Bochum..
Scheitern, Leiden, Suchen: Inszenierungen von Horváths „Kasimir und Karoline“ und Wolframs „Parzival“ - die nächste Doppelpremiere der noch jungen Intendanz von Anselm Weber am Schauspielhaus Bochum.
Die nächste Doppelpremiere der noch jungen Intendanz Anselm Weber stand im Bochumer Schauspielhaus an: „Parzival“ nach Wolfram von Eschenbach von Lukas Bärfuss und Ödön von Horváths „Kasimir und Karoline“. Zwei unterschiedliche Theaterabende, die verband: die Sehnsucht nach Erlösung.
Dass die Welt aus den Fugen gerät, ist keine Erfindung der neueren Zeit. Eine globale Finanzkrise zum Beispiel, die hatten wir vor 80 Jahren schon mal. Als 1929 am „Schwarzen Freitag“ die Börsen zusammenstürzten, fielen überall die Menschen in Armut. Vor diesem Hintergrund schrieb Horváth 1931 „Kasimir und Karoline“ – die Figuren des Dramas sind das Strandgut der Depression, die Angestellte Karoline und der entlassene („abgebaute“) Chauffeur Kasimir, verlieren auf der Suche nach einem besseren Leben zuerst ihre Liebe zueinander und am Ende all’ ihre Träume.
Das Volksstück spielt auf dem Münchener Oktoberfest, also wird gelärmt und gesungen, getrunken und gekotzt, gelästert und gelüstet. Und die Musi (Lars Kuklinski als Ein-Mann-Kapelle) spielt dazu! Sie küssen und sie schlagen sich, sie saufen und besabbern sich, und eigentlich wollte Therese Dörr als Karoline doch nur den tristen Alltag vergessen, und Eis essen und Achterbahn fahren. Aber ihr Kasimir ist nicht dazu aufgelegt. Also hält sie sich an Männer, die ihr ein besser gepolstertes Leben zu versprechen scheinen, an den Zuschneider Schürzinger (Matthias Redlhammer), zum Beispiel. Kasimir, manisch und melancholisch zugleich gespielt von Florian Lange, leidet, weil der Job-Verlust sein Selbstwertgefühl unterhöhlt; er steigert sich in wütende Ichbezogenheit hinein und kommt nicht aus ihr heraus.
Dieses Prolo-Pärchen gibt es auf jedem Rummelplatz
Die entfesselte Oktoberfest-Szenerie deutet das Bühnenbild von Sascha Gross nur an, es zitiert Relikte von Budenzauber und Neonlicht, der Rummelplatz, der echte und jener der Gefühle versumpft beständig zu einem Becken der Vergeblichkeit. Alle Figuren sind beschädigt, auf sich bezogen und unfähig, die Liebe, die sie ständig einfordern, zu geben, noch sie ehrlich zu empfangen. Im wüsten Taumel drehen sie, befeuert vom Alkohol, ihre Lebenspirouetten, die letztlich im Leeren, in der eigenen inneren Leere sich verlöschen. Nur Kasimir scheint wie aus solchen Verstrickungen herausgefallen, er sitzt, wenn alle gieren und grölen, an der Rampe mit seinen traurigen Augen. Seine verzweifelte Einsamkeit ist tief berührend.
Lisa Nielebocks Regie geht mit Respekt an den Horváth-Stoff heran und weicht Schablonenschneiderei einigermaßen geschickt aus. Tatsächlich bleiben die von großartigen Schauspielern geformten Figuren als Individuen erkennbar, etwa der aggressiv-verschlagene Merkl-Franz (Michael Schütz) und seine Wuchtbrumme Erna (Veronika Nickl); dieses Prolo-Pärchen gibt es wohl auf jedem Rummelplatz. Oder der Kommerzienrat (Heiner Stadelmann), der die Gier der Anderen nach Wohlstand zu verkörpern scheint, und der letztlich, wie alle hier, auch bloß ein Gescheiterter ist.
Gescheitert wird auch in der zweiten Premiere, „Parzival“ von Lukas Bärfuss, wenn auch auf anderer Ebene. Auch hier herrscht pralles Theater, und zwar von Folkwang-Schülern, die so jung sind, dass es älteren Semestern wehtun mag, eingedenk der Kraft, der Unverbrauchtheit, der Spiellust dieser Eleven - und der damit einhergehenden Reibungsverluste. Bärfuss folgt in seiner Parzival-Adaption fast 1:1 der Geschichte vom reinen Toren, der auf seinem Weg, ein Ritter zu werden, an sich und an der Welt schuldig wird. Nicht immer zu fragen, wird ihm eingeimpft, und als er in die Gralsburg zum leidenden König Anfortas kommt, tut er es auch nicht. Da vergeht die Burg, der Gral ist verloren und Parzival verflucht und für immer allein.
Toben mit Maxi-Power
Bärfuss’ pessimistischer Ansatz entwickelt sich unter der souveränen Regie von Martina van Boxen, der Leiterin des Jungen Schauspielhauses, zu einem kraftstrotzenden, keineswegs depressiven Abend. Das junge Ensemble rennt, tobt und agiert mit Maxi-Power; es wird viel geschrien, aber kaum nuanciert. Einzig die Liebesszene zwischen Parzival (Adrian Thomser) und Königin Conduirarmour (Tina Wilhelm) gerät zu einem Moment anrührender Innigkeit.