Jede Geburt ist anders. Die Hebamme Sandrine Barth erzählt in einem persönlichen Brief an ihre Tochter von ihrer eigenen Entbindung.
Rund 170.000 Kinder wurden im vergangenen Jahr in NRW geboren. Im Kranken- oder Geburtshaus, zu Hause oder völlig unerwartet auf einer Schlagerparty in Oberhausen. Ganz gleich, an welchem Ort, alle Entbindungen hatten eines gemeinsam: ihre Einzigartigkeit! Denn keine Geburt ist wie die andere.
Im Buch „Die Geschichte Deiner Geburt – Mein Brief für Dich“ von der Bochumerin Andrea Leim schreiben 30 Eltern ihren Kindern einen persönlichen Brief darüber, wie sie auf die Welt kamen. Auch Hebamme Sandrine Barth (28) aus Bochum hielt ihre Erinnerungen für Tochter Carlotta (1) in Briefform fest. Sie durfte eine regelrechte Traumgeburt erleben.
„Ich würde mir wünschen, dass jede Frau aus der Geburt so gestärkt hervorgehen kann, wie es bei mir der Fall war. Dazu gehört nach meiner Erfahrung auf jeden Fall auch die richtige Vorbereitung. Wir verbringen oft mehr Zeit damit, das Kinderzimmer einzurichten oder die Erstausstattung fürs Baby zu kaufen, dabei sollte jede Frau sich im Vorfeld mindestens so intensiv mit der Entbindung befassen, weil es ein elementares Erlebnis in ihrem Leben sein und bleiben wird.“
Zum Muttertag erscheint nun ihr emotionaler Bericht, gewidmet allen Mamis unter unseren Leserinnen, in Auszügen ab.
Carlotta, mein liebes Kind!
Wenn ich an den Tag zurückdenke, an dem du auf die Welt kamst, muss ich unweigerlich lächeln. Ich verbinde mit dem 6. Juni 2020 ausschließlich unbeschreibliches Glück. Du bist zu Hause und in meine Hände geboren – genau so, wie ich es mir immer gewünscht hatte.
Errechnet warst du eigentlich für den 11. Juni 2020, doch fünf Tage vorher, dein Papa Malik und ich lagen noch im Bett, spürte ich morgens gegen 8.15 Uhr plötzlich so ein seltsames Ziehen im Rücken – ein Gefühl, das ich bisher nicht kannte und das fast einem Brennen glich. In den Wochen vor der Entbindung hatte ich mich intensiv mit mentaler Geburtsvorbereitung beschäftigt und konnte auch an diesem Morgen wieder ein- und noch eine ganze Stunde entspannt weiterschlafen.
Onlinekurs über Stoffwindeln
Danach sind dein Vater und ich aufgestanden, haben gefrühstückt und uns bereit für einen Onlinekurs über Stoffwindeln gemacht, der um 10 Uhr beginnen sollte. Als du geboren wurdest, war die Welt fest in der Hand der Coronavirus-Pandemie, weshalb die meisten Geburtsvorbereitungen über Videokonferenzen stattfanden. Unser Wunsch, dich zu Hause auf die Welt zu bringen, wurde dadurch noch einmal gefestigt.
Wir saßen also an diesem Samstagmorgen vor unserem Laptop und folgten der Kursleiterin, während das Ziehen und Brennen im Rücken häufiger und intensiver wurde. Allerdings war mir nicht klar, dass es sich bereits um den Beginn deiner Geburt handelte, denn ich fühlte mich eigentlich entspannt und merkte die Kontraktionen immer nur im Rücken, nicht im Bauch.
So schaute ich während der gesamten Zeit nicht einmal auf die Uhr, sondern folgte gespannt dem Vortrag. Eine prima Ablenkung, zumal unsere Kursleiterin überzog und das Ganze erst um 13 Uhr endete. Das Brennen im Rücken spürte ich da schon deutlich intensiver.
Elton John und Frischkäsetorte bei der Geburt
Und doch war ich mir noch immer nicht ganz sicher, ob du nun wirklich schon auf die Welt kommen wolltest. Also entschied ich mich dazu, meinen „Geburtstagskuchen“ zu backen. Ich hatte mir nämlich fest vorgenommen, am Tag der Entbindung eine Frischkäsetorte zu machen, die ich mit deinem Papa, meiner Hebamme und dir im Arm essen wollte. Gesagt, getan! Um Punkt 14 Uhr stand der Kuchen im Kühlschrank. Da kamen meine Wehen bereits so stark, dass kein Zweifel mehr bestand, dass du dich tatsächlich auf den Weg machtest.
Etwas mehr als eine Stunde später schrieb ich eine SMS an unsere Hebamme Diane. Sie rief sofort zurück, hatte Malik am Apparat, der ihr sagte, dass noch alles entspannt sei. Allerdings hörte Diane mich im Hintergrund atmen und bat ihn darum, sie rechtzeitig anzurufen. Sie ahnte wohl, dass du dir nicht ewig Zeit lassen wolltest. Außerdem hatten wir vor, in meinem Elternhaus zu entbinden, was ungefähr eine halbe Stunde Fahrzeit entfernt war.
Sie hörte nach deinen Herztönen
Als wir dort um 17 Uhr ankamen, stürmte ich an meiner Mutter vorbei direkt ins Obergeschoss, wo die Wanne stand. Während Malik das Wasser einließ, ging ich nochmal auf die Toilette und hatte plötzlich eine starke Blutung. Aber keine Sorge: Man nennt das Zeichnungsblutung, bei mir lag sie daran, dass sich der Muttermund ziemlich schnell geöffnet hatte. Wir riefen nun Diane an, die um 17.45 Uhr eintraf. Sie untersuchte mich und hörte nach deinen Herztönen. Der Muttermund war schon sieben Zentimeter geöffnet, und dir ging es super!
