Essen. Die Dating-Portale im Internet versuchen mit ausgeklügelten Methoden, ihre Trefferquote zu erhöhen. Dabei geht auch hier die Liebe ihren eigenen Weg. Dabei kümmern sich die Such- und Findeportale auch um die ungewöhnlichsten Interessen.
Ihre Liebesgeschichte beginnt mit einem „Hi“. Zwei Buchstaben nur – geschrieben, nicht gesprochen. Das „Hi“ kommt aus dem Nichts, von einem Fremden, den Lisa* nicht kennt. Die Facebook-Nachricht auf ihrem Computerbildschirm fordert blinkend eine Reaktion. Soll sie sie einfach löschen? Den Absender in die Tiefen des Internets verbannen, aus denen er emporgestiegen ist? Sie tut es nicht. Gerade weil die Verbindung so zerbrechlich, so abstrakt ist, schreibt Lisa zurück. Es ist ja nichts dabei: „Hi.“
Wir suchen im Internet nach Informationen, wir suchen nach Partnern. Wir vergleichen Preise im Internet, wir vergleichen persönliche Profile. Das weltumspannende Datennetz bringt nicht nur exotische Kochrezepte bis direkt an unseren Kochtopf, neue Schuhe an unsere Füße und revolutionäre Ideen in unsere Köpfe, sondern lässt auch fremde Menschen ganz nah an uns heranrücken. Online lernen wir Personen kennen und schließlich lieben, die wir in der Kneipe grußlos stehengelassen hätten; wir lassen sie Teil unserer virtuellen und irgendwann vielleicht auch unserer realen Welt werden.
„Er kannte nicht mal mein Lieblingscafé“
Silke und Thomas hätten sich in der Kneipe durchaus Chancen gegeben – wenn sie je dazu gekommen wären. Denn obwohl sie seit Jahren nur 800 Meter voneinander in Oberhausen entfernt leben, „nur zweimal um die Ecke“, laufen sie sich nicht über den Weg. „Er kannte nicht mal mein Lieblingscafé“, sagt sie. „Sie ist immer in den anderen Supermarkt gegangen“, sagt er. Während er einen klassischen „Nine-to-five-Job“ hat, arbeitet sie in der Spätschicht. Ihre Leben schlagen in unterschiedlichem Takt. Bis beide auf die Idee kommen, sich bei einem Onlinedating-Portal anzumelden.
Glaubt man Wissenschaftlern, geben Silke und Thomas ihrem gemeinsamen Glück damit ordentlich Starthilfe. „Die Menge von Menschen, aus denen wir theoretisch auswählen können, wird durch das Internet drastisch erweitert“, sagt der Wuppertaler Sozialpsychologe Professor Manfred Hassebrauck. Logischerweise sei beim Onlinedating der „Pool von Menschen“, die alle zumindest aus einer gemeinsamen Motivation heraus agierten, nämlich der Partnersuche, wesentlich größer als im Restaurant oder Café.
„Jeder Dritte findet einen Partner“
„Wir bekommen im Schnitt 7000 Kündigungen im Monat, die angeben, dass sie sich bei uns verliebt haben“, sagt Eva-Maria Mueller, PR-Leiterin bei Friendscout24. „Jedes dritte Mitglied findet bei uns einen Partner, die meisten innerhalb von sechs Monaten“, sagt eDarling-Sprecherin Anna Teigler.
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„Schon immer kam Liebe ,zeitgemäß’ zustande“, schreibt der Journalist Christian Schuldt in seinem Buch „Romantik 2.0 – Vom Suchen und Finden der Liebe im Internet“. Im alten Rom hätten Thermen und Arenen als „Flirt-Locations“ hergehalten, heute sei es eben das Internet, das uns mit Fremden in Kontakt treten lässt und uns dabei hilft, neue Beziehungen zu beginnen und bestehende Beziehungen zu vertiefen. Dass uns das oft leichter fällt als im wirklichen Leben, erklärt Manfred Hassebrauck mit dem „Strangers-on-a-train-Phänomen“: Einem fremden Menschen, den man vielleicht niemals treffen wird, den man jederzeit aus seinen Onlinekontakten löschen kann, vertraut man schnell Privates an.
