Essen.. Mit dem Projekt „Urban Prayers Ruhr“ beleuchtet die Ruhrtriennale an insgesamt sechs Terminen die Vielfalt des religiösen Lebens im Ruhrgebiets.
Die Theatergemeinde huldigt traditionell dem Gott der Kunst, selten jedoch in echten Sakralbauten. Die Ruhrtriennale aber öffnet nun Türen. Das Projekt „Urban Prayers“ stellt der Gesellschaft die Gretchenfrage und lädt an sechs Sonntagen dazu ein, die Vielfalt religiösen Lebens im Ruhrgebiet kennenzulernen: in der Duisburger Merkez-Moschee, im Hindu-Tempel in Hamm oder in einem ehemaligen Supermarkt in Mülheim – den hat die afrikanische Lighthouse-Gemeinde zum „House of Solution“ umgebaut.
„Was glaubt ihr, wer ihr seid. Was glaubt ihr, wer wir sind“: So heißt es in dem Theatertext von Björn Bicker, man könnte es ein Mantra nennen – eine Anrufung an die Neugier, die doch in jedem Menschen stecken sollte. Fünf Jahre ist es her, dass Björn Bicker und Malte Jelden für Regisseur Johan Simons und die Münchner Kammerspielen ein Projekt begannen, das sie selbst rasch staunen machte: Wie viel religiöses Leben da in einer deutschen Stadt daheim war!
Denn auch dies ist ja wahr: Wenn man vom „Kirchensterben“ spricht, darf man die Geburten nicht verschweigen. Sicher, gibt Bicker zu, „die Volkskirchen haben das Problem, dass ihnen die Leute weglaufen. Mein Eindruck aber ist, dass die Leute nicht weniger religiös sind. Sie suchen sich nur andere Gemeinschaften: Die Freikirchen und Pfingstler-Gemeinden haben sehr großen Zulauf.“
Vom Nutzen der Religion
Was heißt es, zu glauben? Was heißt es, genau diesen Glauben zu haben? Und schließlich: Sag, was nützt uns Religion? Gerade die neuen Gemeinden, hat Bicker beobachtet, sind engagiert und für die Einwanderer „Begegnungsstätte, Netzwerke, Knotenpunkte, Ausbildungsbörsen, Heiratsvermittlung“. Besonders muslimische Gemeinden öffnen sich, helfen – sprechen aber kaum darüber. „Das ist sehr muslimisch: Man tut Gutes und schweigt darüber. Es gibt da eine Parallelwelt auch im Positiven.“
Lammert: „Europäische Champions-League“
Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) ist ein aufmerksamer Begleiter der Ruhrtriennale, die 2002 von der nordrhein-westfälischen Landesregierung ins Leben gerufen wurde. Sie sollte in der Nachfolge der Internationalen Bauausstellung (IBA) Emscherpark die industriekulturellen Denkmäler bespielen und zugleich dem Ruhrgebiet ein Ereignis mit internationaler Strahlkraft verschaffen. Der Theaterkenner Norbert Lammert ist allerdings kein unkritischer Beobachter der Triennale...Herr Lammert, die Triennale geht in ihr 15. Jahr – wie hat sie sich aus Ihrer Perspektive entwickelt?Norbert Lammert: Die Ruhrtriennale ist nicht nur das bedeutendste Kulturfestival in Nordrhein-Westfalen, es ist überhaupt das einzige Kulturfestival aus den letzten 30 Jahren, das mir einfällt, das sich schon in seiner ersten Spielzeit in die europäische Champions League gespielt hat. Und es wird mit der Region verbunden, weil es von Beginn an wichtige Schauplätze der Region bespielt hat.Alles gut also?Gelegentlich muss man jetzt schon dem umgekehrten Eifer entgegentreten, in jeder Saison zwei neue Spielstätten aufmachen zu wollen. Das ist gut gemeint, aber die Wahrnehmung erleichtert das nicht. Zumal es eine geradezu pfadfinderhafte Freude an dem Aufspüren bislang unbekannter Orte voraussetzt. Das wiederum ist nicht die typische primäre Leidenschaft von Theaterbesuchern.Braucht es ein solches Festival wirklich angesichts der international höchstens in Metropolen erreichten Dichte von Theater- und Opernbühnen?Die Ruhrtriennale muss sich von den Stadttheatern abheben. Sie muss nicht „Maria Stuart“ in der Jahrhunderthalle aufführen. Eines der für mich abschreckenden Beispiele war Andrea Breths „Zerbrochner Krug“ im Salzlager auf Zollverein. Das war eine gewöhnliche Guckkastenbühne – das ist nicht der Zweck der Ruhrtriennale. Dafür haben wir etwa die Ruhrfestspiele.
Religiöse Landschaften an Isar und Ruhr
Gibt es einen Unterschied der religiösen Landschaften an Isar und Ruhr? Die Vielfalt, die Bicker einst in München erstaunte, die fand er auch hier – sogar noch auf weiterem Raum, schließlich gibt es im Revier leichter Räume für kleine Gemeinden als in Bayerns teurer Hauptstadt. Dafür stand im Ruhrgebiet die Frage nach den Jugendlichen im Vordergrund: „Wie finden sie Arbeit, wie schaffen die das?“, das ist die eine Sorge, die jeden Gemeindevorstand umtreibt. Ob jüdisch, muslimisch oder christlich.
Wie viel Gemeinsamkeit in der Vielfalt steckt, wie vertraut das Fremde sein kann – auch das will „Urban Prayers“ zeigen. Fünf Schauspieler sprechen den Chor der gläubigen Bürger, es singt das Chorwerk Ruhr und an jedem der Aufführungsorte trägt die Gemeinde etwas bei: die Volkstanzgruppe „Srbija“ in der serbisch-orthodoxen Kirche in Dortmund. Das Nodelman-Duo in Bochums neuer Synagoge. In Dinslaken-Lohberg steigt gar ein Fest rund um jene Kirche, die erst in den 50er-Jahren mit Ziegeln aus der Zeche erbaut wurde. Und die heute, der schrumpfenden Schar der Schäfchen geschuldet, gar nicht mehr als Gotteshaus genutzt wird.
Die genauen Termine finden Sie hier.