Um kurz nach 18 Uhr nahm der Druck deines Köpfchens nach unten deutlich zu, ich spürte regelrecht, wie er sich ins Becken drehte. Weil ich so fasziniert von all dem war, setzte ich mich in die Hocke und untersuchte mich selbst. Mir kam direkt die pralle Fruchtblase entgegen, die dann bei der nächsten Wehe unter Wasser zerplatzte.
Geburt – ganz ohne Pressen!
Mit der nächsten Wehe konnte ich merken, wie dein Kopf in Richtung meiner Finger geschoben wurde – ganz ohne Pressen! Ich war vollkommen erstaunt, welche Kraft so eine Wehe hat, die ich noch immer nur im Rücken spürte. Ich weiß noch, dass ich deinen Papa fragte, ob er auch den Kuchen kaltgestellt hätte. Verrückt, woran man in so einem Moment noch denkt.
Dein Kopf wurde mit der übernächsten Wehe in meine Hände geboren – ein so unbeschreibliches Gefühl! Ich hatte keine Schmerzen und wusste, dass ich nun bereits den schwersten Teil geschafft hatte. Auf Anweisung meiner Hebamme drückte ich danach genau einmal ein wenig mit, und schon rutschte dein Körper hinterher.
Eine Entbindung – „genau so wie ich es mir erträumt habe“
Um 18.19 Uhr, nach viereinhalb Stunden richtiger Wehen und zu „Rocket Man“ von Elton John wurdest du kleines, zauberhaftes Wesen zu Hause in der Badewanne direkt in meine Hände geboren. Genau wie ich es mir immer erträumt hatte. Ich war der erste Mensch, der dich berührte, und konnte mein Glück kaum fassen. Nie zuvor hatte ich so etwas Intensives und Wunderschönes erlebt und dachte sofort: „Das will ich nochmal!“
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Und du, du warst ganz ruhig, vollkommen friedlich, hast nicht geschrien und nur versucht zu blinzeln. Ich erinnere mich noch, wie ich nach deiner Geburt als erstes deinen Papa ansah, der dir mit tränenüberströmten Gesicht über deinen Kopf streichelte. „Habt ihr denn schon geschaut, was es ist?“, fragte Diane uns dann, denn bis zu diesem Zeitpunkt kannten wir dein Geschlecht noch gar nicht. Malik sah nach: „Es ist ein Mädchen!“ Für uns stand für den Fall bereits fest, dass du Carlotta heißen würdest.
Mit Papa und Mama das erste Mal kuscheln
Ein paar Minuten später wurde auch die Plazenta geboren. Dein Papa trug dich samt Mutterkuchen ins benachbarte Schlafzimmer, während Diane mich einmal abduschte. Unglaublich, wie gut es mir ging. Ich war so stolz, dass mein Körper gerade dieses Wunder vollbracht hatte.
Ich ging ebenfalls ins Schlafzimmer und kuschelte mich zu dir und Papa ins Bett. Abgenabelt wurdest du eine Stunde nach deiner Geburt und kurz darauf auch schon gestillt – während wir drei tatsächlich ein Stück von der Frischkäsetorte aßen, deinem ersten Geburtstagskuchen.
Diane verließ uns gegen 22.30 Uhr, kurz danach bist du zusammen mit deinem Vater eingeschlafen. Ich war noch ganz berauscht von diesem so besonderen Erlebnis, so dass ich lange Zeit nicht schlief, sondern euch beide einfach nur ansah. Meine kleine Familie. Was für ein wahnsinnig schönes Gefühl!
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Inwiefern unterscheidet sich Ihr Buch von einem Geburten-Ratgeber?
Andrea Leim: Ich habe Eltern darum gebeten, ihre Erinnerungen an die Geburt als Brief an ihr Kind zu formulieren. Dadurch sind die Berichte um einiges intimer, liebevoller und emotionaler geworden, als ein Ratgeber es sein könnte. Jeder Bericht schildert nicht nur eine Entbindung, sondern ist auch ein Liebesbrief an die Tochter oder den Sohn.
Die Geschichte von Sandrine Barth klingt wie eine Wunschgeburt. Gibt es in dem Buch auch weniger schöne Erfahrungen?
Es werden unterschiedlichste Geschichten erzählt: von der Haus- über die Wassergeburt bis hin zum Notkaiserschnitt, mit oder oder Betäubung. Oder von Geburten, die so unfassbar schnell passierten, dass das Baby noch auf dem Gehweg vor dem Krankenhaus zur Welt kam, und solche, die sehr lange dauerten. Auch der Bericht einer stillen Geburt ist dabei. Mir war es wichtig, eine möglichst große Palette abzubilden und die Eltern frei erzählen zu lassen, über ihre Sorgen, das Herzklopfen, über Schmerzen, Tränen und unbeschreibliche Freude.
Warum sollten Schwangere das Buch lesen?
Weil es ihnen einen Einblick vermittelt von all dem, was passieren kann. Oft hört man nur von den Entbindungen, die ganz schlimm oder ganz toll waren, aber dazwischen gibt es noch jede Menge mehr. Ich habe begonnen, die Geschichten zu sammeln, als meine eigene Tochter gerade neun Monate alt war, und je mehr ich las, desto mehr wünschte ich mir, all das vor meiner eigenen Entbindung gewusst zu haben. Es hätte mir viel mehr Sicherheit und Zuversicht gegeben.