Essen. Mit Pablo Picasso starb vor 50 Jahren starb der produktive, einst provokante Künstler. Nun gerät Picassos Verhältnis zu Frauen in den Fokus
Als Pablo Ruiz Picasso am 8. April vor einem halben Jahrhundert mit 91 Jahren im südfranzösischen Mougins starb, soll er noch einen Pinsel in der Hand gehalten haben. Seine Produktivität – man spricht von 16.000 Gemälden und Zeichnungen, 1200 Skulpturen, 3000 Keramiken und Abertausenden von Grafiken – verdankte sich aber nicht nur einem langen Künstlerleben, sondern auch einer unablässig brodelnden Kreativität. Als Picasso starb, zweifelte niemand an seinem Rang als Jahrhundert-Genie. Er hatte die Malerei, die Kunst mehr als ein Mal revolutioniert, Georges Braque hatte mit ihm zusammen den Kubismus erfunden, später trieb Picasso mit anderen den Surrealismus voran – und irgendwann hatte er eine derart charakteristische Formensprache gefunden, dass man eigentlich vom Picassoismus reden müsste.
Meilensteine der Kunstgeschichte wie die „Demoiselles d’Avignon“ oder die fast 28 Quadratmeter große Anklage eines deutschen Luftangriffs namens „Guernica“ oder auch eine Design-Ikone wie seine Friedenstaube, die er 1949 für den ersten Friedenskongress seiner kommunistischen Genossen entwarf, festigten seinen Ruf als Jahrhundert-Genie. Und bis heute sind unter den zehn Gemälden mit den höchsten Auktions-Preisen gleich zwei von Picasso – seine „Frauen von Algier“ für 179,4 Millionen US-Dollar liegen hinter da Vincis „Salvator Mundi“ und Warhols „Marilyn“ auf Platz 3.
Pablo Picasso, der geliebte Bürgerschreck
Doch seinen 50. Todestag nutzen selbst in unserer jubiläen-versessenen Zeit auffallend wenig Museen zu neuen Blicken auf Picasso. Selbst im Picasso-Museum von Münster gibt es Picasso neben anderen zu sehen. Das dürfte zum einen damit zu tun haben, dass sich der Gestus des Revolutionären erschöpft hat. Picasso ist nicht mehr der von Bürgern geliebte Bürgerschreck, er ist etabliert und überteuert, als Avantgarde von gestern Museums-Mobiliar von heute.
Aber auch in der Kunst selbst haben sich die Zeiten ja geändert. An Genies glaubt hier kaum noch jemand. Seit dem Tod von Joseph Beuys sind die Werke selbst viel wichtiger geworden als die Persönlichkeiten, die dahinterstehen. Der Genie-Begriff hat ausgedient. Und mit ihm auch jene wohlwollend-nachsichtige Haltung, die solchen anerkannten Genies alles verzieh, was an ihnen ungebührlich und menschenfeindlich war. Die Zeiten, in denen sich Genies alles herausnehmen konnten, sind vorbei. Ein Bertolt Brecht, der seine „Mitarbeiterinnen“ von Margarete Steffin bis Elisabeth Hauptmann und Ruth Berlau als Autorinnen wie als Geliebte ausbeutete, fände sich heute wohl vor einem Gericht wieder. Und auch Picassos Umgang mit seinen zahllosen Geliebten, von denen er zwei auch heiratete, wird heute nicht mehr als Bohéme-Lebensstil verstanden, sondern als Machismo.
Pablo Picasso kannte nur zwei Arten Frauen: „Göttinnen und Fußabstreifer“
Die Kunstkritikerin Rose-Maria Gropp hat gerade aus Picassos unsäglichem Ausspruch „Es gibt nur zwei Arten von Frauen, Göttinnen und Fußabstreifer“ den Titel für ein Buch gemacht, das die Biografien von elf Picasso-Frauen rekonstruiert. Unter ihnen waren Künstlerinnen wie die Surrealistin Dora Maar oder die Malerin Françoise Gilot (die einzige Frau, von der Picasso verlassen wurde, konnte im vergangenen November ihren 101. Geburtstag feiern).
Für Picasso waren seine Frauen stets Modelle und Inspirationsquellen – als Muster aber erkennt Rose-Maria Gropp, dass er sie zu Beginn stets malerisch in den Himmel gehoben hat, sie dann aber in seinen Bildern auch wieder „dekonstruiert“ hat, also auseinandergepflückt, erniedrigt und verhässlicht, wenn er ihrer schon überdrüssig war, noch vor dem Ende einer jeden Affäre. Ohnehin fing Picasso offenbar jede neue Liaison an, bevor er noch die alte beendet hatte – und lebte teilweise offen mit zwei Geliebten gleichzeitig.
Für Picasso war die Malerei „ein Weg, die Macht an uns zu reißen“
Für Picasso selbst war die Malerei „ein Weg, die Macht an uns zu reißen, indem wir unseren Ängsten wie auch unseren Sehnsüchten Gestalt geben. Als ich zu dieser Erkenntnis kam, wusste ich, dass ich meinen Weg gefunden hatte.“ Jenseits dieser individuellen Funktion für ihn wird es auch bei seinen Werken, wie bei jeder großen Kunst, unabdingbar sein, die Werke immer wieder auf den Prüfstand zu stellen – und sie jenseits der Absichten und Lebensgewohnheiten ihrer Urheber darauf zu prüfen, ob sie der Gegenwart noch etwas zu sagen haben. Und man darf einigermaßen sicher sein, dass dabei noch genügend gültige Werke übrigbleiben.