Baden-Baden. Ein im besten Sinne klassisches Sting-Album legt der 70-jährige Superstar mit „The Bridge“ vor – geschöpft aus der eigenen Gefühlswelt.
Unaufhaltsame Erderwärmung, Pandemie, politische Instabilitäten? Einen Sting, als Gordon Sumner im nordenglischen Newcastle zur Welt gekommen und erst mit The Police und dann solo ein absoluter Weltstar, kann das alles nicht großartig erschüttern. Auf seinem neuen Album „The Bridge“ singt der 70-Jährige über Toleranz, Menschenfreundlichkeit und insbesondere über die Liebe.
„Alle Aspekte der Liebe, die ich auf diesem Album anspreche, von totaler Niedergeschlagenheit bis zu absoluter Euphorie habe ich irgendwann selbst erlebt“, behauptet Sting beim Gespräch in Baden-Baden. Der Musiker ist prächtiger Laune, er wirkt drahtig, hellwach und wie üblich gut 15 Jahre jünger. Soeben hat er zudem die Mittagspause erfolgreich absolviert, die leeren Sushi-Tabletts stehen noch auf dem Tisch. Nun sitzen wir auf einem engen Sofa, Sting hat die Gitarre im Schoß, klimpert hin und wieder ein paar Takte und sagt: „Ich kenne Trübsal. Ich kenne Freude. Ich kenne alle Gefühle dazwischen. Und alles, was mir widerfahren ist, dient meiner Inspiration. Ich versuche, mit einer gewissen Authentizität zu schreiben, und dankenswerterweise habe ich ein Leben hinter mir, das voll von Erfahrungen ist.“
„The Bridge“ ist im allerbesten Sinn ein klassisches Sting-Album
Und dieses in jeder Hinsicht üppige Leben (sechs erwachsene Kinder, etwa ebenso viele Wohnsitze in den USA und Europa, seit vierzig Jahren zusammen mit Gattin Trudie Styler) findet in vielen Facetten Eingang auf der neuen Platte. „The Bridge“ ist im allerbesten Sinn ein klassisches Sting-Album. Die Melodien funkeln, die Worte sind klug gewählt. Von stillen, akustischen Nummern wie dem Titelsong, den Kindheitserinnerungen im schlicht schönen „Harmony Road“ oder dem etwas an „Fields Of Gold“ erinnernden „For Her Love“ bis zu temporeichen, dynamischen Stücken wie „Loving You“ und „Rushing Water“ reicht die große und Sting-typische stilistische Bandbreite von „The Bridge“.
Ins Auge fallen die zahlreichen religiösen Bezüge in den Songtexten. Und das, obwohl Sting nicht an Gott glaubt? „Ich stamme aus einem gläubigen Elternhaus. Die Sprache der Bibel ist sehr bildreich, sie hat immer meine Phantasie angeregt. Das heißt nicht, dass ich an die Dinge glaube, die dort stehen, aber allein die Geschichten faszinieren mich. Und als Agnostiker weiß ich, dass ich es nicht weiß. Sich absolut sicher über was auch immer zu sein, ist eine gefährliche Haltung, sei es politisch oder spirituell. Menschen, die sich unsicher sind, sind anpassungsfähiger und flexibler. Und damit besser geeignet, zu wachsen.“
Was die Songs, die sich oft um Menschen an Weggablungen (etwa zwischen Leben und Tod, Beziehungen oder politischen Systemen) drehen, fast allesamt eint ist Stings grundsätzliche Bereitschaft, an das Gute zu glauben. „Ich denke, mein Optimismus ist durchzogen von Realismus. Aber Pessimismus ist ein selbsterfüllender Fluch. Wenn du glaubst, alles geht den Bach runter, dann wird es das auch tun. Insofern ist es die bessere Strategie, optimistisch zu sein.“
„Pfeifen hat etwas sehr Therapeutisches“, so Sting
Am deutlichsten kehrt er seine Zuversicht im Song „If It’s Love“ heraus. Er selbst ist es, der in dem Song fröhlich pfeift – eine Angewohnheit, so erzählt er, die er von seinem Vater, einem Milchmann, übernommen habe. „Pfeifen hat etwas sehr Therapeutisches“, so Sting. „Mein Vater war kein besonders heiterer oder fröhlicher Mensch. Aber er hat gern gepfiffen. Pfeifen ist für Sting also nicht zwingend mit guter Laune verbunden? „Nein. Du kannst auch im Dunkeln pfeifen, weil du Angst hast. Du kannst auch auf dem Friedhof pfeifen, weil du weißt, dass du eines Tages dort liegen wirst.“
Er selbst therapiere sich vor allem mit seiner Gitarre. „Das hat schon als kleiner Junge bei mir funktioniert. Das Spiel auf der Gitarre und das Songschreiben halten mich bei Laune und im Gleichgewicht. Beides dient mir der Meditation und der Selbsterforschung und hat mir bislang den Gang zum Psychiater erspart.“ Und das, so ergänzt er lachend, „obwohl ich ein ziemlich seltsamer Knabe war und immer noch bin.“
Die Arbeit an „The Bridge“ habe ihm in den vergangenen ein, zwei pandemiebeschränkten Jahren entsprechend auch das notwendige Gerüst gegeben, um den Verstand nicht zu verlieren. „Ich bin jeden Morgen um 10 Uhr mit dem Schreiben angefangen und habe bis zum Abendessen durchgearbeitet. Ich hatte anfangs kein klar umrissenes Konzept für das Album. Ich habe meinen Geist geöffnet und mich überraschen lassen. Ich wusste nur, ich muss Musik machen, um gesund zu bleiben. Denn tatsächlich kenne ich eine Reihe von Leuten, die aufgrund des Lockdowns verrückt geworden sind.“
„Ich bin stolz auf mein Alter. Ich fühle mich sehr wohl in meiner 70 Jahre alten Haut.“
Selbstverständlich spürte auch der Kosmopolit Sting die virusbedingten Unannehmlichkeiten am eigenen Leib. Kaum Konzerte, die meiste Zeit auf dem Landsitz in der Toskana, praktisch permanent zusammen mit Frau und Hund, „mit dem ich mehr denn je auf einer Wellenlänge bin.“ Wenigstens die tägliche Schwimmroutine konnte er beibehalten, noch so ein Stabilitätsanker des Stingseins. „Ich liebe das Schwimmen mehr als jeden anderen Sport, weil es die Gelenke nicht belastet und einfach wahnsinnig gesund ist.“ Vom Laufen rate er dagegen vehement ab, denn „wer rennt, rennt geradeaus ins Grab.“
Dorthin freilich plane er sich noch lange nicht hinzubegeben. Sting, der aktuell eine regelmäßige Show in Las Vegas spielt, macht sich über das Altwerden keinen Kopf. „Ich bin stolz auf mein Alter. Ich fühle mich sehr wohl in meiner 70 Jahre alten Haut und gehe die Zukunft in aller Gelassenheit an.“