Essen. „Promising Young Woman“ sticht ins Wespennest, und dank der außerordentlichen Hauptdarstellerin Carey Mulligan ist das sehr unterhaltsam.
Sind in den USA wirklich alle Männer Scheißkerle? Sind sie wirklich alle Typen, nur darauf aus, junge attraktive Frauen in angetrunkenem Zustand abzuschleppen, noch betrunkener zu machen, um sich dann, wenn sie in wehrlosem Zustand sind, an ihnen schadlos zu halten? In diesem Film ist das so und er bekam dafür einen Drehbuch-Oscar zugesprochen.
Laute Musik, ausgelassene Stimmung, Hormone in Höchstleistungsbereitschaft: In einer Bar, wie es sie so nur in amerikanischen Filmen zu geben scheint, nehmen drei Männer ihre Wochenend-Drinks. Eine Blondine in offenbar schwer angetrunkenem Zustand weckt ihre Aufmerksamkeit. Einer spricht sie an, mimt den Gentleman, fährt mit ihr im Taxi nach Hause – seinem Zuhause – und hier beginnt er sie zu befummeln. Die kalte Dusche folgt auf dem Fuß, denn Cassandra ist plötzlich nüchtern; tatsächlich war ihr Rausch nur vorgetäuscht und nun stellt sie ihr Opfer bloß als das, was es ist – ein mieser Frauenschänder. Und wir alle sind auf ihrer Seite. Geschieht dem Typen recht.
Schlimmes Erlebnis an der Uni
Die erste Kinoregie der englischen Schauspielerin Emerald Fennell (hierzulande als Camilla Parker Bowles in der Serie „The Crown“ bekannt) ist einer jener Filme, die unglaublich stark beginnen, zugleich aber auch die bange Frage aufwerfen, in welcher Richtung es danach weitergehen soll. „Promising Young Woman“ stellt eine Heldin vor, die aufregend schön und intelligent ist, mit 30 noch bei ihren Eltern wohnt und eine aussichtsreiche Karriere als Ärztin aufgab, um seither im Thekenbetrieb eines Cafés zu arbeiten. Der Grund dafür liegt in einem schlimmen Erlebnis, das ihrer besten Freundin an der Uni widerfuhr. Seither schlüpft Cassandra in eine abendliche Doppelexistenz und peilt dabei eine bestimmte Gruppe von Leuten an.
Rache ist im amerikanischen Filmkosmos ein legitimes Mittel zur persönlichen Psychohygiene; seit Mitte der 70er-Jahre greifen auch Frauen, denen übel mitgespielt wurde, gern darauf zurück. Anders als bei Margaux Hemingway in „Eine Frau sieht rot“ (1976) oder Jodie Foster in „Die Fremde in dir“ (2007) vollzieht sich hier ein moralischer Feldzug ohne Waffen. Carey Mulligan (Leonardo DiCaprios Geliebte in „Der große Gatsby“) glänzt mit einer atemberaubenden Wandlungsfähigkeit zwischen Lustobjekt und Intrigenspinnerin, die ihr zu Recht eine Oscar-Nominierung einbrachte.
Kaltschnäuzig kalkuliertes Selbstopferungsfinale
Da der mit einer Liebesgeschichte geschickt verlängerte Racheplot unbeirrt auf ein kaltschnäuzig kalkuliertes Selbstopferungsfinale zustürzt und sich jeglicher moralischen Verantwortung entzieht, wirkt es letztlich so, als ob der Film die Geschichte von „Eine verhängnisvolle Affäre“ nacherzählt, diesmal eben aus der Perspektive der Frau. Der Oscar fürs beste Original-Drehbuch sagt viel über den Zeitgeist in Hollywood, ohne dass sich daraus ein tieferes gesellschaftliches Statement ableiten ließe. „Promising Young Woman“ sticht einfach nur ins Wespennest, und dank der außerordentlichen Hauptdarstellerin Carey Mulligan ist das sehr unterhaltsam.