Essen. Electric Callboy das zweite Escalation Fest. Kevin Ratajczak verrät was Fans erwarten können und wie die Arbeiten am neuen Album laufen.

Spätestens seit Kevin Ratajczak, Nico Sallach & Co. im Video zum Song „Hypa Hypa“ die Hüften in knallbunten 80er-Jahre Outfits schwangen (stilecht natürlich mit Schnurrbart und Vokuhila), ist die Castrop-Rauxeler Band Electric Callboy auf einem Erfolgskurs. Seit Kurzem touren die Sechs mit ihrem aktuellen Album „Tekkno“ im Gepäck durch Europa. Bevor die Koffer gepackt wurden, sprach Kirsten Gnoth mit Kevin Ratajczak (37) jedoch noch über kleine Partys auf den Rängen, fliegende Vokuhilas und Gänsehautmomente.

Auf Ihrer Europatour spielen Sie nicht nur in kleineren Venues, sondern auch großen Arenen mit Sitzplätzen. Sitzt da überhaupt jemand, oder stehen eh alle?

Kevin Ratajczak: Die Sitze kann man ganz wunderbar hochklappen (lacht). Die Menschen auf den Rängen sind vergleichbar mit denen, die auf einer Party in der Küche stehen. Auch in der Küche gibt es eine geile Stimmung und so ist es auch in der Arena. Meine Angst vor einem Theaterpublikum ist unbegründet gewesen.

Wie bereiten Sie sich auf eine solch große Tour vor?

Erstmal proben. Wir proben relativ selten, eben weil wir so viel unterwegs sind. Aber das neue Album ist seit letztem Jahr raus und da müssen wir schon mal wieder proben. Dann sprechen wir uns mit der Crew ab. Ich bin jetzt auch Familienvater und das ist schon was anderes. Ich lasse mein Herz zu Hause und deshalb gibt es vor der Tour ganz viel Quality Time mit der Familie. Man führt zwei unterschiedliche Leben – auf Tour ändert sich der komplette Tagesrhythmus.

Auch interessant

Auf Tour macht der Kaffee Platz fürs Bier?

Das wäre tatsächlich eine tolle Überschrift – der Kaffee macht Platz fürs Bier. Kann man so sagen. Allerdings muss man da die Balance finden…ich möchte ja nicht nächstes Jahr schon aussehen wie 70. Gerade nach der Weihnachtszeit gilt es auch ganz einfach wieder körperliche Fitness für die Tour zu sammeln. Ich muss noch gucken, dass etwas Speck runterkommt.

Aber eigentlich ist jeder Body doch ein Beachbody, oder?

Schon, da stehe ich auch eigentlich für. Aber manchmal mache ich mir selbst einfach zu viele Gedanken drüber – auch, weil ich ein kleines Social-Media-Opfer bin und mich beeinflussen lasse.

Sie geben körperlich alles auf der Bühne. Wieso gehen die Vokuhilas dabei eigentlich nicht flöten?

Da geht ein großer Dank an unseren Freund und Maskenbildner. Er hat da so einige Tricks, damit sie nicht fliegen gehen – kleine Gummibänder zum Beispiel. Denn auch wenn man es nicht glauben mag, aber das sind nicht unsere echten Haare (lacht).

Schockierend! Ich dachte, unter der Kappe steckt ein Vokuhila?

(lacht) Leider nein. Wir haben mal versucht, unsere Schnuppecks stehen zu lassen, aber da haben wir von den Frauen zu Hause eins auf die Löffel bekommen.

Gibt es denn Rituale vor der Show?

Wir sind mittlerweile zwölf Jahre als Band zusammen und ich muss sagen, früher herrschte vor der Show komplettes Chaos. Das war wie eine wilde Fußballklubfahrt nach Malle. Heute spielen wir in der Spitze – wow, die Zahl muss ich wirklich erstmal realisieren – vor 11.000 Leuten. Und die haben nicht gerade wenig für ein Ticket bezahlt. Da können wir uns nicht mehr erlauben, hinter der Bühne rumzuhampeln. Mittlerweile gehen wir vor den Konzerten in uns, trinken vielleicht einen Drink und jeder merkt, dass es so langsam ernst wird. Kurz bevor wir auf die Bühne gehen, legen wir alle unsere Hände aufeinander und machen den „Pump it“. Danach sind wir im Tunnel.

Sie sind viel im Ausland unterwegs. Auf dem aktuellen Album „Tekkno“ finden sich zwei teils deutschsprachige Songs. Wie klappt das mit den Fans in anderen Ländern?

Das Erfolgsrezept ist, zu machen, worauf wir Lust haben und deshalb authentisch zu sein. Aber auch wenn wir uns das auf die Fahne geschrieben haben, hatten wir Angst. Aber man darf nicht immer darüber nachdenken, was die Leute hören wollen – das macht einen nur kirre. Wir hatten immer schon vor, einen Schlager zu machen…natürlich mit einem Augenzwinkern. Und ich sage dir, es wird perfekt angenommen. Der Song ist ein bisschen darauf ausgelegt, dass man einen Discofox tanzt. Da, wo sonst ein Moshpit ist, machen die Leute nun Paartanz. Es wird ganz wundervoll geschwoft – der Wahnsinn.

Machen Sie da auf der Bühne mit?