Extra-Seite für sehr Hübsche
Statistiken zufolge nutzen 38 Prozent der europäischen Singles das Internet für die Suche nach dem perfekten Partner, in Deutschland sind jeden Monat mehr als sieben Millionen Singles auf Datingplattformen unterwegs. Auch die Über-60-Jährigen machen sich die Online-Partnersuche zunehmend zu Eigen. Nicht nur die Auswahl ist im Internet von vornherein größer – die Suchmöglichkeiten sind derart differenziert, dass sie teilweise skurrile Züge annehmen. So können gläubige Christen auf christ-sucht-christ.de und Muslime auf muslima.com Gleichgesinnte finden. Wer sich für besonders attraktiv hält und unbedingt ein ebenso ansehnliches Gegenstück braucht, versucht es auf beautifulpeople.com. Landflirt.de bringt Menschen vom Land zusammen, patchworkglueck.de richtet sich an Alleinerziehende. Auf jaii.de treffen sich spirituelle Singles, auf altersvorsprung.de sucht Alt nach Jung oder Jung nach Alt. Hautkontakt.net ist ein Portal speziell für Menschen mit Hautkrankheiten, und auf den verschiedenen Seiten, die unter jobsingles.de aufgelistet sind, können Liebessuchende mit besonders beziehungsfeindlichen Arbeitszeiten, wie zum Beispiel Köche oder Polizisten, auf Singles aus ihrer Branche treffen.
Mit standortbasierten Diensten wie sie einige Portale anbieten, lassen sich schließlich auch die Date-Möglichkeiten im realen Leben, also in Café oder Kneipe verbessern – denn es wird angezeigt, wer im direkten Umkreis gerade noch so auf der Suche ist. Die App „Tinder“ ist quasi der virtuelle Nachbau einer Singleparty: Gefällt ein Profilbild, wird es geliked, gefällt es nicht, wird es aus der persönlichen Vorschlagsliste gelöscht. Erst wenn man einen potenziellen Flirtkandidaten gefunden hat, dem man selbst auch gefällt, können Nachrichten geschrieben und weitere Informationen ausgetauscht werden.
„In Kneipen katastrophale Männer kennengelernt“
Um die „Trefferquote“ zu erhöhen, nutzen große Anbieter wie Elitepartner, Friendscout24, Parship oder eDarling wissenschaftlich basierte Matchingverfahren. So soll sichergestellt werden, dass der einen „couchpotato“ auch nur eine zweite „couchpotato“ und kein Abenteurertyp vorgeschlagen wird.
„Aus einer Laune heraus“ legt Silke im Oktober 2012 ein Profil bei eDarling an. Sie hat eine Fernbeziehung hinter sich und nichts dagegen, wenn es in Liebesdingen künftig etwas unkomplizierter werden würde. Einige Freunde sind skeptisch, doch Silke kann am Onlinedating so gar nichts „Anrüchiges“ finden: „Ich habe in Kneipen so viele katastrophale Männer kennengelernt“, sagt sie, „wovor wollt ihr mich noch warnen?“
Fürs Erste scheinen sich ihre Kneipenerfahrungen allerdings zu wiederholen: Die Männer, die ihr das Matchingverfahren als passende Kandidaten präsentiert, passen so gar nicht in Silkes Beuteschema.
Gefühlt ein gemeinsames Erlebnis
Thomas geht es ähnlich. Erst über die Suchfunktion wird er auf Silke aufmerksam. Obwohl er sich keine Chancen ausrechnet, schreibt er sie an, fragt, ob auch sie so merkwürdige Partner-Vorschläge bekomme. Silke ist amüsiert und schreibt zurück. So beginnt ihr Kennenlernen, zumindest gefühlt, mit einem gemeinsamen Erlebnis, das Verbundenheit schafft. Beide finden die Partnervorschläge absurd und witzeln darüber, dass „seine Frauen“ gut zu „ihren Männern“ passen würden.
