Dresden. Klangrausch und Dissonanzenreichtum: Der Musik von Richard Strauss kann man sich nur schwer entziehen, sie entwickelt einen Sog. Auch als Dirigent arbeitete der Maestro auf höchstem Niveau, wie der Musikwissenschaftler und Dramaturg Tobias Niederschlag im Interview ausführt.
Richard Strauss (1864-1949) hat der Musikwelt ein umfangreiches Werk hinterlassen. Der Dresdner Musikwissenschaftler und Dramaturg Tobias Niederschlag sieht in ihm nicht nur den führenden Opernkomponisten des 20. Jahrhunderts, sondern auch einen begnadeten Dirigenten. Im Interview der Nachrichtenagentur dpa spricht der 37-Jährige auch über das besondere Verhältnis von Strauss zu Dresden.
Richard Strauss gilt als Wegbereiter des Musiktheaters und Meister der Instrumentierung. Welche Facetten gibt es noch?
Tobias Niederschlag: Mit seinen Tondichtungen wurde er als Komponist bekannt, damit verführte er schon als junger Mann das Publikum. Gleichzeitig startete seine Karriere als Dirigent. Strauss war ein begnadeter Orchesterleiter, er dirigierte sehr ökonomisch und mit großem Sachverstand. Sein Durchbruch als Opernkomponist gelang ihm erst relativ spät. Hier spielte Dresden eine entscheidende Rolle: 1905 kam in der Semperoper die "Salome" heraus, die ein Sensationserfolg war. Vorher hatte hier bereits die "Feuersnot" ihre Uraufführung erlebt. Spätestens seit der "Elektra" 1909 und dem "Rosenkavalier" 1911 galt Strauss als legitimer Nachfolger von Richard Wagner. Mit diesen Werken stieg er zum führenden Opernkomponisten seiner Zeit auf.
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Wie lässt sich seine Musik charakterisieren?
Niederschlag: Sie ist mitreißend, schwelgerisch, scheut nicht vor Dissonanzen zurück, ist in späteren Werken aber auch nostalgisch und melancholisch. Letztendlich knüpfte Strauss an die spätromantische Tradition an, ging dann aber einen eigenen Weg. Zunächst führte er die Harmonik an einen Grenzpunkt, verfeinerte die Instrumentierung. Hier war Wagner sicher ein prägendes Vorbild. Spätere Werke sind hingegen sehr stark klassizistisch ausgerichtet - als sein größtes Vorbild bezeichnete der alterweise Strauss immer Mozart.
Ein Markenzeichen seiner Musik ist die Instrumentierung. Wie lässt sich diese Seite seines Schaffens beurteilen?
Niederschlag: Strauss feilte am Orchesterklang und setzte neue Instrumente wie das Heckelphon erstmals ein. Seine Musik steht für einen Klangrausch, den man so bis dahin nicht kannte. Das Orchester war sein ureigenstes Metier: Er wusste als Dirigent, wie er für dieses Instrument schreiben konnte, und reizte die klanglichen Möglichkeiten aus. Dies war eigentlich nicht zu überbieten - und so wandten sich spätere Komponisten bewusst kleineren, reduzierten Besetzungen zu. Großes Vorbild für Strauss' Orchestertechnik war die Instrumentationslehre von Hector Berlioz, die lange nachgewirkt hat.
Bei seinen Opern hat Strauss mit namhaften Librettisten zusammengearbeitet. Ein weiteres Markenzeichen?
Niederschlag: Strauss hat sich intensiv mit Literatur beschäftigt, das sieht man auch an seinen zahlreichen Liedern. Er hatte ein gutes Händchen, welche Texte sich für eine Vertonung eigneten. Bei der Zusammenarbeit mit Hugo von Hofmannsthal trafen sich zwei Künstler auf höchstem Niveau. Der "Rosenkavalier" etwa ist auch literarisch sehr wertvoll - das findet man in der Operngeschichte nicht häufig. Als Hofmannsthal starb, war Strauss sehr froh, mit Stefan Zweig erneut einen gleichgesinnten, hochrangigen Librettisten gefunden zu haben. Leider fand die Zusammenarbeit in der NS-Zeit ein jähes Ende.
Strauss wird eine besondere Beziehung zu Dresden nachgesagt. Neun seiner 15 Opern ließ er hier uraufführen. Warum?
Niederschlag: Strauss hatte schon vor den Opern eine enge Beziehung zu Dresden. Die Freundschaft zur heutigen Staatskapelle Dresden begann früh und hielt über 60 Jahre an. Schon 1882 wurde in Dresden seine Bläserserenade op. 7 uraufgeführt. Die Dresdner Staatskapelle ist wahrscheinlich das Orchester, mit dem ihn die engste und längste künstlerische Partnerschaft verband. An der Semperoper fand er mit diesem Orchester und einem erstklassigen Sängerensemble ideale Bedingungen, so dass er selbst von einem "Dorado für Uraufführungen" sprach. Strauss war in Dresden nie Chef - das hat sicher auch zum guten Verhältnis beigetragen - und er verstand sich sehr gut mit den großen Dresdner Kapellmeistern von Ernst von Schuch bis Karl Böhm. Eine solche Kontinuität ist in der Musikgeschichte außergewöhnlich.
ZUR PERSON: Tobias Niederschlag wurde 1976 im westfälischen Olpe geboren. Sein Studium der Musikwissenschaft, Theaterwissenschaft und Germanistik in München mündete in eine Abschlussarbeit über Pierre Boulez. Auslandsaufenthalte führten ihn unter anderem für ein Jahr zum Chicago Symphony Orchestra. Seit 2003 ist er Konzertdramaturg der Sächsischen Staatskapelle Dresden. Tobias Niederschlag ist Mitbegründer und Künstlerischer Leiter der seit 2010 jährlich veranstalteten Internationalen Schostakowitsch Tage Gohrisch. (dpa)
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