Essen. Die Lieblingstouren der Gästeführer: Dieses Mal zeigt uns Ingo Pohlmann sein Essen. Es geht nicht nach Zollverein, sondern nach Frohnhausen.

Im Kulturhauptstadtjahr brauchte man ihn, als Gästeführer auf Zollverein. „Ich komme aus der Chemie, habe die Kokerei verstanden.“ Also brach Ingo Pohlmann die Zelte in Bayern ab, ging zurück in die Heimat. „Mit einer Dauerkarte für Rot-Weiss Essen ist es von München aus sowieso etwas schwierig“, so der 52-Jährige lachend. Mittlerweile hat er sich selbstständig gemacht – und führt nicht nur nach Katernberg zum Weltkulturerbe, sondern auch in andere Stadtteile. In Essen gibt’s 50.

Wohnhöfe statt Bauernhöfe

Wo soll es hingehen? Auf die Ausgehmeile in Rüttenscheid, zur ehemaligen Gartenvorstadt Margarethenhöhe? Als liebste Tour bezeichnet Pohlmann die durch Frohnhausen. Dort hat er als Junge Fußball gespielt, dort hat Fußballlegende Helmut Rahn gewohnt. Trotzdem sind die Pfade dort noch nicht ausgetreten. Dabei ist Frohnhausen der größte Stadtteil in Essen – bezogen auf die Einwohnerzahl: 32.400. Das sah im 19. Jahrhundert noch ganz anders aus. Die Menschen lebten auf ein paar Bauernhöfen. Wenige Fachwerkhäuser sind noch Relikte aus dieser Zeit: der Kotten von Wilhelm Distelkamp oder der Grotenhof. Und dann kam Krupp.

Der Luisenhof: Eine Büste zeigt die Königin von Preußen – „die Sisi von Deutschland“.
Der Luisenhof: Eine Büste zeigt die Königin von Preußen – „die Sisi von Deutschland“. © FFS | Kai Kitschenberg

Der Stahlkonzern krempelte Frohnhausen um. Die Bauern verkauften ihr Land, verwandelten sich selbst teils in Bauunternehmer. Neue Höfe entstanden, Wohnhöfe. Wie etwa der Luisenhof. Davor steht eine Statue von jener Luise, nach der der Hof benannt wurde: die Königin von Preußen. „Sie war die Sisi von Deutschland.“

Die Fassaden fallen in Frohnhausen auf, zwischen den schlichten Neubauten der 50er-Jahre gibt es immer wieder prachtvolle zu entdecken: florale Muster, Erker für Lesestunden am Fenster, reich verzierte Türrahmen. „Mehrere Häuser stehen unter Denkmalschutz“, betont Pohlmann. „Wir haben über 500 Fassaden der Gründerzeit und des Jugendstils.“ Sehenswert auch das Haus des Schmieds Wessling, der an der Kölner Straße die Geschichte von Prometheus andeutet. Der Titan brachte in der griechischen Mythologie den Menschen das Feuer.

Loggia und alte Bäume

Alte Türen kann man ebenfalls finden. Beim Luisenhof muss man die Eingänge allerdings etwas suchen, von außen sieht man keinen einzigen. „Ob die Menschen alle fensterln?“, scherzt Pohlmann. Nein, die Türen befinden sich im Innenhof. Diese Areale sind heute oft kleine, grüne Oasen, in denen man von der oberen Loggia aus in die Kronen alter Bäume schaut.

Wohnungen allein reichen eben nicht für ein gutes Leben. Frohnhausen wurde als Teil der Bürgermeisterei Altendorf 1901 nach Essen eingemeindet. Die Stadt ließ Parks entstehen, seit 1912 gibt es einen 5500 Quadratmeter großen Marktplatz. „Der größte von Essen, auch heute noch.“ Dienstags, donnerstags und samstags kann man dort Gemüse kaufen. Dann zeigt Pohlmann in Richtung „Casal“ – „Die beste Eisdiele von Essen“, meint nicht nur er, auch so mancher Ruhri und der „Feinschmecker“: Das Magazin kürte Casal zu den 15 besten Eisdielen Deutschlands. Im Februar endet die Winterpause.

