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Auch die Klassik hat unterm Baum ihren Platz. Neue CDs bieten Heino und Wolle Petry schmetternd Paroli - von Bryn Terfel bis Bach.

Welche Operngröße außer Maria Callas konnte in den letzten 50 Jahren schon der Versuchung widerstehen, in bürgerlicher Weihnachtsstube den Ton anzugeben?

Es gab internationale Hochglanzalben von Pavarotti, deutlich diskretere Gaben von Dietrich Fischer-Dieskau, Koloraturlametta aus der Kehle Joan Sutherlands und es gab Elisabeth Schwarzkopf, deren Sopran so köstlich manieriert und vornehm gurrte, dass man ihre Scheibe nie und nimmer zu einer saftigen Gans aufzulegen sich getraut hätte.

Für Klassik-Liebhaber ist solche Musik womöglich auch die Rache an jenen Nachbarn, die „Sing mit Heino“ durch die Doppelhaushälfte röhren lassen, Schneewalzer inklusive. Erfolgsalben wuchsen nach. Sie heißen „Weihnachten mit Hansi“ (also: Hinterseer) oder „Freudige Weihnachten“, ein Ohrenschmaus, auf dem Wolfgang Petry in aller zu Jesu Geburt gebotenen Partylaune singt: „Am Weihnachtsbaume, da hängt ‘ne Pflaume.“

Von Wagners Wotan zur Bescherung

Doch zurück zu Menschen, die das Singen gelernt haben. 2010 ist es der britische Bassbariton Bryn Terfel, der seine Fans mit einer Weihnachts-CD beschenkt. Eben noch hat er als Wagners Wotan an New Yorks Met debütiert, nun gibt er auf dem Weihnachtsplattenmarkt den Nikolaus. Ja, es ist offenkundig, dass Bryn Terfel als wuchtiger Waliser in Christmas (er spricht es mit kräftigem „a“) vor allem einen hübschen Anlass mehr sieht, um zu feiern.

So gleicht seine Platte einem Buden-Bummel mit gutmütigem Onkel. Mal beißt er hungrig in die Zuckerwatte von Bing Crosby, den Terfel dank Stimmwucht in einem inszenierten Duett bei „White Christmas“ an die Wand singt. Mal traut er sich, nach dem vierten Punsch auf Harry Belafonte zu machen und spendiert zu „Mary’s Boy Child“ ein paar rhythmisch wippende Glücks-Püppchen aus Südamerika. Apropos: Da schaut aus dem Stand mit den mexikanischen Duftkerzen doch tatsächlich Tenor Rolando Villazon heraus. Prompt wird er zum Duett gefordert: „El Nacimento“ – das machen die beiden sehr schön.

Nichts für Puristen

Puristen wird bei diesem fröhlichen Mischmasch der Knödel von der Gabel plumpsen, doch auch sie sollten respektvoll registrieren, mit welch wunderbarer Zartheit Brummbär Bryn plötzlich Samuel Scheidts „O Jesulein zart“ anstimmt. Alle anderen werden ohnehin Freude an diesem liebevoll gemachten Album fürs breite Publikum haben – auch wegen der Bonus-CD, die, walisisch gesungen, zu Sätzen wie „o deuwch Ffyddloniaid“ führt.

Barock reinsten Wassers fließt dagegen durch die eben erschienene Neueinspielung des Weihnachtsoratoriums. Sie kehrt an ihren Entstehungsort zurück. 1734 sangen es die Thomaner erstmals in Leipzig. 2010 wird es vom Chef des Leipziger Gewandhausorchesters gedeutet. Riccardo Chailly übt sich bei Bach nicht in engelsgleicher Geduld. Gleich zu Beginn unterbietet er das Tempo, das John Eliot Gardiner fürs „Jauchzet! Frohlocket“ schon heiter-zügig wählte, nochmals um eine glatte Minute.

Befreit voran und voraus

Aber trotz dieser fliegenden sechs Minuten und 41 Sekunden ist nichts verhetzt. Alles klingt schlüssig, stolz, befreit voran- und vorauseilend, weil man das glückliche Ereignis der Christgeburt kaum abwarten kann. Freilich: Wer so ein formidables Orchester (allein die Holzbläser!) und dazu den so präzisen wie präsenten Dresdner Kammerchor als Eskorte Richtung Bethlehem um sich weiß, muss keine Sorge haben, dass er irgendwann vor lauter Zügigkeit allein an der Krippe steht. Eine spannende, beherzt fröhliche Aufnahme, aus deren zurückhaltendem Solistenquintett der prachtvoll bewegliche Tenor Wolfram Lattkes hervorsticht.

Und dann hätten wir unter den weihnachtlichen Klassik-Neuerscheinungen es noch eine Art Rundum-Sorglos-Paket für all jene, die das Christfest nicht am schlaff baumelnden Dioden-Nikolaus im Nachbarfenster festmachen mögen – sondern gerne hören, wie schon die Alten sungen. „The complete Christmas Celebration“ (pardon, auch die ehrwürdige Deutsche Gram­mophon wählt die Sprache des Weltmarkts) versammelt gute, ältere Gesamtaufnahmen von Händels „Messias“ (Academy of Ancient Music, Christopher Hogwood) und „Weihnachtsoratorium“ (English Baroque So­loists, Gardiner). Außerdem gibt’s in dieser preisfair kalkulierten Box (7 CDs, ca. 30 Euro) den kompletten „Nussknacker“ sowie englisches Liedgut vom edlen Cambridge Choir. Und noble alte Weihnachtslieder aus deutschen Landen: Georg Ratzinger, Bruder des Papstes, lässt die Regensburger Domspatzen zur Ehre Gottes zwitschern.