Essen. Metropole Ruhr? Eine „kuriose Idee“, findet Raphaela Edelbauer – und doch ist die 31-Jährige als Metropolschreiberin Ruhr in der Region zu Gast.
Gerade eben hatte die Wiener Schriftstellerin Raphaela Edelbauer ihre Mülheimer Residenz als Metropolschreiberin Ruhrgebiet bezogen – da erhielt die erst 31-Jährige den Österreichischen Literaturpreis für ihren jüngsten Roman „Dave“. Die Brost-Stiftung darf stolz sein auf ihre nun noch prominentere Stipendiatin, die mit frischem Blick eine ihr zuvor unbekannte Region betrachtet. Mit Britta Heidemann sprach Raphaela Edelbauer über Skihallen, Bergschäden und Computerspiele.
Frau Edelbauer, Sie waren noch nie zuvor im Ruhrgebiet – was hat Sie überrascht?
Raphaela Edelbauer: Ich bin nicht von Klischees ausgegangen, vor kurzem habe ich zum Beispiel das Max-Planck-Institut in Mülheim besucht. Es war mir schon klar, dass es hier viel Forschung gibt. Sehr überraschend war für mich, dass Bottrop eine Skihalle hat – ich komme ja aus Wien, da sind die Skigebiete nur eine Stunde entfernt. Solche Details finde ich ziemlich lustig. Ich werde da auf jeden Fall noch hinfahren. Ich frage oft Taxifahrer, was sie bemerkenswert finden im Ruhrgebiet. Die meisten sagen mir, dass sie, wenn sie etwa aus Dortmund kommen, noch nie auf die Idee gekommen sind, in eine Bar zu gehen, die zum Beispiel in Duisburg ist. Das ist offenbar total undenkbar.
Sie haben sich schon im Vorfeld verwundert gezeigt über den Begriff „Metropole“ Ruhr.
Es ist für mich faszinierend, dass überhaupt jemals angestrebt wurde, dass das Ruhrgebiet eine einheitliche Identität erhält. Diese Idee finde ich immer kurioser, je mehr ich sehe. Ich frage mich: Was bedeutet eine von außen kommende Identitätspolitik, wenn sich die Menschen aber doch als Mitglieder ihrer lokalen Communities verstehen?
„Es ist quasi unmöglich, mal aus der eigenen Bubble rauszukommen“
Ihr Vor-Vorgänger Wolfram Eilenberger hatte Ihnen empfohlen, ein Stadion zu besuchen.
Ich war tatsächlich in Dortmund. Ein kleines Problem ist, dass ich durch meine Position und die guten Kontakte nicht einfach auf der Tribüne stand, sondern in so einem VIP-Bereich.
Sie haben es nicht leicht, sich unters Volk zu mischen?
Mein soziales Netz besteht auch hier aus Literaturmenschen, die ich über Vermittlungen kennengelernt habe. Das fundamentale Problem unserer Zeit spiegelt sich in diesem Stadtschreiber-Stipendium: Es ist quasi unmöglich, mal aus der eigenen Bubble rauszukommen.
Was ist literarisch spannend am Ruhrgebiet?
Leider konnte ich nicht unter Tage fahren, das hätte mich extrem interessiert. In meiner Literatur geht es immer um Geologie, um Erdschichten – gerade in meinem Roman „Das flüssige Land“. Ich komme aus einer Gemeinde, einem Vorort von Wien, das ein Bergwerk hatte, dort wurde Kalk abgebaut. Die gesamte Gemeinde sinkt ab. Das wird eher mit Verschweigen quittiert. Das Ruhrgebiet hat den Bergbau zu seinem Aushängeschild gemacht. Hier werden quasi Industrieleichen hergezeigt, während der Diskurs längst ein ganz anderer ist. Der Landschaftspark Duisburg-Nord hat eine Art von Ästhetik, aber: Das steht jetzt da bis zum Ende aller Zeiten! Gleichzeitig hat heute jedes Unternehmen einen angeblich neutralen CO2-Abdruck. Und ich habe noch nirgendwo so einen Mülltrennungs-Kult erlebt wie in Mülheim! Das ist ein Geistesumschwung innerhalb kurzer Zeit, den ich faszinierend finde.
In einem Videotagebuch lassen Sie uns an Ihren Erlebnissen und Eindrücken als Metropolschreiberin teilhaben, gibt es denn auch ein literarisches Projekt?
Ja, das wird ein Theaterstück über das mehrfach versuchte Experiment, das Ruhrgebiet zu einer Stadt zu machen. Es wird aufgeführt, aber ich weiß nicht, ob ich schon sagen darf, wo das sein wird. In meiner nächsten Folge des Videotagebuchs wird es übrigens um das Max-Planck-Institut gehen.
„Ich ein extremer, fast lebenslanger Fan von Nintendo“
Auf Twitter haben Sie jüngst über Abgabefristen gestöhnt, woran arbeiten Sie zurzeit?
Ich habe zwei Bücher, die ich Anfang 2022 fertigstellen werde und die durch die Verlagsmechanik im Frühjahr 2023 publiziert werden. Das eine ist ein Roman, der am Vorabend des Ersten Weltkriegs spielt, es geht um das Verhältnis von Einzelpsyche und Massenpsyche. Im Moment kann man wieder einmal beobachten, wie Ideen sich auswirken – siehe den Sturm aufs Weiße Haus. Das andere Buch knüpft an mein Debüt 2015 an, das ist eine Poetik, experimentelle Texte, die sich mit dem Verhältnis von Sprache und Naturwissenschaft auseinandersetzen. Diesmal sind es eher narrative Texte, die von der Suche der Menschen nach einer Weltformel handeln. Der Illustrator und ich haben gerade eine Woche in Mülheim zusammengearbeitet. Ich schreibe dazu auch ein Computerspiel, das von einem Team aus drei Leuten – Grafik, Musik, Programmierung – umgesetzt wird.
Spielen Sie auch selbst Computerspiele?
Ja, sehr viel! Ich spiele sehr gerne Indie-Spiele, experimentelle Sachen, die man meistens auf Steam findet, einer Plattform für PC-Spiele. Und andererseits bin ich ein extremer, fast lebenslanger Fan von Nintendo. Seit ich drei Jahre alt bin eigentlich.
Sind sie eigentlich ein Workaholic?
Gute Frage… Ich glaube, ich bin einfach sehr konsequent auf einer täglichen Basis. Ich arbeite fast jeden Tag – und ich arbeite den ganzen Tag. Daneben bin ich auch noch sehr begeisterte Sportlerin, ich rudere, auch hier auf der Ruhr. Meine Obsession mit gewissen Dingen hält mich aber auch von anderen Sachen ab. Ich bin ganz schwach darin, auf Emails zu antworten. Und es ist für mich bereits jetzt klar, dass ich kommendes Jahr so gut wie keine Lesungen machen werde. Zwei Bücher fertigzustellen, das erfordert dann eben Einschnitte an anderen Stellen.