Essen. Tatortreiniger Thomas Kundt wird bei jedem Job immer wieder überrascht – gerade von Sammelleidenschaften. Davon berichtet er bei seiner Tour.
Thomas Kundt wirft sich für seinen Job in Schale. Zur Krawatte greift der 43-jährige allerdings nicht, sondern zum gelben Schutzanzug. Er ist Tatortreiniger und Desinfektor in Sachsen. Hinter den verschlossenen Türen warten nicht nur Blut und tonnenweise Müll auf ihn, sondern auch persönliche Geschichten. Wöchentlich erzählt der Familienvater von seinen Erlebnissen im Audible-Podcast „Was sonst niemand sieht“, im Buch „Nach dem Tod komm ich“ und nun auch auf einer Live-Tournee. Im Interview mit Kirsten Gnoth verrät er, warum er beim ersten Tatort seine Mutter angerufen hat und welche schrägen Sammelleidenschaften ihm bei der Arbeit unterkommen.
Sie sind in den Beruf reingeschlittert. Wir wird man Tatortreiniger?
Thomas Kundt: Ich sammele Antiquitäten und habe in dem Zusammenhang auch immer mal eine Haushaltsauflösung mitgemacht oder Wohnungen ausgeräumt. Ich bin dann mit einem Polizisten darüber ins Gespräch gekommen und er hat gesagt, ich sollte mir mal überlegen, Tatortreiniger zu werden. Kurzerhand habe ich Visitenkarten gedruckt und an alle möglichen Leute verteilt. Und dann kam tatsächlich der erste Anruf.
Wie war der erste Tatort?
Als der Anruf kam, habe ich noch als Finanzdienstleister gearbeitet und saß gerade im Büro. Der Kripobeamte sagte dann: „Wir brauchen dich als Tatortreiniger. Schusswaffengebrauch – es gibt jede Menge Blut und auch Gehirnmasse. Aber das kennst du ja alles.“ Großen Mutes habe ich das Ganze bejaht. Aber in Wirklichkeit hatte ich natürlich keine Ahnung, weil es mein allererster Job war. Ich bin kreidebleich geworden und habe erstmal meine Mama angerufen.
Was hat sie gesagt?
Sie hat mir gesagt, was ich alles holen soll. Und wenn ich die Sachen habe, sollte ich sie abholen. Ich bin also in den Baumarkt gegangen, habe Schutzanzüge und Spachtel gekauft und bin dann zu meiner Mama gefahren. Sie stand schon draußen – mit Putzmitteln und einem Eimer. Als wir an der Wohnung angekommen sind, standen wir vor einem Desaster und meine Mutter hat trotzdem einfach losgelegt. Keiner hat gemerkt, dass es unser erster Job war. Wir haben es so professionell gemacht. Später im Auto habe ich mir eigentlich geschworen, es nie wieder zu machen. Das „Nie wieder“ geht jetzt neun Jahre.
Kann man sich denn irgendwie das nötige Know-how aneignen?
Es gibt Lehrgänge und die habe ich auch mitgemacht. Dabei konnte ich aus den Erfahrungen anderer Tatortreiniger schöpfen. Ich habe außerdem den staatlich geprüften Desinfektor gemacht und bin mittlerweile Sachverständiger für Leichenfundorte und Desinfektion. Man hat sich reingearbeitet und durchgebissen.
Dann wissen Sie sicher auch, wie man Blut am besten wegbekommt?
Der Untergrund ist entscheidend. Für Fußböden nutzen wir Wasserstoffperoxid. Auf Stoffen kann man mit Reinigungssoda einiges entfernen. Aber kein warmes Wasser benutzen, sonst gerinnt das Blut. Aber natürlich haben wir auch noch das eine oder andere Zaubermittel (lacht).
Gibt es denn Tatorte, die Sie noch wirklich schocken?
Alles, was mit Kindern zu tun hat, geht mir nahe. Ich bin selbst Papa und bekomme dann einen Kloß im Hals. Über die Zeit habe ich mir auch abgewöhnt zu sagen, dass ich schon alles gesehen hätte. Jeder neue Tatort zeigt mir, dass es noch so viele skurrile Dinge gibt, die ich noch nie gesehen habe.
Zum Beispiel?
Das fängt bei Sammelleidenschaften an. Es wird alles gesammelt: Nierensteine, Fieberthermometer und, und, und. Hinter verschlossenen Türen spielen oft aber auch Sex und Erotik eine Rolle. Mit was sich die Leute alles Lust verschaffen, ist verrückt. Aber ich verurteile niemanden für seine Vorlieben, solange dabei jedenfalls kein anderer zu Schaden kommt.
Sie erfahren viele private Dinge über die Verstorbenen. Ist das eine Belastung oder etwas Positives?
Erst habe ich versucht, immer alles so anonym wie möglich zu halten. Aber ich bin ein neugieriger Mensch und möchte die Lebensgeschichten der Menschen begreifen. So eine Wohnung ist wie ein Buch. Ich weiß häufig mehr über die Person als nahe Angehörige oder Freunde, weil ich beim Beräumen die tiefsten Geheimnisse der Menschen entdecke. Die erzähle ich allerdings nicht den Angehörigen. Sie sollen ihr eigenes Bild von dem Verstorbenen oder der Verstorbenen behalten und diese liebgewonnen Erinnerungen möchte ich nicht zerstören. Ich behalte die Geheimnisse für mich und nehme sie irgendwann ebenfalls mit ins Grab.