Andere Paare berichten aber auch vom Erfolg der Matchingverfahren. Abgefragt wird zum Beispiel die Vorstellung von der idealen Beziehung: Wie viel Nähe und wie viel Freiraum ist gewünscht, soll der Partner eher häuslich oder abenteuerlustig sein und wie sieht es mit der Familienplanung aus? „Wir können nicht vorhersagen, ob sie sich auch verlieben werden“, sagt Manfred Hassebrauck, der als Berater eines Onlinedating-Portals selbst solche Verfahren entwickelt, aber wenn sie es täten, sei die Erfolgswahrscheinlichkeit der Verbindung hoch.
Man gibt Stärken und Schwächen preis
Was die Online-Bekanntschaften, sofern sie nicht auf bloße Sex-Verabredungen angelegt sind, so besonders und in den Augen vieler Soziologen und Medienpsychologen auch besonders stabil macht, ist der unübliche dramaturgische Ablauf: Bevor man sein Gegenüber tatsächlich trifft, mit einem aus Mimik, Gestik, Geruch, Stimme, Aussehen und Bewegungen destillierten Gesamteindruck konfrontiert wird, lernt man seine „inneren Werte“ kennen und gibt eigene Stärken und Schwächen preis. Mit originellen Nachrichten erregt man Aufmerksamkeit, mit dem richtigen Maß aus Humor und Ernsthaftigkeit schafft man eine gemeinsame Basis, mit Gesprächen über persönliche Gedanken und Gefühle entsteht Verbundenheit, und mit dem richtigen Ton, dem richtigen Timing und natürlich ganz viel Glück – so wie eben auch in der Offline-Welt – verliebt man sich ineinander. Engagierte Kommunikation statt nervös-sprachloser Treffen, intensives Kennenlernen statt überstürztem Verknallen.
Lisas großer Unbekannter ist mittlerweile kein Fremder mehr. Jan* schreibt ihr die schönsten Worte, die sie je gelesen hat. Jede seiner Nachrichten zaubert unwillkürlich ein Lächeln auf ihr Gesicht: Sie liebt ihn, ohne ihn je getroffen zu haben. Bald wollen sie zum ersten Mal telefonieren.
Eine Nachricht, gelesen um 0.51 Uhr in der Nacht
Diesen Austausch umwerbender Nachrichten vergleicht Schuldt mit der „Liebesbriefkultur des 18. Jahrhunderts“. Natürlich sind die Botschaften schnell getippt und wesentlich spontaner als ein Brief, dessen Endfassung womöglich mehrere Entwürfe zugrunde liegen.
Doch auch in mancher Facebook-Nachricht steckt mehr gedankliche Anstrengung als sich auf den ersten Blick herauslesen lässt. Schließlich ist es erklärtes Ziel, schlagfertig und gewandt zu schreiben, um so das geheimnisvolle Gegenüber für sich zu gewinnen. Dass der Text mit dem Absenden sofort beim Empfänger landet und man je nach Portal sogar sehen kann, wann die Nachricht geöffnet wird, kann die Spannung ins Unermessliche steigern. Ein „Nachricht gelesen um 0.51 Uhr“ bietet Raum für Interpretationen, das Warten auf die Antwort befeuert Sehnsüchte und je nach Situation Vorfreude oder nervenaufreibende Ungewissheit. Von „spannungsvoller Verzögerung“ spricht Christian Schuldt in seinem Buch. Nirgendwo, so behauptet er, gehe es heute romantischer zu als im Netz. Damit widerspricht er Kritikern, die die Online-Partnersuche für virtuelle Fleischbeschau halten.
Wie möchte ich mich darstellen?
Natürlich steht beim „klassischen“ Onlinedating an erster Stelle das Anlegen eines persönlichen Profils und damit die Frage: Wer bin ich und wie möchte ich mich darstellen? Im Idealfall sei das Profil authentisch und das Foto nicht „schon zehn Jahre alt“ – da sind sich Onlinedater und Experten einig. „Ich wollte nicht lügen“, sagt Silke, „das holt einen früher oder später wieder ein“. Wie jemand, der sich für eine Party Gedanken über das Outfit macht, so überlegt sich der Onlinedater, auf welchem Foto er besonders attraktiv aussieht und welche Profilangaben ihn interessant erscheinen lassen. Hier wie dort geht es um die bestmögliche Außenwirkung.
