Dortmund..
Zwischen Sex-Appeal und Sonaten: Ohne Stylisten und Typ-Beratung geht auf dem Klassik-Markt kaum noch etwas. Ein Heer aufstrebender Beethoven-Interpreten stellt sich ästhetischen Hürden, die vor Jahren nur für One-Hit-Wonder bei VIVA galten.
Janine Jansen dürfte die einzige, sein, die vor den eigenen Plakaten „immer noch erschrickt”. Da ist die Provinz ein Segen: „In dem kleinen Ort 20 Kilometer von Utrecht, am Rand des Waldes, hängen gottlob keine Bilder.” Die Bilder, von denen die niederländische Stargeigerin spricht, sind mindestens schön, eher ausdrücklich sexy – und einer von vielen Mosaiksteinen im neuen Bild des Klassik-Marktes. Es ist ein Markt, dessen Auswahlmechanismen genauso gnadenlos funktionieren wie das von der E-Musik-Branche belächelte Pop- und Superstar-Milieu.
Tatsächlich aber stellt sich ein Heer aufstrebender Beethoven-Interpreten ästhetischen Hürden, die vor Jahren nur für One-Hit-Wonder bei VIVA galten. „Ein verhuschtes, pickliges Etwas kann spielen wie der Teufel, das Rennen um den Plattenvertrag macht im Zweifelsfall ein rothaariger Vamp, auch wenn er weniger kann”, sagt die PR-Dame eines großen Klassik-Unternehmens.
„Sexy ist der Musiker”
So offen äußert man sich selten, obwohl doch unübersehbar ist, dass man im Olymp der jungen Solisten ohne Mühe einen Laufsteg aufstellen könnte. Auf dem macht David Garrett eine gute Figur. Garrett verdiente sich als Model dazu, ehe das Geigen allein zum Leben reichte. Selbst die „Bild“, ansonsten unverdächtig, sich intensiv mit Interpreten von Bach und Bartok abzugeben, erkannte: „Sexy ist der Musiker”. So sexy, dass er (anders als gleichwertige Künstler) ein Riesenhaus wie Essens Philharmonie mühelos ausverkauft. Manche Besucher fragen nicht unbedingt, welche Werke „David”, wie sie der Vertrautheit halber sagen, spielt. Vielleicht weil er (wieder „Bild”), „die Ausstrahlung eines Rockstars und die Sensibilität eines Schmusesängers” hat. In den Vorweihnachtsausgaben deutscher Frauenzeitschriften sah man Anzeigen: David Garrett mit Dame und Geige. Es war auch auf den zweiten Blick nicht leicht zu erkennen, ob die Reklame dem Mann, der Mode, der Geige oder erotischer Zerstreuung galt. Zu „Bild” hat Garrett gesagt: „Ich fasse lieber eine schöne Frau an als meine Geige”. Kritiker glauben, das gelegentlich hören zu können.
Garrett (29) ist nicht alt, aber im Zirkus der schönen Megaseller ein alter Hase. Doch mit quartalssicherer Zuverlässigkeit spuckt eine nimmermüde Maschinerie für Klavier, Sopran, Bratsche oder Tenor immer neue Smarties aus. Längst verstehen sich Klassik-Produzenten darauf, unterschiedliche Typen zu kreieren, wie es mustergültig einst die Paten der Boygroup-Szene konnten. Ist der Typ Junger Wilder aktuell besetzt, bleibt der Dandy, das androgyne Wesen, der Träumer . . .
Image-Beratung, Styling und endlose Foto-Shootings
Passé die Zeiten, als ein Pianist sich mit einem matten Lächeln auf seinen Flügel stützte und die Plattenhülle nach einer Viertelstunde im Kasten war. Auf fast jeden, der heute durchstarten will, warten endlose Foto-Shootings, Image-Beratung, Styling. Jede neue CD bedeutet ein Update in Sachen Stil. Es gibt Schönlinge, die lächeln ihre potenziellen Kunden von der CD-Hülle an, und man fragt sich, ob sie mehr für ihr Haar oder ihr Instrument tun.
Einer von ihnen ist David Fray (28), Pianistentyp Weltschmerz-Werther mit enormer Tolle. Aufs Thema „Sex sells” angesprochen sagt er dieser Zeitung: „Mir selbst ist das unwichtig, es gefällt mir nicht mal besonders. Aber wenn ich mit meiner Musik jemanden erreichen will, funktioniert das in dieser Welt eben so.”
Die Herren müssen sich wenigstens nicht ausziehen. Wer das neue Album der Mezzosopranistin Joyce DiDonato sieht, dringt erst über den Umweg eines tiefen Dekolletées zu Rossini vor. DiDonatos Sopran-Kollegin Kate Royal schritt für ihr letztes Album in rosa Robe über englischen Rasen, eine leicht schwüle Bilitis-Ästhetik.
Janine Jansen übrigens ist verärgert, dass Kritiker die Karriere junger Musikerinnen allein mit dem Aussehen begründen. Außerdem sei diese Zeit für sie sowieso längst vorbei. „Ich bin alt und habe graue Haare”, sagt sie. Janine Jansen ist 31.