Wie ist es denn, auf Angehörige zu treffen?
Man trifft die Leute in einem ihrer verwundbarsten Momente. Die ganze anfängliche Wut, der Hass und die Enttäuschung sind – wenn ich komme -- schon ein bisschen abgeebbt. Vorherrschend ist die Trauer. Nachdem ich den Tatort gereinigt habe, rede ich oft noch stundenlang mit den Angehörigen. Ich bin kein Psychologe, aber das Reden tut ihnen enorm gut. Es hilft, sein Herz ausschütten zu können. Und auch ich habe ja schon geliebte Menschen verloren und kann mich in die Situation einfühlen. Außerdem stirbt jemand für mich erst so richtig, wenn sich niemand mehr an ihn oder sie erinnert. Es ist großartig, wenn Angehörige Erinnerungen mit mir teilen.
Wie schaffen Sie es, die Fälle hinter sich zu lassen?
Ich habe ein Ritual. Selbst wenn die Wohnung leer ist, stelle ich mich zu Beginn vor und verabschiede mich auch. Wenn ich dann die Tür hinter mir schließe, lasse ich die Dinge zurück und der Fall ist für mich abgeschlossen.
Hat die Arbeit Sie verändert?
Ich denke anders über das Leben nach. Außerdem verurteile ich niemanden mehr, weil ich nie weiß, was genau für ein Schicksal hinter jemandem steckt. Ich sehe, wie schnell jemand in eine Abwärtsspirale geraten kann. Erst verliert man seinen Job. Dann findet man keinen neuen, weil derjenige zu alt oder überqualifiziert ist. Die Ehe scheitert unter diesen Umständen. Man hat keine Kohle, landet in einer Einraumwohnung und fängt vielleicht auch an zu trinken. So stirbt jemand dann völlig allein. Viele sehen am Schluss nur den Trinker, der sich in die Hose gemacht hat. Ich weiß aber, dass es mal ein studierter Mann mit einem ganz normalen Leben war.
Was schätzen Sie an ihrem Beruf?
Man lernt immer faszinierende Menschen kennen und kommt mit ihnen ins Gespräch. Aber man bekommt auch unheimlich viel Dankbarkeit zurück. Ich weiß noch: Ich habe gemeinsam mit der Bewohnerin ihre Messi-Wohnung aufgeräumt. Das war ein Kampf, aber wir haben es geschafft. Es war rund um Ostern. Sie hat mich dann nach Ostern angerufen und mir erzählt, dass zu Ostern ihre Familie bei ihr war – es war das erste Mal seit zehn Jahren. Ich helfe den Menschen einfach gerne.
Sie erzählen Ihre Erlebnisse nicht nur in einem Podcast und in einem Buch, sondern auch auf der Bühne. Woher kam die Idee?
Ich war bei der Buchvorstellung von Dr. Tsokos (Dr. Michael Tsokos, Rechtsmediziner und Professor an der Charité in Berlin, Anm. d. Red.) und Sebastian Fitzek. Dabei ist dann auch die Idee für eine Bühnenshow entstanden. Beim ersten Auftritt kamen 300 Leute und der zweite war mit über 500 ausverkauft. Viele Menschen wollen diesen Blick durch das Schlüsselloch. Außerdem bin ich bühnenaffin – beim Eltern-Theaterstück im Kindergarten war ich Arielle, die Meerjungfrau. Ich bin abgehärtet (lacht).
Messi-Wohnungen, Suizide, Tod – das sind wirklich harte Themen. Wie bringen Sie die auf die Bühne?
Ich versuche, viele Momente zu erzählen, die zum Schmunzeln einladen. Außerdem können die Menschen über Dinge lachen, die mir bei meinen Jobs passiert sind. Natürlich bringe ich auch Mord und Totschlag mit. Aber ich möchte, dass die Menschen bei dem Vortrag etwas über meine Arbeit lernen – den Unterschied zwischen Verwahrlosung und Messi zum Beispiel. Ich zeige außerdem Bilder und berichte über kritische Fälle. Dabei gebe ich den Menschen immer die Chance wegzuschauen, wenn es ihnen zu viel wird. Aber viele blinzeln durch die gespreizten Finger, wenn sie die Hände vor die Augen halten.
Haben Sie sich jemals Gedanken über den eigenen Tod gemacht?
Eigentlich möchte ich über das Sterben gar nicht nachdenken, sondern über die Momente, die ich im Leben noch vor mir habe. Es kann so schnell vorbei sein und ich möchte noch viel Freude am Leben haben. Der schönste Tod ist aber wohl, schlafen zu gehen und einfach nicht mehr aufzuwachen.
Wenn bei Ihnen selbst dann ein Tatortreiniger kommen würde, was für Geheimnisse würde er wohl finden?
Die kann ich natürlich nicht verraten. Aber jeder hat so seine Geheimnisse. Ich bin selbst Jäger und Sammler, wenn meine Angehörigen nach meinem Ableben den Trödeltrupp rufen und meine Sachen verschleudern, schicke ich Donner und Blitz auf die Erde runter (lacht). Das hat für mich einen ideellen Wert.
Thomas Kundt live:
Termine: 1.4. Düsseldorf (Capitol Theater), 4.4. Essen (Weststadthalle), 5.4. Köln (Gloria-Theater).
Karten gibt es ab ca. 23 € u.a. über thomaskundt.de