Der „Schwarze Diamant“ ist geöffnet. Die Gaststätte heißt zwar mittlerweile „J & H“ – Jetzt und Hier – aber der alte Name ist an der Hauswand zu lesen. Und deutet darauf hin, dass nicht nur Stahl eine Rolle spielte, sondern auch Kohle. „In Frohnhausen gab es 1535 den urkundlich belegten ersten kommerziellen Stollenabbau.“

Die letzte Ruhestätte der Fußballlegende Helmut Rahn.
Die letzte Ruhestätte der Fußballlegende Helmut Rahn. © FFS | Kai Kitschenberg

Im Gasthaus „Schwarzer Diamant“ reichte man nach dem Zweiten Weltkrieg die Schwedenspeisung, so Pohlmann. Fleischbrühe für hungernde Kinder. Zudem baute das Schwedische Rote Kreuz 1949 das Schwedenheim. Rote Holzhäuschen stehen neben dem Markt, wirken fremd und zugleich heimelig zwischen den hohen Großstadthäusern. Bis heute beherbergen sie einen Kindergarten.

Dazwischen: die Triebfeder - eine Kreativwerkstatt

Ein Kind des Stadtteils hat auf dem Margarethenfriedhof seine letzte Ruhestätte: Helmut Rahn schoss 1954 das Tor des Jahrhunderts (Tooor, Tooor, Tooor) und das deutsche Team zum Weltmeistertitel. Das Wunder von Frohnhausen.

Döner-Läden, syrische Geschäfte, türkische Bäcker – auch die gibt es heute in Frohnhausen. Dazwischen: die „Triebfeder“ – eine Kreativ-Werkstatt für den Stadtteil. Frohnhausen ist bunt. Wie das Mehrgenerationenhaus ein paar Schritte weiter. Blaue, rote, gelbe Wände – dagegen wirkt Villa Kunterbunt blass. In der Lutherkirche nebenan wird nicht mehr gepredigt, sondern geschlafen. Die Balkone an der Seite zeigen die Wohnungen. Daneben: das einstige „Bullenkloster“, wie man ein „Ledigenheim“ früher nannte. 765 Schlafplätze gab es damals für die alleinstehenden Krupparbeiter. Das erscheint viel, aber Pohlmann ordnet ein: „Krupp hat 45 Ledigenheime betrieben.“ In dem „Bürohaus-West“, wie das Gebäude neben dem Bahnhof Essen-West heute heißt, hatte auch das Ruhrlandmuseum mal seinen Sitz.

Unweit: das Friedrichsbad. „Das älteste in Essen. Ich habe dort das Schwimmen gelernt.“ Die Schule „Bärendelle“ – auch sie verwandelt sich zum Wohnhaus – erinnert an den Bärenbach, an dem sich einst die Bauernhöfe ansiedelten. „Vom Bach ist nichts mehr zu sehen“, bedauert Pohlmann. Aber Durst muss keiner erleiden. „Es gibt hier noch ganz normale Kneipen, kein Chichi, kein Cocktail, kein Burger.“ Der „Hexenkessel“ zählt etwa dazu, ebenso das „Yolo“ gegenüber St. Antonius, einer Kirche der Klassischen Moderne. Pohlmann bietet auch Kneipentouren an. Und Büdchenführungen, dort bestellt man dann bei seinem Weg durch Frohnhausen ganz stilecht „eine bunte Tüte oder ein Pülleken Stauder“.

>> Wo wollten Sie schon immer mal hin, haben es aber bis heute noch nicht geschafft?
Ich will unbedingt nach Albanien, bevor es dort mit dem Tourismus richtig losgeht. Die Nationalparks möchte ich sehen, einen ganz ursprünglichen Fluss gibt es da noch. Das ist ein Abenteuer, das man in Europa noch erleben kann. Und bei uns in der Region? Ich war in der fünften Klasse das letzte Mal in Xanten. Ich möchte noch mal ins Römermuseum. Und da ich gerne wandere: Als nächstes nehme ich mir den Neandertalsteig vor.

Unter dem Titel West Side Stories bietet Pohlmann die zweistündigen Stadtteiltouren an, 10 € pro Person. Tel. 01575-20 10 754; stadtfuehrungen-essen.de