Oh nein. Wir verstehen uns bei dem Song eher als Schlagersternchen und machen die bekannten Bewegungen: ein halber Schritt nach links und ein halber Schritt nach rechts, dann noch ein bisschen auf die Menge zeigen und mit der Hand auf der Brust am Herz herunter streichen. Die Musik wird ja nicht nur über die Ohren übertragen, sondern auch über das Herz (lacht).

„Hurrikan“ ist wohl die extremste Mischung, die Sie bisher gemacht haben. Kann das überhaupt noch getoppt werden?

Gute Frage. Der Kontrast bei dem Song ist wirklich krass und das soll er auch sein. Wir wollten das Schema aufbrechen. Ich hätte Bock, was mit einem richtigen Hardcore/Gabber-DJ zu machen. Wir haben Kontakt zu dem DJ, der auch die Songs für die „New Kids“-Filme gemacht hat. Das kann ich mir sehr gut vorstellen. Der macht ziemlich heißen Scheiß. Momentan kann ich mich sehr schön diesen ganzen Spielereien hingeben, weil wir mit dem neuen Album angefangen haben.

Oh, lässt sich dazu schon was verraten?

Wir fangen jetzt wirklich erst ganz frisch an und haben noch eine Menge um die Ohren. Man meint immer gar nicht, wie beschäftigt man als Musiker ist (lacht). Aber wir haben jetzt schon so viele Alben geschrieben und haben uns beim Songwriting ein bisschen an dem vorhergegangenen orientiert. Es gibt ja immer Dinge, die man auf einem Album oder einer EP besonders toll gefunden hat. Diesmal haben wir zum Beispiel die Techno-Basis von „Hypa Hypa“ für das Album genommen. Und ich glaube da wird es auch bei dem neuen Album hingehen – viele, viele elektronische Elemente. Obwohl unser Gitarrist gerade mit analogen Sachen experimentiert. Ein Album zu machen, ist immer eine tolle Reise.

Techno, Schlager, Metal – Sie tummeln sich in jedem Genre und sind nirgendwo richtig heimisch. Hat Sie das jemals gestört?

Nein. Und der Erfolg, den wir momentan damit haben, zeigt, dass es auch ohne Genre funktioniert. Viele Bands, die im Mainstream unterwegs sind, klingen alle gleich. Das soll nicht heißen, dass da keine Arbeit hinter steckt. Aber man merkt ganz genau, wo welche Songschreiber ihre Finger drin hatten. Wir haben angefangen, Musik zu machen, um uns was zu trauen. Das macht es auch für uns interessant und damit wollen wir einfach nicht aufhören. Entweder deine Musik ist gut oder schlecht – das hat nichts mit einem Genre zu tun. Ich bin stolz darauf, dass so viele unterschiedliche Menschen unsere Musik hören.

Wenn so viele unterschiedliche Menschen zusammenkommen, passieren sicherlich spannende Sachen vor der Bühne, oder?

Da passieren einige Dinge, von manchen kann ich hier gar nicht erzählen. Sagen wir so, wir haben auf einer Metal-Cruise gespielt und da wurde im Pool…naja, ein bisschen zu sehr rumgemacht. Wir haben auch mal bei einem Festival gespielt, wo es total staubig war. Wir haben die Leute dann aufgefordert, den Staub wie die Farbbeutel bei einem Holi Festival in die Luft zu werfen. Ich sag mal so, das hätten wir besser nicht gemacht. Aber für die erste Sekunde sah es super aus (lacht).

Apropos Festival: das Escalation Fest geht in die zweite Runde. Was sind die schönsten Erinnerungen an das erste Mal?

Puh, da kriege ich Gänsehaut, wenn ich mich einfach nur darin erinnere. Eigentlich sollte es eine Zusatzshow auf unserer Tour werden, aber das ging nicht mehr. Allerdings hat unser Booking dann gesagt, dass wir eine Ruhrgebiets-Heimatshow machen könnten und zwar riesig in der Rudolf Weber-Arena. Viel Arbeit und Herzblut später sind wir in die Halle gekommen und ich dachte nur „Heiliger Bimbam, was haben wir alles zusammen erreicht“. Angefangen im Probenraum in Castrop-Rauxel, den wir uns kaum leisten konnten. Und jetzt sehen wir unsere Banner in der Arena. Diesmal wollen wir noch eine Schippe drauflegen.

Inwiefern?

Dieses Mal ist unser Ziel, die Halle bis unters Dach voll zu machen. Außerdem wollen wir für das Festival ein Rahmenprogramm schaffen – ob das nun Aktivitäten sind oder Kulinarisches ist. Wir sind sogar dabei, kleine Tattoostände zu organisieren.

Lässt sich schon was zu den Gästen sagen?

Es stehen zwar schon ein paar fest, aber längst noch nicht alle. Eines kann ich aber verraten, manche von unseren Gästen tauchen jetzt schon ab und an auf unseren Social-Media-Kanälen auf – auch in den Kommentaren. Wir haben von allem etwas dabei. Die Menschen sollen mit dem Gedanken zum Escalation Fest kommen, alle ihre Probleme zu vergessen und einfach mal abzuschalten. Und das geht mit Metal genauso gut wie mit Hip-Hop.

Electric Callboy - Escalation Fest: 23.9., 16 Uhr, Rudolf Weber-Arena, Oberhausen. Karten ab ca. 69 €. Die „Tekkno“-Tour in Köln (3.3.) ist bis auf Suiten ausverkauft.