.

In «A Touch of Sin» sind es gleich vier Schicksale, die sich der
chinesische Regisseur Jia Zhangke vornimmt. Basierend auf wahren
Begebenheiten zeichnet er das überraschend ehrliche Bild einer
verlorenen Gesellschaft, deren Mitglieder in der Nach-Kommunismus-Ära
den Anschluss verloren haben.

Der Italiener Paolo Sorrentino hingegen wählt einen verspielteren
Ansatz und lässt in «The Great Beauty» einen älteren Schriftsteller
durch Rom und sein Leben gleiten - inszeniert als traumähnlichen
Bilderfluss.

Ungewöhnlich exzessive
Sexszenen

Visuell ebenfalls sehr einprägsam war das dreistündige Mammutwerk
«La vie d'Adèle» des Franzosen Abdellatif Kechiche. Bekäme der eine
Goldene Palme, was ebenfalls verdient wäre, wären laut den
Festivalstatuten weitere Preise ausgeschlossen.

Dann jedoch ginge Hauptdarstellerin Adèle Exarchopoulos leer aus,
die wohl größte Neuentdeckung dieser Cannes-Ausgabe. Sie spielt ein
junges Mädchen, das mit einer etwas älteren Studentin die erste große
Liebe erlebt. Die Nachwuchsschauspielerin Exarchopoulos ist dabei so
umwerfend natürlich und zeigt selbst in den ungewöhnlich exzessiven
Sexszenen keinerlei Scheu, dass sie die meisten anderen
Darstellerinnen dieses Jahrgangs in den Schatten stellte.

Michael Douglas
und Matt Damon begeistern

Bei den Männern ist die Konkurrenz größer - scheint aber auf
einige wenige Namen hinauszulaufen: Hollywoodstar Michael Douglas
gibt in «Behind the Candelabra» den schillernden US-Pianisten und
Entertainer Liberace, der über Jahre hinweg eine geheim gehaltene
Beziehung zu einem viel, viel jüngeren Mann (gespielt von Matt Damon)
hatte. Douglas und Damon begeisterten in Cannes mit ihrer
glaubwürdigen Darstellung dieses Paares, könnten das Rennen um den
Darstellerpreis aber auch an Oscar Isaac verlieren. Denn der
verkörperte in «Inside Llewyn Davis» mit starker Leinwandpräsenz
einen Folkmusiker, der durchs New York der 1960er Jahre treibt.

Auch sonst dürfte dieser melancholische Film bei der
Preisverleihung am Sonntagabend eine wichtige Rolle spielen: Ihre
Leistung könnte den Regiebrüdern Ethan und Joel Coen mal wieder eine
Auszeichnung in Cannes bescheren.

Allerdings kommt zu all diesen Prognosen auch erschwerend hinzu,
dass die beiden Wettbewerbsfilme von Roman Polanski und Jim Jarmusch
erst am Samstag ihre Premiere feiern - und alles noch einmal auf den
Kopf stellen könnten. (dpa)