Gelsenkirchen. Ein Vergnügen, wenn sich Opernsänger der leichten Muse hingeben. Sonntag hatte „Der Zauberer von Oz“ Premiere: Stehende Ovationen in Gelsenkirchen.
Ein Publikum so aus dem Opernhäuschen zu locken, das muss man mit einem One-Hit-Musical erstmal bringen. Diesmal bedeutet „Broadway an der Ruhr“ freilich nicht singende Lokomotiven in Bochum. Jubel über Jubel gab es Sonntagabend für den „Zauberer von Oz“ am Musiktheater im Revier.
Regie führt die junge Wattenscheiderin Sandra Wissmann, deren „Comedian Harmonists“ und „Cabaret“ dem Haus zwei Publikumslieblinge beschert haben. Aber hat die Bühne gewordene Filmlegende aus „Oz“ das Zeug dazu, wo es in diesem Land doch außer „Somewhere over the Rainbow“ nicht gerade vor Hits wimmelt? Sie hat!
Hexen radeln durch die Lüfte
Die Region führt ab sofort ein Musical für die ganze Familie auf dem Spielplan. Wissmann erliegt nicht dem Trug, man könne sich komplett von der übermächtigen Filmvorlage lösen. Zöpfe, Farmer-Idyll, tiefe Wolken über dem Mittleren Westen: alles da. Wissmann stemmt sich nicht gewaltsam gegen die Bilder, die wir ohnehin im Kopf haben. Und doch lässt diese warmherzige Inszenierung uns nie denken an einen Minimal-Kompromiss mit Hollywood. Fast ironisch spielen Wissmann und ihre clever zwischen Zitat und kitschnaher Technicolor-Opulenz balancierende Bühnenbildnerin Britta Tönne mit der Sparte Bühnenzauber. Selbst Hexen radeln durch die Lüfte. Dass man ihre Seilschaften sieht? Alles Theater!
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Es ist ein Märchen: Dorothy trägt ein Wirbelsturm nach Oz. In aller Bremerstadtmusikantenhaftigkeit schart sie um sich: einen Löwen ohne Courage, eine Vogelscheuche ohne Hirn, einen Blechmann ohne Herz. Moral dieser Geschicht: Traut euch! Dann kommt ganz von allein, was noch fehlt zum Glück.
Anfangs fehlt der Schwung, dann kommt’s charmant in Fahrt
Apropos: Anfangs fehlt diesem Abend der Schwung (überhaupt wäre das Prachtstück eine halbe Stunde kürzer noch glänzender), aber dann nimmt diese Reise ins Innere menschlicher Tugenden charmant Fahrt auf. Man könnte die Meriten festmachen an vital pulsenden Massen-Szenen, die dem schönen alten Revue-Film huldigen oder hübschem Textwitz, der auf Disneys „König der Löwen“ anspielt und Hexen „zur Fortbildung“ schickt.
Aber das Pfund dieses „Zauberer von Oz“ ist vor allem die Tatsache, dass wir den hübschen Songs nicht im gequetschten Ton gängiger Musical-Diven lauschen. Nein, hier singt die Vogelscheuche ein Papageno, den Löwen ein Posa. So ist schon Dorothys Eskorte der freundlichen Unvollkommenen ein Fest der Stimmen: Michael Dahmens nobeltreue Scheuche, E. Mark Murphys famos steppender Blechmann und Piotr Prochera, der ein regelrechter Elvis von Löwe ist, quasi der „King“.
Die gute Hexe tanzt wie der Teufel
Dorin Rahardjas Dorothy rührt mit der Regenbogen-Hymne unser Herz und füttert dabei sogar noch den Hund. Er heißt Öhrchen, spielt aber „Toto“. Anke Sieloffs gute Hexe ist ein sexy Vamp, der tanzt wie der Teufel. William Saetre, einmal mehr die böse Hexe vom Dienst, gibt seinem Affen (köstlich komisch: Nico Stank) überrreichlich Zucker. Chor und Neue Philharmonie Westfalen (am Pult: Thomas Rimes) händeln Harold Arlens Filmsound souverän, mal zackig, mal in popcornaffinem Edelschwulst.
Tosender Applaus, sehr lange und sehr lange stehend!
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