Recklinghausen.. Die Karnevalssession hat begonnen und mit ihr die Proben für den Dortmunder Geierabend. Die Premiere im Januar naht. Und der Steiger, Martin Kaysh, der stets eine hell leuchtende Grubenlampe der komischen Inspiration ist, wollte mal wieder fühlen, wie es wirklich ist: unter Tage.
Was soll man da nur tun? Langes Rätseln, simple Lösung: Man schickt den Mann zurück in den Untergrund, man lässt ihn ein wenig Kohlenstaub atmen, denn läuft’s auch wieder mit den Pointen. Und wer könnte das Untergrund-Training wohl besser leiten als Geierabend-Präsident Roman Henri Marczewski? Wir gingen mit den beiden unter Tage, ins RAG Trainingsbergwerk Recklinghausen, wo der Comedy-Steiger Kaysh auf einen echten Steiger trifft, auf Helmut Hütter, der die Tour durch die Strecken und Streben leitet.
Obwohl. . . so ganz ohne Bergwerkserfahrung ist Kaysh ja nicht: „Ich habe noch meinen alten Zechenausweis, von Auguste Victoria. Das ist mein Pütt. Da habe ich damals aber nur vier Wochen über Tage gearbeitet, im Eisenlager. Und ich kann nur sagen: All die Klischees über Kameradschaft sind wahr. Später bin ich dort Ehrenhauer geworden. Da bin ich stolz wie Bolle drauf.“ Da kann man mal sehen, wie schon der erste Hauch von Grubenluft die Erinnerung zurückbringt. Wir treten ein in das knapp eineinhalb Kilometer lange Streckennetz – und in dem Moment, in dem Hütter die Stahltüre hinter uns schließt, fühlt es sich an wie unter Tage. Na ja, fast. Es ist bei weitem nicht so warm – dafür beruhigend übersichtlich, schließlich hat ein echtes Bergwerk das hundertfache Streckennetz.
Für die beiden Komiker ist das hier ein Ausflug auf einen Abenteuerspielplatz: Sie rasen dahin auf dem Grubenfahrrad, das auf Schienen läuft. Sie zwängen sich in die enge Kabine der EHB, der Einschienenhängebahn. Und sie lassen sich von Steiger Hütter erklären, wie einst Strecken freigesprengt wurden, mit Ammongelit. Doch keine Angst, das Zeug hier unten ist nicht echt, schließlich wird im Trainingsbergwerk nicht gefördert, sondern ausgebildet. Heute geht hier also nichts hoch, schließlich müssen Kaysh und Marczewski noch die nächste Spielzeit des Geierabends bestreiten, der ja gar kein richtiger Karneval ist, sondern Alternativ-Karneval.
Moderation in der Kohlenlore
„Einer der Mitgründer der Stunksitzung war auch Straßenmusiker, als ich damals noch bei der Mobilen Einsatzkapelle Bochum gespielt habe. Den trafen wir damals überall. Heute sind wir beide im Karneval gelandet“, erzählt Marczewski, dessen größte und praktisch einzige Aufgabe als Präsident der Sitzung die Begrüßung und Verabschiedung der Gäste ist.
Steiger Kaysh moderiert die Show aus einer Kohlenlore heraus und weiß um ein paar Schwierigkeiten im Vergleich zu den Kollegen aus der Karnevalshauptstadt: „Alternativkarneval zu machen in Köln, das ist keine Kunst, denn den Papst muss man ja nicht erst katholisch machen. Aber wir machen richtig harte Vor-Ort-Arbeit. Weil die Leute oft gar nicht wissen, was Karneval überhaupt ist. Die wissen gar nicht, dass man sich freuen darf.“
Angefangen hat das alles vor 22 Jahren im freien Theater Fletch Bizzel in Dortmund, seitdem ist der Geierabend ständig gewachsen, füllt die Zeche Zollern und ist immer noch unendlich viel bissiger als jede der gewöhnlichen Karnevalsveranstaltungen. Es ist eben dann doch eher eine Mischung aus Kabarett und Anarchie, die da auf die Bühne kommt. Anders wäre es für Kaysh auch schwer erträglich: „Der schöne Nebeneffekt ist für mich: Seit ich beim Geierabend bin, bekomme ich den ganzen Karneval gar nicht mehr mit“.
Tatsächlich stehen Kaysh und Marczewski zwischen Januar und Aschermittwoch an mindestens fünf Abenden pro Woche auf der Bühne, eine echte Dauerleistung – und ein dynamischer Prozess. „Es ist so lebendig, man kann nicht sagen, dass nach der Premiere alles fertig ist. Es ist so: man hat Premiere, man spielt, und dann wächst es noch in sich“, sagt der Präsi, während wir die beiden in einem kuscheligen, engen Streb interviewen, in dem sie sich ganz wohlfühlen. „Irgendwie erinnert das doch an die Räume, in denen wir anfangs gespielt haben“, sagt Kaysh und lacht. Tatsächlich passte nicht mal die Garderobe des Geierabends dort hinein. Immerhin gehören 13 Leute zum Ensemble („13 bringt Unglück. Wir sind 12 Leute und ein Steiger, also ich“, so Kaysh).
Kohleindustrie wird zur Komikindustrie
Und vielleicht zeigt die Bühnenfigur des spaßenden Steigers, dass sich in einer Region des vermeintlichen Stillstands in den letzten Jahrzehnten eben doch Gewaltiges getan hat. „Wir Komiker und Kabarettisten haben im Lauf der Jahre auf mehr Zechen gearbeitet als jeder Bergmann: Zeche Zollern, Zeche Bochum, Zeche Carl, Zeche Zollverein. . .“ Wenn Kaysh aus Recklinghausen nachzählt, kommt er auf 15 Zechen – die natürlich längst geschlossen, aber zu Kulturstätten umgewidmet wurden.
Aus der Kohleindustrie ist in gewisser Weise eine Komikindustrie geworden. Und vielleicht hängt das ja doch enger zusammen, als man denkt. Kaysh jedenfalls hat unter Tage seine Ruhr-Glaubwürdigkeit zurückgewonnen, findet zumindest sein Präsident. Aber als wir fertig sind mit unserer Bergwerkstour, nur so zur Sicherheit, stopft Kaysh sich noch zwei Hände voll Anthrazit-Kohle in seine weißen Steigerhosentaschen. Es kann ja nie schaden, ein bisschen Kohle übrig zu haben.
Der Geierabend 2015 steht unter dem Motto: „...nach uns die Currywurst...“ und läuft vom 2. Januar bis zum 17. Februar jeweils um 19.30 Uhr im LWL Industriemuseum Zeche Zollern II/IV in Dortmund (Grubenweg 5).