Düsseldorf.. Hörbuchsprecher Martin Baltscheit über die Kunst, seine Hörer zu fessen, über Talent und Lernfähigkeit – und über den speziellen Sound der Literatur.
Seine Stimme ist hoch, ein bisschen jungenhaft und unverwechselbar: Der Düsseldorfer Martin Baltscheit (49) ist nicht nur erfolgreicher Kinder- und Jugendbuchautor, sondern auch preisgekrönter Hörbuchsprecher (u.a. „Die Dschungelbücher“, Ritter Rost). Wir wollten von ihm wissen, was das Besondere einer Stimme ausmacht – und wie man Literatur zum Klingen bringt.
Herr Baltscheit, wie sind Sie eigentlich Hörbuchsprecher geworden?
Ich bin ein Hörspielkind. Ich habe Stimmen schon immer geliebt. Im Fernsehen haben mich die Stimmen fast mehr interessiert als die Filme selbst. Irgendwann habe ich Kinder- und Jugendtheater gemacht, und da gab’s einen Tontechniker, der fragte mich eines Tages: Willst du nicht ein Casting machen, um Werbung zu sprechen? Mein erster Job war, einen Zeichentrick-Fuchs zu sprechen, das Maskottchen fürs Waschmittel „Spee“.
Seitdem haben Sie viele Hörbücher gelesen. Braucht man dazu eine spezielle Ausbildung?
Ein Hörbuch über fünf, sechs Stunden so lebendig und so echt zu erzählen, das ist eine Kunst, die kann man kaum erlernen. Das kann man eben oder man kann es eben nicht. Entweder man ist ein stimmlicher Erzähler und ein Schauspieler mit der Stimme oder eben man ist jemand, der etwas moderiert oder vorliest, wie ein Nachrichtensprecher. Ich würde für mich auch gern in Anspruch nehmen, dass ich sagen kann: Ich bin ein guter Erzähler.
Das Wunder, wenn der Film im Kopf startet
Was ist neben dem Talent ein Kriterium dafür, dass man gut erzählt?
Es muss echt sein. Der Hörer muss nach zwei Minuten vergessen haben, dass da ein Sprecher agiert. Und man selbst darf es auch gar nicht mehr selbst hören. Die Stimmhöhe oder -farbe sind gar nicht so entscheidend. Man muss das vergessen und ist auf einmal mitten in der Geschichte, plötzlich leben die Figuren, die Szenerie läuft wie ein Film im Kopf ab. Und das ist das Wunder!
Muss man ein guter Schauspieler sein, um zu sprechen?
Bei manchen Hörbüchern wird nach Prominenz besetzt. Wenn Schauspieler sprechen, funktioniert das aber manchmal nicht. Sie können oft mit Körper und Stimme erreichen, was ihnen allein mit der Stimme nicht gelingt.
In manchen Momenten, wenn Sie sich nicht bemühen, besonders jungenhaft zu erscheinen, klingen Sie wie der jüngere Bruder von Christian Brückner, dem DeNiro-Sprecher . . .
Ich liebe den sehr, sehr, sehr. Und niemand klingt wie Brückner, weil der die Stimme vom lieben Gott hat. Aber es gibt so einen bestimmten Duktus und eine Heiserkeit, wenn man genau hinhört, dann sind es vielleicht Stimmfärbungen oder Betonungskurven, die man genauso macht – und manchmal mache ich das auch so, aber in respektvollem Abstand zu meinem großen Idol. Ich würde mich nie als neuer oder junger Brückner positionieren. Er ist halt beschenkt worden mit diesem unglaublichen Timbre. Und er kann Texten und Figuren Leben einhauchen.
Den Klang der Sprache selbst erfühlen
Finden Sie manchmal für bestimmte Bücher einen bestimmten Sound?
Ich glaube, dass jede Literatur ihren Ton hat. Und den versuche ich zu treffen. Das findet man heraus, indem man laut liest. Und man spürt es sehr deutlich, die Atmosphäre in der Geschichte, der Klang der Sprache. Wenn man Glück hat und mal an besondere Literatur kommt, dann spürt man, welche Welt der Autor sich gedacht hat.
Und dafür haben Sie ein Gespür?
Ich hatte auch schon mal Pech. Eine Autorin war enttäuscht. Sie hatte sich die Stimme von Bruce Willis vorgestellt beim Schreiben – was aber überhaupt nicht zu ihrer Sprache passte.
Was würden Sie Eltern raten, die ihren Kindern vorlesen?
Wenn man Kindern vorliest, kommt es doch eigentlich nur darauf an, dass man das gerne macht. Denn die Kinder sind sehr gutmütig, die lieben es, vorgelesen zu bekommen. Wir haben Glückszustände, wir haben Trauerzustände, wir haben Zorneszustände, die haben wir alle drauf in der Stimme. Und die müssen wir einfach abrufen – und diesen Spaß beim Vorlesen, den sollte man sich nicht durch zu große Ansprüche kaputt machen.