Gelsenkirchen. Saisonstart beim Musiktheater im Revier: Benjamin Brittens Kirchenparabel „Curlew River“ zeigt Carsten Kirchmeier in der St. Georgs-Kirche.
Bei der Ruhrtriennale war es mit Gisèle Viennes „Der Teich“ die bis dahin kleinste und äußerlich unspektakulärste Produktion, die mit ihrer konzentrierten, entschleunigten und perfekten Ausführung die nachhaltigsten Eindrücke hinterließ. Auch das Gelsenkirchener Musiktheater im Revier startet nicht mit einem effektvollen Opern-Reißer, sondern mit einer introvertierten, sparsam besetzten Kurzoper, die mit ihrer religiösen Botschaft wie eine Fürbitte oder ein Dankesgebet nach einer überstandenen Krise wirkt. So präsentiert sich Benjamin Brittens Kirchenparabel „Curlew River“ zumindest in der Gelsenkirchener Inszenierung von Carsten Kirchmeier, für die man eigens in die St. Georgs-Kirche umgezogen ist.
Benjamin Britten ließ sich für das 1964 uraufgeführte Werk vom Nô-Theater inspirieren
Dass sich Britten für das 1964 uraufgeführte Werk von ritualisierten Formen des japanischen Nô-Theaters inspirieren ließ und eine Verknüpfung mit christlichen Mysterienspielen anstrebte, interessiert das szenische Team freilich weniger. Zu sehen ist eine eindeutig christlich akzentuierte Legende auf der Basis einer jahrhundertealten japanischen Geschichte. Eine vor Verzweiflung in den Wahnsinn getriebene Mutter sucht nach ihrem vor einem Jahr von einem Sklavenhändler verschleppten Sohn. Sie bittet einen Fährmann, sie an das andere Ufer des Curlew Rivers zu setzen. Dort wird ein verstorbenes Kind verehrt, dem man heilende Wunderkräfte nachsagt. Die Mutter erkennt darin ihren Sohn, dessen Stimme aus dem Jenseits Hoffnung und Heil verkündet.
Ein Männerchor in Mönchskutten eröffnet das Spiel mit einem gregorianischen Choral. Sowohl das mit sieben Musikern sparsam besetzte Orchester als auch die auf vier Sänger beschränkte Besetzung deuten bereits Brittens Absicht an, mit extrem reduzierten Ausdrucksmitteln ein Maximum an inspirierter Wirkung zu erzielen. Dramatische theatralische Effekte spielen keine Rolle. Man agiert konzentriert, nahezu statisch in entschleunigtem Tempo und die Regie bleibt dem Libretto eng verhaftet. Auf aktualisierende Ambitionen oder auf Originalität getrimmte Effekte verzichten Carsten Kirchmeier und Kostümbildnerin Karin Gottschalk konsequent. Das trägt durchaus die 75-minütige Spieldauer, auch wenn der verheißungsvolle Schluss in dieser Machart wie von einer leicht frömmelnden und betulichen Patina überzogen wirkt.
Sehr markant präsentieren sich Petro Ostapenko und Urban Malmberg
Peter Kattermann hält die Musiker der Neuen Philharmonie Westfalen stark zurück, so dass die Solisten ihre am Wortrhythmus orientierten und melodisch eher spröden Beiträge mühelos in den Kirchenraum tragen können. Allerdings kommt es aufgrund der halligen Akustik und der recht weiten Abstände zu Abstimmungsproblemen zwischen Orchester und Sängern. Sehr markant präsentieren sich Petro Ostapenko als Fährmann und Urban Malmberg als Reisender.
Für die „Verrückte“ hat Britten einen Tenor vorgesehen. Adam Temple-Smith bewältigt seinen Part zwar vorbildlich, verfügt aber über einen baritonal gefärbten, also recht „männlichen“ Tenor. Die Kinderstimme aus dem Jenseits ist bei Dongmin Lee gut aufgehoben, auch wenn ein Knabensopran angemessener wäre. Dass Michael Heine den Abt mit Hygiene-Maske singt, ist befremdlich, stört aber nicht weiter. Der nicht immer sauber intonierende Herrenchor des Musiktheaters rundet den musikalisch insgesamt vorzüglichen Eindruck ab.
Viel Beifall für eine kleine, stille, behutsam inszenierte Produktion. Als Fürbitte für bessere Zeiten kein unpassender Einstieg in die neue Saison.