Die Art der Selbstdarstellung, wie sie nicht nur beim Flirt-Portal, sondern auch in sozialen Netzwerken praktiziert wird, „zwingt dazu, sich auch mit sich selbst, den eigenen Wünschen und der eigenen Persönlichkeit“ zu beschäftigen, schreibt Christian Schuldt. Und Manfred Hassebrauck sieht den Vorteil, dass viele Vorlieben und Abneigungen für das Gegenüber von vornherein sichtbar sind.
Die Sehnsucht nach dem „physischen Finale“
Die Kontaktaufnahme zwischen Lisa und Jan oder Silke und Thomas war dank des Internets herrlich unkompliziert. Der schriftliche Austausch hat sie auf einer gedanklichen Ebene miteinander vertraut gemacht, auf der körperlichen Ebene sind sie sich hingegen noch vollkommen fremd. „Beim Online-Flirt selbst sind wir immer nur teilweise anwesend, als Text oder Foto“, schreibt Christian Schuldt. Diese „Teil-Existenz“ wecke „das Begehren nach dem großen Ganzen“. Doch je länger sich die Sehnsucht nach dem „physischen Finale“, wie Schuldt es nennt, steigert, desto größer wird auch das Risiko von Enttäuschungen, wenn das Kopfkino so gar nichts mit der Realität zu tun hat. Kleine optische Dämpfer hält eine bereits gefestigte Bekanntschaft zwar aus, denn das Wissen um die inneren Werte kann aus einer grauen immerhin eine weiße Maus machen. Aber wenn der sensible Superheld, zu dem man die Online-Bekanntschaft hochgejubelt hat, sich beim ersten Treffen als charakterloser Langweiler entpuppt, dessen Mails man im Laufe der Zeit bloß wohlwollend uminterpretiert hat, hätte man sich das Bangen schenken können. „Je länger das virtuelle Vorspiel, desto riskanter der Abgleich mit der Realität“, schreibt Schuldt.
Treffen am besten nach etwa zwei Wochen
Etwa nach zwei Wochen solle man sich bei gegenseitiger Sympathie persönlich treffen, empfiehlt Hassebrauck. Jedoch nicht zum romantischen Candle-Light-Dinner im teuren Restaurant, besser geeignet sei „das McDonald’s am Hauptbahnhof“. Die Fallhöhe ist hier einfach viel geringer.
Silke und Thomas gehen vom Schreiben schnell zum Telefonieren über. Die Wellenlänge stimmt von Anfang an, peinliche Herumdruckserei bleibt ihnen erspart. Auch Lisa und Jan reden stundenlang am Telefon miteinander. Mit dem ersten Treffen handhaben es die beiden Paare jedoch ganz unterschiedlich: Silke und Thomas treffen sich Ende Oktober, kaum drei Wochen nach dem ersten Kontakt, im November fahren sie bereits gemeinsam weg, im darauffolgenden Juni macht Thomas seiner Internetbekanntschaft Silke einen Heiratsantrag. Beide sind Mitte 40. „Irgendwann weiß man, wo man im Leben steht“, sagen sie. „Warum also Zeit verlieren?“
Was, wenn die Wirklichkeit nicht mit dem Traumbild mithalten kann?
Lisa und Jan warten ab: Erst nach sechs Jahren, unzähligen Nachrichten und endlosen Telefonaten wollen sie sich treffen. Beide sind Mitte 20, haben gerade ihr Studium beendet und das Gefühl, nun alles tun zu können. Jan hat Lilien gekauft, Lisa trägt ihr schönstes Kleid. Aber sie hat Angst: Was passiert, wenn sie ihn trifft, und die Wirklichkeit nicht mit dem Traumbild mithalten kann?
Doch als sie das vertraute „Hi“ hört, nicht liest sondern wirklich hört, so nah wie noch nie zuvor, spürt Lisa, dass ihre Geschichte hier und jetzt weitergehen wird. Sie dreht sich um und sieht ihn an – es ist ja nichts dabei: „Hi.“